Auch hilflose Menschen haben im Krankenhaus den Anspruch und das Recht, anständig und korrekt behandelt zu werden Foto: dpa

Die 91-jährige Hildegard S., Patientin im Stuttgarter Diakonie-Klinikum, wurde in ihrem Krankenbett einfach in einen Geräteraum abgeschoben. Der Grund: Die Demenzkranke war zu laut für eine ebenfalls demente Zimmergenossin.

Stuttgart - Vor zwei Wochen ist die 91-jährige Hildegard S. (Name geändert) in der Wohnung, wo sie von ihrer Tochter Monika S. versorgt und betreut wird, schwer gestürzt. Weil die Schmerzen nicht nachließen und die betagte Frau kaum noch Flüssigkeit und Nahrung zu sich nehmen wollte, wurde sie von der Hausärztin ins Stuttgarter Diakonie-Klinikum eingewiesen.

Dort glaubte die 64-jährige Tochter ihre Mutter gut versorgt. „Die Schwägerin meiner Großmutter war dort einst Diakonisse“, erzählt Monika S., „deshalb hatte ich immer eine große Hochachtung vor der Arbeit, die in diesem Krankenhaus geleistet wird.“

Dieses positive Bild wird für Monika S. seit vergangenem Sonntag von einem hässlichen Fleck verunziert. An diesem Abend hatte die Tochter ihre Mutter auf der Station P 22 besucht, auch um aufzupassen, dass sich die seit längerem verwirrte Patientin nicht eine offenbar schmerzende Infusionsnadel herauszieht.

Übernachten zwischen Metallschränken und Müllbehältern

Was dann passierte, schildert Monika S. so: Eine Krankenschwester kam ins Zweibettzimmer. Mit den Worten „So, jetzt bringen wir Sie in ein anderes Zimmer“ wollte sie das Krankenbett mit der Mutter hinausschieben, um der Zimmernachbarin eine ungestörte Nachtruhe zu ermöglichen. Die 91-Jährige wurde unruhig und versuchte sich zu wehren. Warum ihre Mutter so reagierte, wurde Monika S. erst später klar. „Das andere Zimmer war ein kühler und dunkler Abstellraum“, sagt die Tochter der Patientin. „Rechts und links standen Metallschränke, dazwischen Müllbehälter und gestapelte Kartons.“ Und: „Es war gerade noch Platz für das Pflegebett. Es gab nicht einmal eine Klingel.“

Als die Tochter heftig gegen die Abschiebung ihrer Mutter in den Abstellraum protestierte, wurde das Bett wieder zurück ins Krankenzimmer gebracht. Dort erfuhr Monika S. von der anderen Patientin, dass ihre Mutter die Nacht zuvor in der Abstellkammer hatte verbringen müssen. „So erklärt sich die abwehrende Reaktion meiner Mutter“, sagt die Tochter.

Noch am Sonntagabend versucht Monika S., für ihre Mutter im Diakonie-Klinikum eine bessere Lösung zu finden. „Ich habe angeboten, für eine menschenwürdige Unterbringung meiner Mutter die Mehrkosten für ein Einzelzimmer zu übernehmen.“ Das wird von der Krankenschwester unter Hinweis auf eine Komplettbelegung des Krankenhauses abgelehnt.

Klinikum gibt Vorfall zu

Das Diakonie-Klinikum räumt den Vorfall mit der demenzkranken 91-Jährigen ein. „Tatsächlich hat die Patientin mindestens zwei Nächte in einem Geräteraum verbracht“, sagt Frank Weberheinz, der Sprecher des Krankenhauses. „Die Patientin war zwar nicht aggressiv, aber nachts sehr laut. Zum Schutz der anderen Patientin hat man das dann gemacht.“ Weil im Diakonie-Klinikum grundsätzlich nie Patientenbetten im Flur platziert werden“, gab es keine Alternative“, sagt Weberheinz und spricht von einer „absoluten Ausnahme“, die „einem momentanen Sachzwang geschuldet“ war . „Natürlich tut uns der Vorfall leid, und wir bitten ihn zu entschuldigen.“

Ähnlich äußert sich auch Bernd Rühle, der Geschäftsführer des Diakonie-Klinikums: „Es handelt sich natürlich um einen bedauerlichen Fall. Ich werde mich bei der Tochter schriftlich entschuldigen.“

Als Erklärung für die Abschiebung der Patientin führt Rühle das Zusammenspiel mehrerer ungünstiger Faktoren an. „Unser Krankenhaus ist zurzeit absolut voll“, sagt der Geschäftsführer. Einerseits sei die Influenzawelle gerade erst am Abklingen, zudem waren zuletzt zwei Stationen wegen der Infektion durch Rota-Viren, die schwere Durchfälle auslösen, gesperrt.

„Hilflose Menschen müssen korrekt behandelt werden“

„Hinzu kam durch die aktuellen Schneefälle und die glatten Straßen ein großer Andrang in der Unfallchirurgie“, sagt Rühle. In dieser äußerst schwierigen Belegungssituation „hat sich offenbar die Nachtschwester nicht mehr anders zu helfen gewusst“. Man werde jetzt dafür sorgen, dass man beim Umgang mit Patienten künftig noch sensibler reagiere.

Monika S. hat bis zu einem gewissen Grad Verständnis für die Situation der Krankenschwestern und der Zimmernachbarin. „Meine Mutter ist verstört und verwirrt, voller Angst und Schmerzen“, sagt die Tochter. Nachts würde sie im Halbschlaf Monologe halten und Lieder singen. „Ich habe schon den Eindruck, dass man sich im Diakonie-Klinikum bemüht, aber man stößt an Grenzen“, sagt Monika S. „Aber ich fordere trotzdem, dass ein hilfloser Mensch korrekt behandelt wird.“

An diesem Mittwoch wird Hildegard S. aus dem Krankenhaus entlassen. Die Tochter will, auch wegen der aktuellen Erfahrungen, ihre Mutter nicht in einem Pflegeheim unterbringen. „Ich bin gerade dabei, eine 24-Stunden-Pflege zu Hause zu organisieren“, sagt Monika S.