Mit interaktiver Grafik - Stuttgart will nicht Kulturhauptstadt Europas werden. Zumindest nicht 2025. OB Fritz Kuhn (Grüne) hat sich gegen eine Bewerbung entschieden, und die Gemeinderatsfraktionen sehen es ähnlich. In den nächsten zehn Jahren hat die Stadt kein Geld und keine Flächen für neue Einrichtungen.
Stuttgart - Die Mitteilungsvorlage von OB Fritz Kuhn kursiert bereits im Rathaus. Kommenden Dienstag will er den Ausschuss für Kultur und Medien damit informieren, dass die Verwaltung auf eine Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas verzichten wird. Am Mittwoch schickt Kuhn diese Botschaft auch an den Verwaltungsausschuss des Gemeinderats. Zumindest bei diesem Gremium, sozusagen Finanzausschuss der Stadt, wird der OB wohl offene Türen einrennen. Angesichts dessen, was die Stadt auf dem Kultursektor in den nächsten Jahren zu stemmen hat, sind auch die Gemeinderatsfraktionen in den vergangenen Tagen auf Distanz zu einer Bewerbung gegangen.
Die Bewerbungsidee
Der Ludwigsburger OB Werner Spec, Vorsitzender der Kulturregion, hatte Stuttgart und der Region diese Diskussion zu Weihnachten 2014 beschert. Leiten ließ er sich von der Überlegung, dass Stuttgart und die Region schon über eine kulturelle Struktur von internationalem Rang verfügen. Was nicht zu bestreiten ist: 2012 und 2014 war Stuttgart daher im innerdeutschen Städteranking des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts der Berenberg-Bank ganz oben. Das Erreichte, meinte Spec, solle man in die Waagschale werfen, wenn eine deutsche Stadt ausgewählt wird, die sich 2025 zusammen mit einer slowenischen Stadt als Kulturhauptstadt Europas inszenieren darf.
Kuhn wurde sogleich nachgesagt, er sei ziemlich reserviert. Von der CDU und den Grünen im Rathaus kamen vorsichtige Sympathiebekundungen, aber auch Hinweise, dass über das Finanzielle noch zu reden wäre. Das ist jetzt geschehen. Ergebnis: Magdeburg, Dresden, Mannheim sowie Frankfurt am Main mit Offenbach sollen die Sache unter sich ausfechten, schlägt Kuhn vor.
Die Hinderungsgründe
Allein schon für Bewerbung und Veranstaltungen ist viel Geld notwendig. Für die Bewerbungsphase rechnet man mit einer halben Million Euro jährlich. Danach hatten West-Berlin, Weimar und Essen/Ruhr, die schon als Kulturhauptstadt Europas ausgewählt wurden, Budgets zwischen 27 und 65 Millionen Euro. Eine Bewerbung würde, wenn sie Erfolg haben soll, aber auch neuer wegweisender Kultureinrichtungen bedürfen, meint Kuhn. Man brauche dann Leuchtturmprojekte.
Dafür fehle es in den nächsten zehn Jahren aber nicht nur an Geld, sondern auch an Flächen. Letzteres hänge vom Fortgang bei Stuttgart 21 ab. Die Bahn beteuere bisher, man könne die Fertigstellung des Tiefbahnhofes 2021 noch schaffen, sagt Kuhn. Bis die Gleise hinter dem oberirdischen Hauptbahnhof abgebaut, Altlasten beseitigt und die Flächen bebaubar sind, werde es aber bis 2024 oder 2025 dauern. Zurzeit wisse man also nicht, welche Grundstücke garantiert rechtzeitig für den Bau neuer Kultureinrichtungen vorhanden wären. Fazit: Projekte im Rosensteinviertel dürften 2025 bestenfalls im Bau sein.
Vorrang für Wagenhallen & Co
Schon die Summen, die in den nächsten zehn Jahren in bestehende Einrichtungen gesteckt werden müssen, sind gewaltig. Es könnte um 250 bis 300 Millionen Euro allein für die Stadt gehen, ohne den Aufwand, den das Land für gemeinsam finanzierte Kultureinrichtungen wie die Oper haben wird. Unter den Sanierungsfällen haben die Wagenhallen Priorität.
Noch vor den Sommerferien möchte Kuhn vom Gemeinderat den Grundsatzbeschluss für eine Komplettsanierung. Aber schon da wird deutlich, dass die horrenden Kosten für die Kultur Diskussionsbedarf auslösen. SPD-Fraktionschef Martin Körner hat einen Brief an Kuhn geschrieben, in dem er zumindest den Zeitplan infrage stellt. Grund: Fünf der bis zu 30 Millionen Euro, die die Sanierung der Wagenhallen und der Bau einer Tiefgarage kosten dürften, sind zwar im aktuellen Stadthaushalt vorhanden. 25 Millionen Euro müssten aber noch freigegeben werden.
Die SPD kann sich nicht vorstellen, dass man darüber zwei bis drei Monate vor der Einbringung des Doppelhaushalts 2016/2017 verbindlich beschließt. Da kenne man die Folgen für andere Vorhaben nicht. Für die SPD scheint auch noch nicht geklärt zu sein, ob man in den Wagenhallen sowohl die Veranstaltungsräume als auch die Künstlerateliers sanieren soll – oder ob man eine dieser Säulen des Kulturzentrums auslagern sollte.
Eine Mehrheit für die Komplettlösung ist aber trotz der Einwände der SPD und des Plädoyers der Freien Wähler für eine Neubaulösung absehbar. Dafür setzen sich die CDU und die Grünen ein. Die CDU will dabei mehr Ateliers ermöglichen und die Zahl der Sitzplätze im Veranstaltungsteil auf bis zu 1700 erhöhen. Bisher dürfen in die bestuhlte Tangohalle 400 Besucher, ohne Bestuhlung finden 800 Besucher Platz.