PR-Marsch der Wilhelma-Pingu Foto: Fritz Gramm

Mit Tricks hat Albert Schöchle die Wilhelma, die ein botanischer Garten war und erst 1951 zu Tieren kam, zu einem der schönsten Zoos in Europa gemacht. Das Stuttgart-Album erinnert an ein Schlitzohr, an den Stadtausflug der Pinguine und an Krokodil Fritz auf dem Autorücksitz.

Er galt als gewiefter Stratege. Mit Tricks hat Albert Schöchle die Wilhelma, die ein botanischer Garten war und erst 1951 zu Tieren kam, zu einem der schönsten Zoos in Europa gemacht. Das Stuttgart-Album erinnert an ein Schlitzohr, an den Stadtausflug der Pinguine und an Krokodil Fritz auf dem Autorücksitz.

Stuttgart - Das „Wunder von Bern“, der Sieg der deutschen Fußballer 1954 bei der WM, hat in der Nation ein neues Gefühl wachgeküsst, für das vier Worte stehen: Wir sind wieder wer! In den vom Aufbruch bestimmten Fünfzigern machte Fritz Gramm, der 1963 mit 53 Jahren verstorbene Fotograf der Stuttgarter Nachrichten, das Bild zu diesem Gefühl. Erhobenen Hauptes überqueren vier Stadtspaziergänger im Frack die damals noch von Autos befahrene Königstraße so stolz, als habe man für sie den roten Teppich ausgerollt. Dieses legendäre „Wir sind wieder wer“ – auf dem großartigen Foto der Pinguine auf Zebrastreifen wird es sichtbar.

Auf der Rückseite des Schwarz-Weiß-Abzugs hat Fritz Gramm mit Bleistift vermerkt: „Verdauungsspaziergang“. Wer genau hinschaut, sieht zwei Männer mit Stock – es sind Wilhelma-Tierpfleger, die zu Werbezwecken die flugunfähigen Vögel in die staunende Stadt geführt haben. 1956 war der Verein der Freunde und Förderer der Wilhelma gegründet worden – noch gab es Widerstände im Landtag gegen die Pläne des legendären Direktors Albert Schöchle, die Wilhelma weiter zum zoologisch-botanischen Garten auszubauen. Höhere Besucherzahlen sollten ein Argument für weitere Investitionen sein. Nach dem Krieg lagen die zu Bad Cannstatt gehörenden Anlagen des botanischen Gartens in Trümmern, die König Wilhelm I. 1846 zur Hochzeit seines Sohns Karl mit der Zarentochter Olga eröffnet hatte.

Die „Pinguine vom Fritz“ sind auf der Facebook-Seite des Stuttgart-Albums, des gemeinsamen Geschichtsprojekts von Stuttgarter Nachrichten und dem Silberburg-Verlag, sehr oft geteilt und kommentiert worden. Das Foto ist ein beeindruckendes Dokument jener Zeit, allein schon die Kleidung und die Autos erzählen Bände. „Gut, dass heute Pinguine nicht mehr als Werbezwecke genutzt werden“, hat Stefan Heinrichs gepostet. Wilhelma-Direktor Albert Schöchle war bekannt für eigenwillige Ideen. Die Tiere seien ihm näher als die Menschen gewesen, hat man über ihn gesagt.

Der Mann, der aus den historischen Schlossanlagen der Wilhelma einen Zoo machte, war aber ebenso Menschenfreund. Denn er wusste, wie wichtig Tier für uns Menschen sind. Wir können so viel von ihnen lernen. Würden sich Affen, wenn sie sich treffen, mit langen Reden aufhalten? Gut, sie würden ein wenig grunzen, doch dann rasch nach den Bananen greifen. Ein hübsches Zitat, noch heute ein geflügeltes Wort in der Wilhelma, ist von dem 1998 verstorbenen Schöchle überliefert. Bei einer Feier – der Anlass ist nicht mehr bekannt – habe der Zoogründer genug von den Lobesreden gehabt und deshalb mit einem Satz alle hoch erfreut: „Der Worte sind genug gewechselt, nun lasst uns endlich Braten sehen.“

Schöchle selbst nannte sich ein „Schlitzohr“. So heißen seine Memoiren, die 1981 erschienen. Darin schildert er, wie er mit Raffinesse und Tricks Stuttgart zu einem Zoo verhalf. Mit einer Aquarienausstellung fing 1949 alles an. Immer neue Sonderschauen organisierte Schöchle und kaufte danach die ausgestellten lebenden Exponate für die Wilhelma. Die Tiere blieben einfach da, so etwa wie die Pinguine 1952. Die Rüge des Rechnungshofs nahm der Direktor in Kauf.

Wichtige Herren in den Ministerien fanden’s gar nicht lustig. „Die wilden Tiere haben aus der Wilhelma zu verschwinden“, teilte man dem Schöchle mit. Der griff zu einer weiteren List. Eine der Löwendamen hatte Nachwuchs bekommen. Der Zoo-Chef lud den neuen Finanzminister zur Löwentaufe ein. Offensichtlich wusste dieser nicht, was in seinem Haus diskutiert wurde, dass man dort nämlich die Wilhelma, inzwischen ein Halbzoo, zum reinen botanischen Garten zurückführen wollte. Im Anblick der putzigen Löwenbabys wünschte sich der Minister öffentlichkeitswirksam, „dass diese Löwenkinder die Stamm-Mütter eines kräftigen Löwengeschlechts in der Wilhelma sein werden“. So ist es gekommen. Immer mehr wilde Tiere landeten in der Wilhelma.

Mit einem Mitarbeiter fuhr Schöchle in den 1950ern nach Karlsruhe, um persönlich beim dortigen Naturkundemuseum ein Krokodil namens Fritz abzuholen, wie in seinen Memoiren nachzulesen ist. Für den Transport banden die beiden Fritz das Maul zu und stülpten einen Sack über den Kopf. Auf der Autobahn gelang es Fritz, sich zu befreien. Ein entfesseltes Krokodil machte sich auf der Rückbank bemerkbar. Schöchle kurbelte die Scheiben des Autos unter. Draußen war es unter null Grad. Gleichzeitig schaltete er die Autoheizung aus. Die Bewegungen des Kaltblüters, notierte der Wilhelma-Vater in seinem Buch, seien immer langsamer geworden. So landete Fritz, bevor er seine Fahrer auffressen konnte, ungefüttert und etwas hungrig in der Wilhelma.

Ebenfalls eine Legende ist Tierpfleger Heinz Scharpf, der Seelöwen fütterte und damit Generationen von Wilhelma-Besuchern begeistert. Nach 50 Dienstjahren ging er 2005 in Rente. „E-vi, Bel-la, Ar-no“, so rief er übers Bassin. Mit seinen Schützlingen unternahm er keinen Ausflug in die Stadt. So etwas ist auch heute nicht mehr denkbar. Da würden Tierschützer protestieren.

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facebook.com/Album.Stuttgart

. Das Stuttgart-Album ist im Silberburg-Verlag als Buch erschienen.