Der Grafikdesginer Ufuk Akci hat Buchstaben mit Geschichte an der Wand hängen ... Foto: privat

Der Designer Ufuk Akci sammelt Fassadenschrift. Die rote „farbe“ an seiner Wand stammt von Radio Barth. Als das legendäre Gebäude abgerissen wurde, spendierte er den Bauarbeitern einen Kasten Bier – und bekam Buchstaben, mit denen Erinnerungen leuchten.

Stuttgart - Der Designer Ufuk Akci sammelt Fassadenschrift. Die rote „farbe“ an der Wand seiner Wohnung stammt von Radio Barth. Als das legendäre Gebäude abgerissen wurde, spendierte er den Bauarbeitern einen Kasten Bier – und bekam Buchstaben, mit denen Erinnerungen leuchten.

Zu den architektonischen Glanzpunkten der Stadt zählte das Gebäude nicht, trotzdem vermissen es viele heute noch – wegen seiner inneren Werte: das 1966 seltsam schräg am Rotebühlplatz erbaute Domizil von Radio Barth. Der wuchtige Klotz aus grobem Waschbeton war das Tor zu einer neuen, verheißungsvollen Welt aus Pop und Rock. Dieses Tor lud ein ins gelobte Land, in die Heimat der E-Gitarre, in ein Land mit drei Buchstaben: U und S und A.

Wann immer auf der Facebook-Seite unseres Geschichtsprojekts Stuttgart-Album ein Foto des legendären Musikertreffs gepostet wird, der 1995 in die Insolvenz geraten ist, rauscht eine Riesenwelle von Wehmut auf die Kommentarleiste zu. Absender sind häufig Exil-Schwaben. Aus den USA etwa schrieb eine gebürtige Stuttgarterin mit dem Facebook-Namen Sigrid Pancake hocherfreut: „Vielen Dank für die schönen Erinnerungen! In den 1960ern habe ich bei Radio Barth gearbeitet. Wir waren ein tolles Team! Noch heute haben wir Mitarbeiter Kontakt miteinander.“ Das Fachwissen der Belegschaft ist Legende. Wer dem Verkäufer und Don-Quijote-DJ Herbert Kühner, den man „Mister Allwissend“ nannte, noch so falsch den Refrain eines Songs vorsummte, den er im Radio gehörte hatte, bekam umgehend die gewünschte Single ausgehändigt.

Viele Jahre ging das gut, doch die Konkurrenz der Elektromärkte mit den Schnäppchenpreisen wuchs. Manch ein Kunde ließ sich bei Radio Barth gewohnt leidenschaftlich beraten, kaufte aber dann dort, wo’s billiger war. Noch bevor der Kassettenrekorder wie einst die Dinosaurier ausstarb, endete nicht nur in Stuttgart die Ära der klassischen Radio- und Musikhäuser. Die Medienketten hatten gewonnen.

Das 1878 von Robert Barth gegründete Unternehmen, das 1966 in den Neubau am Rotebühlplatz gezogen war, hatte schon längst seine Belegschaft nicht mehr bezahlen können, als draußen an der Fassade noch immer die Schrift „farbfernsehen Grundig“ an eine Zeit erinnerte, als die Bilder in den meisten Televisions-Empfangsgeräten daheim schwarz-weiß waren. Nicht alles ist nach dem Abriss des Radio-Barth-Gebäudes im Jahr 2000 untergegangen. Teile der Reklameschrift befinden sich heute in der Wohnung von Ufuk Akci. Seit seiner Studentenzeit sammelt der Grafikdesigner Fassadenbuchstaben und führt seit 2008 das Label Kesselkind, das mit Stuttgart-Motiven wie dem Fernsehturm auf T-Shirts erfolgreich ist (siehe www.kesselkind.com).

Als Fan des Stuttgart-Albums hatte Akci auf unserer Facebook-Seite begeistert die Serie von Nachtaufnahmen verfolgt, die über 30 Jahre alt sind. Diese Scans von Dias stammten von unserem Leser Wolfgang Schönig aus Ditzingen. Bei seinen nächtlichen Streifzügen durch Stuttgart hatte er 1980 seine neue Spiegelreflexkamera testen wollen. „Da ich mir für meine Canon A E 1 ein lichtstarkes 50-mm-Objektiv mit Blende 1:1,4 gekauft hatte, lag es nahe, Nachtaufnahmen zu fotografieren “, schrieb Schönig.

Auf seinen großartigen Aufnahmen sieht man, wie auf der Königstraße noch Schienen liegen, wie sich gegenüber der Commerzbank das Modegeschäft Lorenz befindet, das ebenfalls nur noch Geschichte ist. Auf weitere „verschwundene Dinge“ wies Schönig bei seinem Foto vom noch immer vertrauten Musikhaus mit der Farbfernseh-Werbung hin: „Nicht nur Radio Barth gibt es nicht mehr – auch die Firma Grundig existiert nicht mehr.“ 2003 hatte das von Max Grundig aufgebaute Unternehmen für Unterhaltungselektronik mit Sitz in Fürth und Nürnberg Insolvenz anmelden müssen – als Markennamen besteht Grundig heute weiter.

Von Barth gibt es noch alte Plastiktüten, Walkmen, die bis heute funktionieren (wie Kommentatoren unserer Facebook-Seite versichern), Instrumente – und eben Buchstaben der Fassadenschrift, die der 1972 in Stuttgart geborene Ufuk Akci sich und der Nachwelt überliefern wollte. Über sein kleines Stuttgart-Museum daheim informierte der Grafikdesigner die Internetgemeinde des Stuttgart-Albums, als er das Barth-Bild von Wolfgang Schönig gesehen hatte.

Wie er zu diesem Schatz gekommen ist? Akci erzählte uns die schöne Geschichte: „Als das Gebäude im Jahr 2000 abgerissen wurde, habe ich einfach die Bauarbeiter gefragt. Ich habe einen Kasten Bier spendiert. Das motivierte die Bauarbeiter so sehr, dass sie mir die Buchstaben runtergetragen haben. Ich habe sogar von dem Schriftzug Grundig vier Buchstaben sichern können. Ich musste damals mehrmals mit meinem Fiat Uno die Buchstaben abtransportieren, da sie doch recht groß waren. Was die restlichen Buchstaben betrifft, gehe ich davon aus, dass diese heimlich nachts entfernt wurden.“

Was fehlende Buchstaben bewirken können, hatten clevere Menschen nach dem Ende des Musikhauses 1996 bewiesen. Sie schraubten vom Schild „Radio Barth“ die letzten beiden Buchstaben ab. Mit ihrer Radio Bar wurde das Gebäude, das für den Neubau City Plaza weichen musste, noch einmal zu einem jungen Zentrum der Stadt.

Schicken Sie historische Fotos an: info@stuttgart-album.de. Diskutieren Sie im Internet mit unter:

www.facebook.com/Album.Stuttgart

. Das Stuttgart-Album ist mit Texten von StN-Redakteur Uwe Bogen als Buch im Silberburg-Verlag erschienen.