Das Neue Schloss - zehn Jahre nach Kriegsende ... Foto: Tobo Macoby

In den 1950ern haben die Stuttgarter Nachrichten eine Aktion zur „Rettung des Neuen Schlosses“ gestartet. Nach der Kriegszerstörung war der Spätbarockbau jahrelang nur eine leere Hülle. Es gab sogar Pläne, dort ein Mineralbad zu errichten.

In den 1950ern haben die Stuttgarter Nachrichten eine Aktion zur „Rettung des Neuen Schlosses“ gestartet. Nach der Kriegszerstörung war der Spätbarockbau jahrelang nur eine leere Hülle. Es gab sogar Pläne, dort ein Mineralbad zu errichten.

Stuttgart - Auf dem Beweisfoto sehen wir einen Mann, der inmitten einer amüsierten Menschenmenge erhöht steht – ganz in Grün gekleidet mit Hut und Mantel. „Auch 1955 wurde schon getwittert“, hat Thomas Mack zu dieser Aufnahme geschrieben, die er dem Stuttgart-Album geschickt hat. Sein Vater Willy Mack hat das Foto vor der Ruine des Neuen Schlosses gemacht. Damals kannte jedes Kind in Stuttgart den zwitschernden Mann in Grün – man nannte ihn Vogeljakob.

Mit einem feuchten Plättchen auf der Zunge konnte er unzählige Vogelstimmen nachmachen. Auf dem Volksfest und dem Weihnachtsmarkt verkaufte der Vogeljakob mit großem Erfolg sein Zwitscherding.

Hätte man damals wirklich so getwittert, wie man’s heute tut, hätte folgender Tweet unter dem Hashtag #schlossretten im Netz starten können: „Die wollen das Neue Schloss abreißen und ein Bankhaus hinbauen! Wehrt euch!“ Und der Nächste hätte zur „Montagsdemo vor der Ruine“ aufgerufen.

Zehn Jahre nach Kriegsende ist immer noch unklar, was mit der einstigen Pracht von württembergischen Herzögen und Königen geschehen soll. Was die Kriegsbomben vom Neuen Schloss übrig gelassen haben, ist nur noch Fassade. Die einen plädieren für den Abriss. Die Demokratie, argumentieren sie, bräuchte nicht die Repräsentation eines Königreichs. „Eine Barbarei ohnegleichen“, schreiben die Stuttgarter Nachrichten und sammeln Unterschriften zur Rettung des Neuen Schlosses.

Es ist die Zeit der Luftschlösser. Während eine amerikanisch-schweizerische Bankengruppe vorfühlt, ob sie nach dem Abriss der Ruine ihre deutsche Hauptverwaltung an dieser Stelle errichten könnte, träumt der Architekt Eugen Mertz von Bad Stuttgart. Als Quelle neuen Wohlstands will der Cannstatter Stuttgart zur Kur- und Bädermetropole machen. In langen Leitungen soll das Cannstatter Mineralwasser bis zum Schlossplatz sprudeln, das Neue Schloss zum Kurhotel, das Kunstgebäude zur Trinkhalle, die Akademie zur Badehalle und der Olgabau zum Kurcafé werden. Doch weil die Stadt zu dieser Zeit vor allem Wohnungen braucht und keine Kurpromenade, geht Eugen Mertz mit seinen Plänen baden. Viele Jahre später stellt sich heraus, dass die Idee des Cannstatters so gesponnen gar nicht war. Beim Bau der U-Bahn stößt man auf Mineralquellen. Mertz hätte also auf lange, teuere Leitungen verzichten können. Am Schlossplatz kauft er das zerstörte Hotel Marquardt und eröffnet darin ein Kino und ein Theater.

Es dauert bis April 1955, bis die Entscheidung über das Schloss fällt. Mit nur einer Stimme Mehrheit lehnt der Landtag einen Plenarsaal im Schloss ab. Im Dezember 1956 wird beschlossen, das Parlament im Akademiegarten zu bauen. Nun kann das zwischen 1746 und 1807 erbaute Schloss mit Bürgerspenden gerettet werden. Beide Zeitungen in Stuttgart rufen dazu auf – es kommen 90 000 Mark zusammen. Im März 1964 wird nach fünfeinhalbjährigem Wiederaufbau der Mittelbau des Neuen Schlosses seiner Bestimmung übergeben. Finanz- und Kultusministerium beziehen die Seitenflügel.

Heute wird daran gedacht, die Politik und die Beamten aus dem Schlossgebäude zu vertreiben und stattdessen ein Bürgerschloss mit vielen Attraktionen zu machen. Diese Idee von Kommunikationsgestalter Johannes Milla wird auch auf der Facebook-Seite des Stuttgart-Albums eifrig diskutiert. „Was spräche gegen ein gemütliches Restaurant oder Café, kombiniert mit einer Begegnungsstätte für Bürger?“, fragt Roland Nordmann. Und Marc Simianer warnt: „Ich hatte im Neuen Schloss beruflich zu tun und war bitter enttäuscht. Es erinnert an die Saloons in den Wild-West-Filmen, die eine tolle Fassade haben, aber dahinter eine schäbige baufällige Hütte verbergen. Innen ist das Schloss billigste Beton-Verwaltungsarchitektur mit Bürotrakten.“ Andere Internet-Besucher des Stuttgart-Albums denken mit Wehmut an den Vogeljakob zurück, den Twitterer vor der Schlossruine. „Ich konnte immerhin eine Amsel nachmachen“, schreibt Lee Keenle. Und Tom Wörner fährt noch heute der Schreck in die Glieder: „Ich hab’ das Stimmplättchen als Junge verschluckt und bin fast daran erstickt.“

Im Internet finden Sie das Geschichtsprojekt Stuttgart-Album unter www.facebook.com/Album.Stuttgart. Schicken Sie historische Fotos an: info@stuttgart-album.de. Im Silberburg-Verlag ist das Stuttgart-Album als Buch erschienen.