Im Innenhof von Stuttgarts ältestestem Autohaus, eine Aufnahme von 1906 Foto: Archiv

Dort, wo die Sozialistin Clara Zetkin wohnte, eröffnete Heinrich Eichmann 1904 sein Autohaus – heute ist es das älteste der Stadt. Mit dem Tatra aus Tschechien wollte der Autopionier das Fahren ohne Pferde erschwinglich machen. Nicht nur Reiche sollten sich Benzinkutschen leisten können.

Dort, wo die Sozialistin Clara Zetkin wohnte, eröffnete Heinrich Eichmann 1904 sein Autohaus – heute ist es das älteste der Stadt. Mit dem Tatra aus Tschechien wollte der Autopionier das Fahren ohne Pferde erschwinglich machen. Nicht nur Reiche sollten sich Benzinkutschen leisten können.

Stuttgart - Wie kam der Kotflügel zu seinem Namen? Sollten Sie, liebe Leserinnen und Leser, in der Sendung „Wer wird Millionär?“ sitzen und Günther Jauch Ihnen diese Frage stellen – beim Antworten würden sie nach der Lektüre des Stuttgart-Albums schnell zu Potte kommen. Der Kotflügel könnte auch Kotabweiser heißen, würden Sie wissen, was noch eindeutiger klingt.

Der Begriff stammt aus der Zeit, als Autos selten waren und Pferdekutschen das Stadtbild bestimmten. Was die Pferde fallen ließen, gefiel den gut betuchten Besitzer der ersten Kraftfahrzeuge ganz und gar nicht. Nicht nur, dass sie mit ihrem neuartigen Gefährt auszurutschen drohten – die Räder wirbelten den Pferdemist nach oben und trafen womöglich den Fahrer.

Ein Schutz musste her. So wurde der Kotflügel erfunden. Und es galt, auf weitere Gefahren zu achten. Das Lenkrad befand sich in den Anfängen des Autos auf der rechten Seite, damit der auf der rechte Seite fahrende Führer eines pferdelosen Wagens frühzeitig einen Graben am Straßenrand sehen und darauf reagieren konnte.

Wir schreiben das Jahr 1904. Es gab noch keine Führerscheinpflicht, als Heinrich Eichmann in Stuttgart, der Wiege des Automobils recht nahe gelegen, an der Alexanderstraße 36 seine „Garage“ eröffnete, aus der viele Jahrzehnte später das Autohaus Albrecht-Deffner geworden ist, heute die älteste KfZ-Werkstatt der Stadt.

Viele Jahrzehnte später fanden Historiker heraus: In dem 1898 erbauten Haus zwischen zwei Straßen am Olgaeck, in dem Eichmann seinen Betrieb eröffnete, hatte die Frauenrechtlerin und Sozialistin Clara Zetkin bis 1903 im vierten Stock gewohnt. Der Legende nach war Lenin bei ihr zu Besuch, als Häscher ihn ergreifen wollen. Er soll bei der Flucht in den Innenhof gesprungen sein, in dem noch heute Autos repariert werden. Diese geografische Übereinstimmung steht zwar nicht in Zusammenhang mit Eichmanns Autohaus-Gründung. Aber wer weiß, vielleicht sickern solche Geschehnisse in den Boden und geben dem Ort eine gewisse Aura, die bis in spätere Generationen hält?

Der Sohn des Firmengründers Eichmann – auch sein Vorname lautete Heinrich – hatte keine Kinder. Irgendwann wurde das Autohaus verkauft, bekam den neuen Namen Albrecht-Deffner – und seit den 1980ern ist eine Frau die Chefin, ein großer Fan von alten, restaurierten Fahrzeugen. Jeannette Scholz hat also allen Grund, die Befreiung der Frau und die Schönheit von Oldtimern in einem Atemzug zu nennen.

Frauen spielten in der Geschichte des Automobils schon immer eine große Rolle. Bertha Benz brach 1888 zur ersten Fernfahrt mit einem Auto auf und holte sich für die 106 Kilometer lange Strecke zwischen Mannheim und Pforzheim den Kraftstoff in Apotheken. Und einem Mädchen namens Mercedes verdankt der Konzern mit dem Stern rund um den Globus seinen erfolgreichen Markennamen. Ursprünglich verkaufte die 1890 gegründete Daimler-Motoren-Gesellschaft ihre Fahrzeuge nicht unter diesem Namen. Zur Jahrhundertwende nahm der Autohändler Emil Jellinek an der Rennwoche in Nizza teil. Seinem Daimler-Fahrzeug gab er den Namen seiner Tochter Mercédès Jellinek. Der für die Marke bekannte Mercedes-Stern wurde 1909 als Warenzeichen eingetragen – seit 1910 ist er das Kühlersymbol.

In der Geschichte des Automobils steht immer wieder Stuttgart an der Spitze. Die erste Autodroschke erregte 1897 Aufsehen, als sich der Mechaniker Friedrich Greiner damit vor dem Stuttgarter Hauptbahnhof – damals noch an der Schlossstraße, der heutigen Bolzstraße – zwischen den Kutschern aufstellte. Es handelte sich dabei um eine umgebaute Pferdedroschke. „Mit verhältnismäßig schwachem Motor fuhr der Wagen durch die Stadt“, schreibt der „Schwäbische Merkur“ 1931 in einem Artikel zu den Anfängen des Automobils. Und weiter ist zu lesen: „,Töf, töf’ riefen die Buben hinterher. Nur auf der Landstraße konnte ein beschleunigtes Tempo angeschlagen werden, das hieß damals etwa 40 km in der Stunde.“

Nur wenige konnten sich Anfang des vergangenen Jahrtausends ein Auto leisten. Heinrich Eichmann holte deshalb einen nicht so teuren Wagen für das Volk aus Tschechien. 1923 übernahm der Werkstatt-Pionier, zu dessen Kunden der König von Württemberg gehörte, die Tatra-Vertretung. Ein T 11 kostete damals 4900 Reichsmark. 

Über seine Fahrt in einem Tatra 4 von Berlin nach Stuttgart schrieb er: „Auf der etwa 700 Kilometer langen Fahrt, welche ich in anderthalb Tagen zurücklegte, schwanden die noch im Geheimen gehegten Zweifel über das einwandfreie Arbeiten der Gebläse-Luftkühlung bei stundenlange ausdauernder Leistung.“ Den Platzhirschen von Mercedes gefiel die Billigkonkurrenz der tschechischen Automarke gar nicht – sie machten Eichmann das Leben schwer.

Ob Tatra oder Mercedes – bei Überlandfahrten hatte alle Autofahrer dasselbe Problem. Außerhalb der Stadt gab es immer noch mehr Pferdekutschen als Autos. Die Kraftfahrer, so schrieb der „Schwäbische Merkur“, würden nur wenig Rücksicht „auf scheuende Pferde“ nehmen, die das „moderne Ungetüm“ noch nicht kannten. Sie hofften bestimmt, der Mist ihrer Pferde würde nicht immer von Kotflügeln abgehalten.

Das Stuttgart-Album ist als Buch im Silberburg-Verlag erschienen. Schicken Sie Fotos an info@stuttgart-album.de