Im Stuttgarter Schlossgarten waren am 30. September 2010 mehrere Stuttgart-21-Gegner von harten Strahlen aus zwei Wasserwerfern zum Teil schwer verletzt worden. Der Rentner Dietrich Wagner wurde mehrfach am Kopf getroffen und erblindete. Er trat beim Prozess als Nebenkläger auf. Foto: dpa

Das Stuttgarter Landgericht hat den Wasserwerfer-Prozess im Zuge von Stuttgart 21 am Mittwoch eingestellt. Die Gegner des Bahnprojekts sprechen von einem "Justizskandal".

Stuttgart - Gut vier Jahre nach dem blutigen Wasserwerfer-Einsatz gegen Stuttgart-21-Demonstranten hat das Landgericht den Prozess gegen zwei Polizeiführer eingestellt. Die Strafkammer ziehe den Schlussstrich, da sie die Schuld der beiden Angeklagten als gering ansehe, sagte die Vorsitzende Richterin Manuela Haußmann zur Begründung. Das habe sich im seit Juni laufenden Verfahren herausgestellt. „Eine Verurteilung wäre nicht angezeigt gewesen“, sagte sie. Damit zog sie den Zorn von mehreren S-21-Gegnern im Saal auf sich, die ihren Unmut lautstark äußerten - bis der Saal und schließlich das ganze Gerichtsgebäude geräumt werden musste. Der Prozess war erst kürzlich bis in den März hinein angesetzt worden. Von den noch zwölf ausstehenden Zeugen seien aber in der Sache keine neuen Erkenntnisse zu erwarten gewesen.

Teilweise hätten diese Zeugen schon angekündigt, nicht aussagen zu wollen. Erkenntnis der bisherigen Verhandlung sei es, dass die beiden Angeklagten damals keine direkten Anweisungen an die Besatzungen der Wasserwerfer gegeben hätten - weder zur Art der Wasserabgabe noch zum Druck des Strahls. Ein Kommandant und der Staffelführer der Wasserwerfer waren vom Amtsgericht Stuttgart bereits im Sommer 2013 zu Freiheitsstrafen von sieben Monaten auf Bewährung verurteilt worden.

Bevor die Vorsitzende Richterin ihre Entscheidung am Mittwoch erläutern konnte, musste der einmal mehr voll besetzte Saal des Landgerichts wegen andauernder Proteste der Projektgegner geräumt werden. Die Vorsitzende Richterin hatte diese Ordnungsmaßnahme angedroht, nachdem die Verhandlung mehrfach durch Zwischenrufe oder Beifall gestört worden war. Anschließend skandierten rund 100 Projektgegner im Gericht ihre bekannten „Oben bleiben“-Rufe. Schließlich wurde das ganze Gebäude geräumt.

Beim Antrag auf Einstellung des Verfahrens berief sich die Kammer auf Paragraf 153a der Strafprozessordnung. Die beiden Polizeiführer müssen im Gegenzug je 3000 Euro an die Kinderkrebsstiftung zahlen. Ihnen war fahrlässige Körperverletzung im Amt vorgeworfen worden, weil sie nicht eingeschritten waren, als der Einsatz aus dem Ruder lief und mehrere Menschen von harten Strahlen aus den Wasserwerfern zum Teil schwer verletzt wurden. Ein Rentner wurde mehrfach am Kopf getroffen und erblindete. Ein Bild, das ihn mit blutenden Augen zeigt, ging um die Welt. Er trat als Nebenkläger auf.

Der ganze Prozess sei „eine Farce“ gewesen, sagte der 70-Jährige sichtlich enttäuscht. Ohnehin hätten hier nur bedingt die Richtigen auf der Anklagebank gesessen. „Sie sind nicht die, die das Ganze angezettelt haben.“ Er hoffe nun wenigstens auf eine materielle Entschädigung, womöglich in einem weiteren Prozess. Zu seinem Vorwurf, dass sich eigentlich auch noch die höhere Entscheidungsebene und möglicherweise auch Politiker vor Gericht verantworten müssten, sagte Richterin Haußmann: Das Landgericht sei kein Gremium zur allgemeinen Aufarbeitung des Einsatzes. Auch der mögliche politische Einfluss auf die Polizei, den Projektgegner immer noch vermuten, habe in diesem Verfahren nur im Bezug auf die Angeklagten eine Rolle spielen dürfen.

S21-Gegner sprechen von einem "Justizskandal"

Gegner des Bahnprojekts sprachen von einem „Justizskandal“. Matthias von Herrmann, Sprecher der Initiative Parkschützer, die damals gegen die Baumrodungen im Schlossgarten gekämpft hatten, sagte, es könne gar nicht sein, dass so ein Prozess „im entscheidenden Moment abgebrochen wird“. Der nächste Zeuge etwa wäre der Führungsassistent vom damaligen Polizeipräsidenten Siegfried Stumpf gewesen, der den Einsatzbefehl seines Chefs für die Wasserwerfer an die Polizeiführer im Schlossgarten weitergab. Auch ein Demo-Sanitäter, der die Verletzten versorgte, hätte demnächst gehört werden sollen.

Die juristische Aufarbeitung der Ereignisse am „Schwarzen Donnerstag“ ist damit aber noch nicht abgeschlossen. Laut Staatsanwaltschaft sollen die Ermittlungen gegen Ex-Polizeichef Stumpf Anfang nächsten Jahres abgeschlossen werden. Noch bis Ende dieses Jahres sollten die Ermittlungen gegen Ex-Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) wegen uneidlicher Falschaussage im Landtag abgeschlossen sein, hieß es.

Mappus soll den Untersuchungsausschuss zum Polizeieinsatz angelogen haben. Er hatte behauptet, nie Einfluss auf polizeiliche Einsatzfragen genommen zu haben. Unterlagen des Innenministeriums belegen angeblich das Gegenteil. Die Staatsanwaltschaft ermittelt auch gegen den früheren Landespolizeipräsidenten Wolf-Dietrich Hammann und den ehemaligen Ministerialdirektor Bernhard Bauer - ebenfalls wegen des Verdachts der Falschaussage.