Ministerpräsident Winfried Kretschmann und sein Verkehrsminister Winfried Hermann (li.) Foto: dpa

Winfried Kretschmann bekommt im Ringen mit der SPD um Stuttgart 21 den ersten Kratzer ab.

Stuttgart - Die Landesregierung kann ihr Streitthema Stuttgart 21 nicht abschütteln. Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) muss auf Druck der SPD die Stuttgart-21-Jahresrate in Höhe von 50 Millionen Euro nun doch an die Bahn überweisen.

Am Montag noch hatte Hermanns Ministerium erklärt, dass die Jahresrate aus mehreren Gründen einbehalten werde. Ein wesentliches Argument dabei war, dass der Minister den Ende 2009 geschlossenen Stuttgart-21-Finanzierungsvertrag für verfassungswidrig hält.

Hermann folgte damit der Linie von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Der hatte als Grünen-Fraktionschef im November 2010 ein Rechtsgutachten des Berliner Professors Hans Meyer mit eben jeder Aussage präsentiert.

"Ernstzunehmende Einwände" gegen Finanzierungvertrag

Die Berichterstattung unserer Zeitung über die Weigerung, an die Bahn zu zahlen, beschäftigte am Dienstag und Mittwoch das Staats-, Finanz- und Verkehrsministerium. Klar ist: Der Koalitionspartner SPD war über das Vorgehen des Verkehrsminsisters nicht informiert. Weder Vize-Regierungschef Nils Schmid noch dessen für Stuttgart 21 zuständige Finanz-Staatssekretär Ingo Rust wussten von einem Brief des Verkehrsministeriums an Bahn-Vorstand Volker Kefer. Im Schreiben vom 25. August heißt es, es gebe "ernstzunehmende Einwände, dass der Finanzierungsvertrag zu Stuttgart 21 gegen Art. 104 a Abs. 1 GG verstößt. Diese Vorschrift untersagt Mischfinanzierung von Bund und Land ganz grundsätzlich". Selbst wenn man dieser Vorschrift nicht folge, orientiere sich "die Höhe der Finanzierungsbeiträge offensichtlich nicht am Anteil der jeweiligen Verpflichtung zur Aufgabenwahrnehmung".

Im Brief wird Kefer um Verständnis dafür gebeten, dass "Steuergelder nur auf einwandfreier rechtlicher Grundlage verausgabt werden dürfen" - und die 50-Millionen-Rate daher zunächst nicht beglichen werde.

SPD-Genossen frohlocken

Die Rate umfasst aber nicht allein Landesgeld. Im Finanzierungsvertrag heißt es, dass "das Land und seine Partner" Beiträge zahlen. Damit sind die Stadt und die Region Stuttgart gemeint. Die Stadt überwies bereits am 1. Januar ihre 3,156 Millionen. Die Region zahlte am 1. April 12,5 Millionen Euro. Allerdings nicht an die Bahn direkt, sondern an das Land. Man könne sich nicht vorstellen, "dass das Land unseren Anteil nicht weiter gegeben hat", erklärte Stadtsprecher Markus Vogt am Mittwoch: "Das wäre ja Vertragsbruch!". "Wir kommentieren das Vorgehen des Landes nicht", sagte Dorothee Lang, Sprecherin des Regionalverbands.

Kommentare gab es dagegen von den Sozialdemokraten. Hermann betreibe mit seinem Vorgehen den Bruch der Koalition. Er habe sich weder mit der SPD, noch mit den entscheidenden Teilen im Staatsministerium abgestimmt, heißt es. Doch keiner der echauffierten Genossen will sich namentlich zitieren lassen. Das Vorgehen des Ministers sei gefährlich, weil man im Koalitionsvertrag eine Volksabstimmung über die Landesbeteiligung an dem laut Bahn 4,1 Milliarden Euro teuren Projekt vereinbart habe. Stelle man den Vertrag in Frage, könne es keine Volksabstimmung geben.

Debatte über die Mitfinanzierung wird weiter gehen

Am Mittwochabend erklärte Hermanns Sprecher Edgar Neumann, das Vorgehen sei sehr wohl mit Ministerpräsident Kretschmann abgestimmt gewesen. Man habe "die rechtlichen Bedenken im Hinblick auf die Zahlungen an die Bahn formuliert." Angeblich kannte Kretschmann auch den dreiseitigen Brief an Volker Kefer.

Wenn das so ist, hat nicht nur Winfried Hermann erneut eine Niederlage erlitten. Auch Kretschmann selbst bekäme im Ringen mit der SPD um Stuttgart 21 den ersten Kratzer ab. Ihr Chef Nils Schmid habe sich bei der Auszahlung durchgesetzt, frohlocken die Genossen, Hermann könne wohl nach dem Volksentscheid sein Büro räumen.

Die Debatte über die Mitfinanzierung von Bahnhof und Tunnelstrecken wird weiter gehen. Der Verfassungsrechtler Joachim Wieland fordert laut "Stern", die Nichtigkeit der Finanzierungsverträge gerichtlich feststellen zu lassen. Eine Klage habe "kaum Erfolgsaussichten", halten die Juristen für Stuttgart 21 dagegen.