Mit der brachialen Gewalt des Vollernters geht es den Bäumen im Rosensteinpark an den Kragen. Foto: Leif Piechowski

Die Bahn hat im Rosensteinpark weitere Bäume gefällt. Der Verkehrskonzern hat aber offenbar – wie schon vor Rodungen im Schlossgarten – den Artenschutz bei der Planung vernachlässigt. Das Eisenbahnbundesamt verweigert bisher die Fällgenehmigung für alle Bäume.

Stuttgart - Der Baum hat keine Chance. „Alarm, aufhören, Drecksack!“, ruft ein Stuttgart-21-Gegner dem Holzfäller zu. Der fährt von seinem Führerhaus aus einen Greifarm aus, umfasst damit einen Teil des Stamms – und zwickt ihn einfach ab. Abzwicken heißt es im Holzrodungsjargon, wenn sich ein baggerähnliche Apparat den Stamm greift. In Wirklichkeit macht sich dieser so genannte Vollernter mit brachialer Gewalt am Holz zu schaffen. Es knackt kurz, im Bruchteil einer Sekunde ist der Stamm ab.

Rund 110 Bäume fällt die Bahn im Rosensteinpark in den nächsten Tagen vor allem auf diese Weise. Auf der Fläche der Ehmannstraße entsteht im Zuge von Stuttgart 21 ein Zugkreuzungsbauwerk. Die Straße wird zu dem Zweck in den angrenzenden Rosensteinpark verlegt, weshalb auf eine Länge von 300 Metern Bäume weichen müssen. Später sollen dort „wesentlich mehr Bäume neu gepflanzt werden“, so ein Sprecher aus dem S-21-Kommunikationsbüro.

Um 5 Uhr am Dienstag ist der Fälltrupp angerückt, hat Absperrungen errichtet und begonnen, erste Stämme zu schlagen. Die Begleitmusik zum Röhren des Fällaggregats liefern laut Polizei rund 80 Projektgegner, von denen ein Teil später in der Innenstadt und im Rathaus weiterdemonstriert. Um den Bereich der Fällarbeiten zu sichern, bietet die Polizei mehr als hundert Beamte auf.

Die Demonstranten sind wohl das kleinste Problem, das die Bahn mit der Fällaktion im Nordbahnhofviertel hat. Mit dem Artenschutz tut sich der Verkehrskonzern um ein Vielfaches schwerer. Zwar hat das für den Park zuständige baden-württembergische Wirtschafts- und Finanzministerium das Roden der Bäume gestattet. Als Projektpartner sei das Land dazu verpflichtet, erklärt eine Sprecherin gegenüber unserer Zeitung. Ausnahme: „Nicht gestattet ist die Fällung der Bäume, die Bestandteil der Planänderung wegen des Juchtenkäfervorkommens sind.“

Vokabeln wie abgelehnt oder neuer Antrag benutzt die Bahn nicht

Der Planänderungen gibt es bei Stuttgart 21 viele, meistens verkomplizieren oder verzögern sie den Baufortschritt – siehe die Grundwasserhaltung im Bereich des künftigen Tiefbahnhofs. Ähnliches droht womöglich auch an der Ehmannstraße. Denn für sieben Bäume verweigert das Eisenbahnbundesamt (Eba) die Fällgenehmigung. Die entsprechende Planänderung hat die Bonner Behörde bereits am 4. Oktober abgelehnt. Bezüglich des Artenschutzes gab es „wesentliche formelle und inhaltliche Mängel“. Soll heißen: Der streng geschützte Juchtenkäfer lebt in besagten sieben Bäumen oder wird dort vermutet. Letzteres gilt auch für die ebenfalls geschützten Fledermäuse. Das Eba rechnet damit, dass die Bahn „für die Lösung des artenschutzrechtlichen Konflikts eine Änderung der Landschaftspflegerischen Begleitplanung anstrebt und deswegen einen erneuten Antrag stellen wird“. Inhaltlich bedeutet dies: Es braucht bessere Maßnahmen zum Schutz der Käfer, womöglich neue Gutachten und die Anhörung der Naturschutzverbände. Das kann dauern, doch die gesetzlich festgelegte Periode, in denen Bäume gefällt werden dürfen, endet am 28. Februar.

Vokabeln wie abgelehnt oder neuer Antrag benutzt die Bahn nicht. Das Eba habe das Artenschutzkonzept an den Konzern „zurückgespielt“, formuliert ein Sprecher, das Konzept gelte es „nachzuschärfen“. Etwa mit sogenannten Totholzpyramiden: Gefällte Bäum mit Juchtenkäfern werden an anderer Stelle aufgeschichtet, damit sich die Larven in Ruhe entwickeln können. Damit habe man in den Braunkohlerevieren in der Lausitz gearbeitet, „was nicht funktioniert hat“, weiß der Regionalgeschäftsführer des Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (Bund), Gerhard Pfeifer.

Neben dem Bund kommt am Dienstag auch Kritik von den Grünen: „Die Bahn zerstört wieder ohne Not den Park, denn sie kann erst mit dem Bauen beginnen, wenn alle Bäume gefällt sind“, heißt es in einer Mitteilung der Stuttgarter Landtagsabgeordneten der Öko-Partei. Dem widerspricht die Bahn. Auch wenn einige Bäume zunächst stehen blieben, könne auf dem Gelände mit der Einrichtung der Baustelle begonnen werden. Wie das aussehen könnte, erklärt der Fahrer einer Fällmaschine: „Es ist fast auf den Zentimeter genau vorgeschrieben, wie weit ich mich den Bäumen nähern darf, um nicht die Wurzeln zu beschädigen.“

Pause hat der Mann am Dienstag mehrere Stunden lang. Von der Bahn beauftragte Inspektoren nehmen jeden Baum unter die Lupe, mit Sonden prüfen sie Löcher in der Rinde, entnehmen sogenannten Mulm und untersuchen ihn auf Juchtenkäferkot. Nachfragen lassen die Experten unbeantwortet. Sie hätten Anweisung, keine Auskünfte zu erteilen. Offenbar haben sie einen Siebenschläfer entdeckt, der sich schon in Winterschlaf befindet. „Auch dieser Baum bleibt zunächst stehen“, so der Bahn-Sprecher.