Bahnchef Rüdiger Grube, Tunnelpatin Simone Herrmann und Vize-Regierungschef Thomas Strobl (von linsk) haben den Tunneldurchschlag mit gefeiert. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Die Bahn hat das erste Teilstück der Röhre nach Cannstatt ausgebrochen, kann aber wegen Artenschutzproblemen nicht weiter bauen. Die Stadt wappnet sich inzwischen für den von der Bahn angestrengten Prozess um die Mitzahlung.

Stuttgart - Rund 500 Gäste hatte die Bahn am Montag zum Durchschlag eines Teils der vom Hauptbahnhof nach Bad Cannstatt führenden, 3507 Meter langen Tunnelröhre geladen. 70 Meter unter der Birkenwaldstraße wurde das letzte Stück eines 2,5 Kilometer langen Abschnitts ausgebrochen. Nach 33 Monaten ist die Strecke vom Rosensteinpark zum Tiefbahnhof zurückgelegt.

„Ein wichtiger Meilenstein ist gesetzt“, sagte Bahn-Chef Rüdiger Grube. Die Attraktivität der Schiene gewinne, die Bahn habe die Risiken im quellfähigen Anhydrit „absolut unter Kontrolle“. Der stellvertretende Ministerpräsident Thomas Strobl (CDU) sagte, Stuttgart 21 sei ein „echter Standortvorteil und Beitrag zur Nachhaltigkeit“. Der Berliner Verkehrsstaatssekretär Norbert Barthle (CDU) erklärte, es gebe im Bundestag von der Opposition viel Fragen zu ungeklärten Punkten bei S 21, der Durchschlag sei ein „schöner Tag für alle“.

Projektchef: Erfolgreiches Jahr

Beim Projekt werden für jede Fahrtrichtung je eingleisige Tunnel parallel gebaut, im Zulauf zum Tiefbahnhof entstehen auf kürzeren Strecken zweigleisige Röhren. Insgesamt konnte die Projektgesellschaft bisher rund 23,6 von 58,8 Kilometern ausbrechen. Nur beim Fildertunnel werden eine Bohrmaschine und Fertigteile eingesetzt.

„Wir haben ein außerordentlich erfolgreiches Jahr hinter uns“, sagte Projektchef Manfred Leger. Tunnelpatin Simone Herrmann, Ehefrau von Regionalpräsident Thomas Bopp, zollte den Bauarbeitern ihre Hochachtung. „Gemeinschaft ist hier besonders wichtig, man muss sich aufeinander verlassen können“, so Herrmann. Marcelino Fernández Verdes, Vorsitzender des Vorstands der Hochtief AG, sprach von einem der anspruchsvollsten Abschnitte im Projekt. „Ein historisches Ereignis, das Projekt geht in Riesenschritten weiter“, sagte Georg Brunnhuber, Vorsitzender des Vereins Bahnprojekt Stuttgart–Ulm e. V.

Weiterbau ist noch nicht möglich

Nach den Weihnachtsferien werden die Mineure ihre Arbeit wiederaufnehmen, auf dem weiteren Weg unter dem Rosensteinpark zum Neckar sind sie aber durch ein Artenschutzproblem auf unbestimmte Zeit ausgebremst. Um den Tunnel bis an den Neckar vorantreiben zu können, benötigt die Bahn neues Baurecht. Das ist beantragt, die Anhörung Betroffener lief seit Mai 2016, die Ergebnisse wurden am Montag dem Eisenbahn-Bundesamt (Eba) zugeleitet. Ohne Stellungnahmen von Bundesministerien und der EU zur Juchtenkäfer-Problematik kann das Eba das Verfahren aber nicht abschließen. Bereits vor August 2015 habe man die Bahn auf die EU-Beteiligung für den Eingriff in das Park-Schutzgebiet hingewiesen. Die Unterlagen, die das Bundesumweltministerium benötige, seien am vorigen Freitag eingereicht worden. Der Rohbau der beiden Röhren nach Bad Cannstatt soll nach dem aktuellen Bauzeitenplan im Herbst 2019 fertig sein. Das Projekt ist aber an mehreren Stellen in Verzug und würde laut Bahn Ende 2023 statt 2021 fertig. So sollte bereits Ende 2015 die erste Stütze im Schlossgarten für das Hallendach des Bahnhofs stehen. Sie werde „sehr bald wachsen“, sagte Manfred Leger, man brauche Ausnahmegenehmigungen, die sehr schwierig einzuholen seien.

Streit um Finanzierung

Probleme hat die Bahn nicht nur auf der Bau-, sondern auch auf der Finanzierungsseite. Sie will bis zum Jahresende die Projektpartner auf die Übernahme von 65 Prozent der vom Bahn-Aufsichtsrat akzeptierten Mehrkosten von zwei Milliarden Euro verklagen.

Die Stadt hat unter anderem zur Klageabwehr das Rechtsanwaltsbüro Dolde/Mayen beauftragt und eine Juristin mit außertariflicher Vergütung eingestellt. Überdurchschnittliche Kenntnisse im Prozessrecht seien gefordert, hieß es in der Ausschreibung. Die Stelle wird mit Andrea Hermesmeier, derzeit Rechtsamtsleiterin in Pforzheim, besetzt werden. Man schaffe mit dem externen Auftrag und der Bestellung „keine Doppelstruktur“, so Stadtsprecher Andreas Scharf. Die Materie sei komplex.

OB Kuhn: An Problemen nicht vorbeireden

OB Fritz Kuhn (Grüne), der an der Durchschlagsfeier teilnahm, lehnt wie das Land jede weitere Kostenbeteiligung ab. Im Umfeld der Feier „gibt es keinen gesonderten Termin zwischen dem OB und Vorstandschef Rüdiger Grube“, teilte Scharf auf Anfrage mit. Kuhn hat zusammen mit Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) eine Sondersitzung des Lenkungskreises zu Stuttgart 21 beantragt. Beide wollen Aufklärung über die Bau- und Betriebsrisiken durch Anhydrit, wie sie in einem Gutachten im Auftrag der Bahn beschrieben wurden. „Das Projekt wird der Stadt gut tun“, sagte Kuhn, man müsse es schnell zu Ende bringen und Verbesserungen bei den Anschlüssen in Feuerbach und Bad Cannstatt diskutieren. Man dürfe an Problemen „nicht vorbeireden“, die Zusammenarbeit vor Ort sei gut.

Die Projektgegner bezeichneten den Tunneldurchschlag am Montag als „Ablenkungsmanöver“. Der Bahn müsse das Wasser bis zum Hals stehen, wenn sie für ein Teilstück solchen Aufwand treibe. Das besagte Gutachten stelle Betriebstauglichkeit und Kosten von Stuttgart 21 „nachhaltig infrage“, so Eisenhart von Loeper, einer der Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21. Die Bahn müsse Antworten liefern.