Illustration: Lange

Die SPD-Fraktionsvize liebäugelt offen mit der Opposition - und brüskiert so den grünen Koalitionspartner. Doch ihr Chef pfeift sie prompt zurück.

Stuttgart - In der grün-roten Landesregierung tobt ein offener Streit um das Ob und Wie der Finanzierung des Flughafenbahnhofs plus. Die Sozialdemokraten befürworten über ihren Fraktionschef Claus Schmiedel einen Sonder-Finanztopf für Verbesserungen der bisherigen Stuttgart-21-Planung am Flughafen. Die Grünen lehnen diesen kategorisch ab. Die SPD legte in dem Streit am Freitag nach. Man sei „nicht mit den Grünen verheiratet“, sagte Schmiedels Stellvertreterin Rosa Grünstein auf Anfrage unserer Zeitung. Bei den teuren Änderungen am Flughafen könne es „eine Mehrheit ohne die Grünen geben“. CDU und FDP haben ihre Arme für die Sozialdemokraten bereits ausgebreitet.

Bahn, Land, Stadt und Region Stuttgart sowie der Flughafen haben sich vertraglich verpflichtet, maximal 4,526 Milliarden Euro für die neue Bahn-Infrastruktur zu zahlen. Wird sie teurer, und das wäre mit dem Flughafenbahnhof plus der Fall, greift eine Sprechklausel im Finanzvertrag. Bahn und Land würden die Frage, ob und wer wie viel zusätzlich zahlen muss, absehbar in einem Rechtsstreit klären. Im Koalitionsvertrag ist ausdrücklich festgeschrieben, dass das Land keinen Cent über die zugesagten 930,6 Millionen Euro hinaus gibt.

 Auch der neue Bahnhof auf den Fildern ist Teil der alten Finanzvereinbarung

Die Klippe Koalitionsvertrag kann umschifft werden, sagt die SPD. Der Bahnhof am Airport samt Anbindung der Nah- und Fernzüge aus Richtung Singen sei eine völlig andere Planung als jene, die dem Finanzvertrag zugrunde liege. „Man muss das getrennt sehen und rechnen. Die Verbesserung wäre vernünftig und ist nur jetzt möglich“, hofft Grünstein auf „pragmatische Gespräche“ mit den Grünen. Deren Verkehrsminister Winfried Hermann ließ am Freitag über seinen Sprecher ausrichten, dass die „klare Linie“ nicht verlassen werde. Für die Grünen heißt das: Auch der neue Bahnhof auf den Fildern ist Teil der alten Finanzvereinbarung, der Kostendeckel von 4,526 Milliarden Euro wird nicht gelupft, es gibt keinen zusätzlichen Vertrag. Die Ansage steht. SPD-Finanzstaatssekretär Ingo Rust versuchte die Lage am Freitag zu beruhigen. SPD und Grüne seien „offen für pragmatische Lösungen“, so Rust.

Der neu konzipierte Flughafenbahnhof soll 224 Millionen Euro teurer werden als die bisherige Lösung. Dafür würde der bisherige S-Bahnhof unter den Terminals erhalten bleiben, kritischer Mischverkehr mit Fern- und Regionalzügen fände dort nicht statt. Würden die bisherigen Finanzierungsanteile von Stuttgart 21 auf den Bahnhof umgerechnet, müsste die Landeshauptstadt 14,5 Millionen Euro zusätzlich zahlen.

Der Gemeinderat hat 2009 beschlossen, eine solche Frage durch einen Bürgerentscheid klären zu lassen. Daran hat der SPD-Kreisvorsitzende Dejan Perc am Freitag erneut erinnert. Man „verbitte sich jedwede Einmischung von außen“, und es sei „empfehlenswert, sich mit den lokalen Akteuren kurzzuschließen, wenn man als Landespolitiker zu kommunalen Fragen Stellung bezieht“, schoss der erklärte S-21-Gegner Perc einen Giftpfeil auf Schmiedel ab. Am Flughafen, so Perc, würde nichts Neues, sondern ein laut Bahn bestens geplanter Halt nun anders gebaut. Perc: „Ich wüsste nicht, warum man da Geld geben sollte.“

Streit im Gemeinderat wird wohl der neue OB Fritz Kuhn moderieren

Womöglich hat Schmiedel, der seit 38 Jahren in kommunalen, regionalen und dem Landesparlament sitzt, sich bei der Finanzfrage mit lokalen Akteuren verständigt. Hans H. Pfeifer, Vizefraktionschef der SPD im Gemeinderat, zeigte am Freitag eine gewisse Wendigkeit. Bei der Finanzierung sei erst mal das Land gefordert, so Pfeifer. Wenn die Stadt zahlen müsste, wolle er in Sachen Bürgerentscheid „nicht ausschließen, dass wir einen neuen Beschluss fassen“. Es gebe auch „im Gemeinderat eine Mehrheit ohne die Grünen“, so Pfeifer. Die SPD könne den beschlossenen Bürgerentscheid zusammen mit CDU, FDP und Freien Wählern kippen. Pfeifer: „Das sehe ich nicht problematisch.“ Die Wortwahl erinnert an jene von Rosa Grünstein.

Den Streit im Gemeinderat wird voraussichtlich der neue Oberbürgermeister Fritz Kuhn moderieren. Der Grüne tritt am 7. Januar die Nachfolge von Wolfgang Schuster (CDU) an. Zwei Wochen später, am 21. Januar, läuft das Ultimatum von Bahn-Technikvorstand Volker Kefer ab. Ohne Finanzspritze will die Bahn die alte Lösung mit dem Mischverkehr im S-Bahnhof umsetzen.

Die CDU im Landtag scheint an ihrer Oppositionsrolle erstmals Gefallen zu finden. „Wir sind uns mit SPD und FDP bei Stuttgart 21 einig“, sagt die verkehrspolitische Sprecherin Nicole Razavi. Man brauche zur Zusatzfinanzierung nun vor allem noch den S-21-Projektpartner Flughafen, sagt Razavi. Der gehört mehrheitlich dem Land.

Rülke reagiert mit "großer Zustimmung" auf das Angebot der Landtags-SPD

Auch der Vorsitzende der FDP-Landtagsfraktion, Hans-Ulrich Rülke, tut in einer Pressemitteilung seine "große Zustimmung" zum Angebot der Landtags-SPD kund, bei der Umsetzung des Projekts Stuttgart 21 gemeinsam gegen die Grünen vorzugehen. "Wo die SPD im Landtag vernünftige Politik machen will und es mit den Grünen nicht schafft, da steht die FDP gerne zur Verfügung", sagt Rülke.

Als bemerkenswert bezeichnet der FDP-Fraktionschef den Zustand der Koalition. Einst sei es eine Liebesheirat gewesen und jetzt spreche man bereits von einer offensichtlich annullierten Ehe, die nie existiert habe." Die SPD profitiert vom gesellschaftlichen Fortschritt. In früheren Zeiten hätte man noch die Zustimmung des Papstes gebraucht, um eine bereits vollzogene Ehe für ungültig zu erklären."

Schmiedel verspricht den Grünen mittlerweile Koalitionstreue

Fraktionschef Claus Schmiedel schloss inzwischen einen Alleingang der SPD hingegen aus. Er versprach den Grünen Koalitionstreue. Wenn die Bahn eine genaue Kalkulation vorlege, würden Grüne und SPD einen gemeinsamen Beschluss zur Beteiligung des Landes an den Kosten fassen, betonte er. Er fügte hinzu: „Die SPD hat die feste Absicht, auch über 2016 hinaus mit den Grünen zusammen in Baden-Württemberg zu regieren.“