Welche Lichtblicke gibt es im Leben? Suche das Licht im Wald. Foto: Tina Pflumm

Lärm, muffige Büroluft, ein stetiger Kampf gegen die Zeit, ständiges Zerrissensein - Stress macht uns krank. Dagegen gibt es eine Medizin, die der Mensch seit jeher für sich genutzt hat: den Wald. Mitunter hat die Corona-Pandemie dem sogenannten Waldbaden zu einem wahren Boom verholfen. 

Haigerloch-Bad Imnau - Kurzarbeit, Isolation, Kontaktbeschränkungen, Reisewarnungen und auch der Wunsch, sein Immunsystem zu stärken, haben viele Menschen in die Natur gelockt. Lange Zeit hieß es, dass nur esoterische Spinner einen Baum umarmen. Ein Blick nach Bad Imnau in den Waldbade-Kurs von Entspannungstherapeutin Silke Schmocker vermittelt ein ganz anderes Bild. Teilnehmer aus den unterschiedlichsten Altersklassen und Berufsgruppen lassen sich mit voller Ernsthaftigkeit auf das Thema ein. Sie alle haben ein gemeinsames Ziel: Ballast ablegen und neue Kraft tanken. Während des rund zweistündigen Aufenthaltes unter Bäumen wird gelacht, geschwiegen - und es fließen auch Tränen. 

Was ist Waldbaden?

Laut Definition versteht man unter Waldbaden das achtsame, absichtslose Schlendern und Verweilen im Wald, bei dem alle Sinne weit geöffnet werden. Es geht also nicht um einen flotten Spaziergang. Schließlich heißt es nicht "Waldschwimmen". Einige Übungen/Anreize sind in unserer Bilderstrecke zu sehen. Es geht alleine oder auch in der Gruppe. Jeder sollte jedoch seinen eigenen Weg finden, die lauten Dinge des Lebens auszublenden um die Ruhe zu finden. 

Wie gesund ist Waldbaden?

Silke Schmocker klärt ihre Kursteilnehmer auf: "Bei einem Waldspaziergang atmen wir Stoffe ein, mit denen Pflanzen untereinander Botschaften austauschen, sogenannte Terpene. Dies sondern die Pflanzen ab, um untereinander Botschaften auszutauschen, mit dem Ziel, Schädlinge, Pilze und Bakterien abzuwehren. Sie stärken unser Immunsystem." Japanische Forscher vermuten, dass diese Botenstoffe sogar körpereigene Killerzellen stimulieren. Somit sei es möglich, Krebserkrankungen zu verhindern. 

Tief durchatmen wirkt befreiend, das spürt man sofort in der grünen Umgebung. Fest steht, dass Waldluft 90 Prozent weniger Staubteilchen enthält als Stadtluft. Kein Wunder also, dass das bewusste, "laute" Atmen eine zentrale Übung des Waldbadens ist.

Wissenschaftlich belegt

Wie immer, braucht die Menschheit wissenschaftliche Belege. Wirkt das echt? Die Japaner lieferten darauf bereits in den 80er-Jahren die Antwort. Dort ist Shinrin-Yoku, das Baden im Wald, mittlerweile ein Teil der nationalen Gesundheitsfürsorge. 2012 wurde an japanischen Universitäten sogar ein eigener Forschungszweig für "Waldmedizin" eingerichtet.

Inzwischen wird viel zum Thema Heilkraft des Waldes geforscht. Bereits 1984 erschien beispielsweise eine Studie zur gesundheitlichen Wirkung des Waldes im Wissenschaftsmagazin "Science". Demnach wirkt allein der Anblick von Bäumen messbar positiv. Patienten, die nach einer OP aus dem Krankenhausfenster ins Grüne schauten, wurden schneller gesund als die, die nur auf eine Hausmauer sahen. Zudem hätten sie weniger Schmerzmittel benötigt. 

Wie oft sollte man Waldbaden?

Schon ein kurzer Spaziergang im Wald kann helfen, Stress zu reduzieren, bestätigt eine Studie der US-amerikanischen Universität Michigan. Demnach genügen 20 Minuten täglich im Grünen, um das Level an Stresshormonen, die den Bluthochdruck erhöhen, zu vermindern. 

Nicht nur eine Modeerscheinung

Ein berühmter Verfechter der Naturmedizin ist Kulturanthropologe und Ethnobotaniker Wolf-Dieter Storl. Er ist davon überzeugt, dass unsere Verbundenheit mit den Bäumen tiefe und innige evolutionäre Wurzeln hat: "Waldbaden ist in Mode, weil wir Menschen uns so weit von der unmittelbaren Natur entfernt haben. Viele von uns verbringen die meiste Zeit in elektronischen virtuellen Welten, in schnellen Verkehrsmitteln und innerhalb von vier Wänden. Wir sind aber eigentlich Geschöpfe des Waldes; als Spezies haben wir uns in den letzten 65 Millionen Jahren in einer Umwelt, die aus Bäumen bestand, entwickelt. Der Wald ist die eigentliche Heimat unserer Seele. Schon immer haben wir Entspannung und Erneuerung unserer Lebenskraft im Wald gefunden. Das moderne „Waldbaden“ (Shinrin-Yoku) belegt das lediglich mit wissenschaftlichen Zahlen", erklärt uns Storl.

Sich der Natur respektvoll bedienen

In Süddeutschland haben wir wundervolle Wälder. Wer sich seine "Naturpille" holen will, sollte jedoch Regeln beachten, um den Lebensraum Wald nicht allzusehr zu stören.

Lesen Sie dazu: Mehr Besucher im Wald schaden bedrohten Arten und Betreten verboten? Warum der Wald uns allen offen steht.

Der im Allgäu wohnhafte Wolf-Dieter Storl hat uns verraten, dass für ihn der Schwarzwald eine ganz besondere Energie ausstrahlt: "Der Schwarzwald bietet, trotz der vielen Touristen, eine ursprüngliche, vitale Natur. Man hat den Eindruck, als seien die Gnome und Naturgeister ganz nahe. Ich liebe den Schwarzwald, deswegen veranstalte ich seit vielen Jahren dort Pflanzen- und Baum-Workshops."

Probieren statt studieren! Man sollte sich seine Auszeit im Grünen gönnen. Mit oder ohne Kurs. Auch bei Nebel oder Regen kann das Baden im Wald Wellness für Körper und Geist sein.