Nicht nur die Fritz-Kiehn-Straße wird umbenannt, sondern auch der Kindergarten nach 60 Jahren. Foto: Reinhardt

"Nazizeit in Deißlingen nicht aufgearbeitet." Auch Kindergarten bekommt nach rund 60 Jahren endlich einen Namen.

Deißlingen - Schon mehrfach wurde über das Thema Fritz Kiehn und die gleichnamige Straße im Deißlinger Gemeinderat diskutiert. Immer wieder kam Verwunderung in der Bevölkerung auf, warum eine regionale "Nazi-Größe" mit einer Straße geehrte werden müsse.

Am Dienstagabend machten die Deißlinger Gemeinderäte nun einen endgültigen Schnitt an die Sache. Die Fritz-Kiehn-Straße wird umbenannt. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung: neun Ja-Stimmen, vier Stimmen für Nein und vier Enthaltungen. Auch der Kindergarten in dieser Straße bekommt nach rund 60 Jahren endlich einen Namen nämlich "Kindergarten in der Au".

Reichstagsabgeordneter der NSDAP

Wer war dieser Fritz Kiehn? Kiehn wurde 1885 geboren und gründete nach dem ersten Weltkrieg in Trossingen die Efka-Werke, das Zigarettenpapier herstellte. Doch dem "egomanisch und geltungssüchtig" veranlagten Kiehn genügte dieser Erfolg nicht. So sah er mit dem Aufkeimen des Nationalsozialismus seine Chance, politischen Einfluss zu gewinnen und sich diesen wirtschaftlich zunutze zu machen. Neben diversen NS-Parteiämtern war er auch Reichstagsabgeordneter der "NSDAP" von 1932 bis 1945. Dabei pflegte er Kontakt zur Führungsebene der Nazis und der "SS". Kiehn kann also keineswegs nur als Mitläufer, sondern vielmehr als überregionale Nazi-Größe bezeichnet werden. Mit fragwürdigen Methoden gelang es Kiehn, viele Firmen weit unter Wert zu übernehmen, indem er seine NS-Kontakte nutzte. Nicht nachvollziehbar ist, dass Kiehn im Entnazifizierungsprozess 1949 als "minderbelastet" eingestuft wurde. Kiehn versuchte auch nach dem Krieg wieder schnell zu wirtschaftlichem Erfolg und gesellschaftlichem Ansehen zu kommen. Dies gelang ihm schnell, nicht zuletzt durch einen Landeskredit in Millionenhöhe.

Kiehn wollte Reputation wiederherstellen

Durch erneut gut gepflegte Kontakte in entsprechende gesellschaftliche Kreise und durch hohe Geldspenden wollte er seine Reputation wiederherstellen. Auch hierbei war er erfolgreich, was Gemeinderatsmandat und wiederhergestellte Ehrenbürgerwürde in Trossingen sowie andere Ehrentitel belegen.

Die Verbindung zwischen Fritz Kiehn und der Gemeinde Deißlingen, so Bürgermeister Ralf Ulbrich, begann nach dem Krieg. Auf der Suche nach dringend benötigten Arbeitskräften für seine Efka-Werke, war Kiehn auch bald im Umland präsent. Dabei sei er auch in Deißlingen um gute Kontakte bemüht gewesen, die er mit dem damaligen Bürgermeister Reuter pflegte.

Dies führte dazu, dass Kiehn im Jahr 1961 eine Spende für den Neubau des Kindergartens tätigte, mit der die künstlerische Ausstattung durch Romuald Hengstler und Siegfried Haas, sowie das Mobiliar der Schwesternwohnung finanziert wurde. Der Betrag belief sich nach Aktenlage auf 15.000 DM bei Baukosten für den gesamten Kindergarten von 300.000 DM.

Verwaltung meint: Umbenennung löst Problem nicht

Der damalige Gemeinderat bedankte sich für diese Spende im Gegenzug mit der Benennung der Straße, die zum Kindergarten führte. Verfolgt man Presseberichte von damals, so Bürgermeister Ralf Ulbrich, wurde aber ausdrücklich nur die Straße und nicht der Kindergarten nach Fritz Kiehn benannt. Einen Namen selbst für den Kindergarten gibt es bis heute nicht.

Festzuhalten sei ebenfalls, dass Kiehn in Deißlingen erst nach dem Krieg aufgetaucht ist und wie in vielen anderen Gemeinden bemüht war, durch Geld und Kontakte seine Reputation wiederherzustellen. Dabei stieß er vermutlich auf eine Gesellschaft, der nichts wichtiger war, als nach den Wirtschaftswunderjahren die Geschichte der NS-Diktatur hinter sich zu lassen.

Aus Sicht der Verwaltung löse eine Umbenennung der Fritz-Kiehn-Straße nicht das Problem der eigenen Geschichte, sondern sie sei geradezu der Versuch, Geschichte aus der Rückschau zu tilgen. Anstelle der Tilgung von belasteten Namen wäre eine offene Auseinandersetzung um deren Taten und Vergehen viel wünschenswerter und zukunftsgerichteter.

"Nazizeit in Deißlingen nicht aufgearbeitet"

In der anschließenden, sachlichen Diskussion kristallisierte sich jedoch als Ergebnis die Umbenennung heraus. Karl Wolfgang Staiger hatte in der Bürgerfrageviertelstunde bereit um die Umbenennung geworben. Bruno Bantle (SPD) erhob starke Zweifel, dass Kiehn erst 1949 Kiehn in Deißlingen tätig wurde. Im Rahmen der sogenannten "Gleichschaltung" 1933 waren auch einige Deißlinger Bürger ins KZ Heuberg deportiert worden und 15 Menschen seien sogar "zwangssterilisiert" worden. Für Bantle ist die Nazizeit in Deißlingen nicht aufgearbeitet. "Deißlingen hat es nicht verdient eine "Fritz-Kiehn-Straße" zu haben. Auch Peter Emminger (DUL) war der Ansicht, dass die Straße endlich umbenannt werden sollte.

Für den Kindergarten brachte Emminger den Vorschlag "Kindergarten in der Au" ins Spiel. Bernd Krause (CDU) plädierte ebenfalls für die Umbenennung der Straße. "Kiehn war ein Nazi der übelsten Art". Seine Fraktionsvorsitzende, Karin Schmeh, pflichtete Krause bei. Tobias Vierkötter (SPD) lag indessen mehr auf der Linie der Verwaltung. "Es ist meiner Meinung nach schlecht, wenn wir diesen Namen der Geschichte ignorieren." Für Vierkötter bedeute die Beibehaltung des Straßennamens keine Ehrung. Allerdings sollte der Kindergarten einen Namen bekommen "Kiga in der Au" finde er gut. Einstimmig wurde für diesen Vorschlag votiert.

Der neue Name der Straße wird in einer der nächsten Sitzung auf die Tagesordnung des Gemeinderats kommen, somit bleibe Zeit, einen Namen vorzuschlagen. Ein Name wurde schon mal genannt: Fritz Erler.