Bei dem Versuch, die hohen Feinstaubwerte in Stuttgarts Luft zu senken, hat die Operation Klebemittel begonnen. Die Stadt macht noch mit, will aber den Dauereinsatz im Winter verhindern.
Am Feinstaub-Brennpunkt Nummer1 der Republik herrscht noch tiefe Nacht, als am Dienstagmorgen ein kleines Spezialfahrzeug auftaucht. Es ist etwa 4 Uhr, als der Fahrer des kleinen Einsatzfahrzeugs, Marke Ladag, auf den Knopf drückt - und über die B14 ergießt sich ein Feinstaub-Klebemittel aus Wasser und Calcium-Magnesium-Acetat. Anders ausgedrückt: ein Mix aus Kalk, Magnesium, Essigsäure und Wasser, mit dem sich große Hoffnungen im Kampf gegen die gesundheitsschädlichen Partikel verbinden - zumindest bei Regierungspräsident Johannes Schmalzl (FDP).
Die Flüssigkeit kommt aus einem speziellen Sprühbalken, den der städtische Abfallwirtschaftsbetrieb AWS angemietet und an dem kleinen Fahrzeug montiert hat. "Damit wird die Menge genau dosiert", sagt Elke Prokopp von der AWS. Zehn Milliliter pro Quadratmeter werden in der Nähe der Messstelle mit den berüchtigten Werten auf die B14 gebracht. 2009 wurde dort der Feinstaubgrenzwert von 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft an 111 Tagen überschritten. Erlaubt sind nach der EU-Norm 35 Tage.
Von der Dosierung des Acetats hängt die Wirkung entscheidend ab, außerdem von den lokalen Verhältnissen. Das CMA, sagt Prokopp, ist ein Taumittel, das aufgrund seiner Molekülstruktur Staubpartikel besonders gut binden kann. In Klagenfurt und Lienz (Österreich) wurden in Straßennähe Reduzierungen des Feinstaubs um drei bis sieben Mikrogramm im Jahresmittel erreicht, beim Feinstaub aus dem Verkehr über die Winterzeit hinweg angeblich ein Rückgang um 20 bis 30 Prozent. Zeitweilig kam es aber auch zu mehr Unfällen - und zum Stopp der Anwendung. Deshalb warnen auch in Stuttgart Schilder, aber Sicherheitsbedenken hat das RP nicht.
Rund 16000 Euro wird der Versuch kosten, der bis Anfang März dauern soll. Ob daraus eine Dauereinrichtung wird, dürfte aber schon zur Streitfrage werden, ehe die Auswertung vorliegt. Das RP möchte, wenn der Test erfolgreich ist, nächsten Winter wieder sprühen lassen. Denn in der kalten Jahreszeit gibt es besonders viel Feinstaub in der Luft durch Dieselruß und Abrieb von Reifen und Bremsen. Die Stadt will den Dauereinsatz aber verhindern, obwohl sie sich zur Finanzierung und Umsetzung des Versuchs verpflichten ließ. Die zuständigen Bürgermeister streben an, dass OB Schuster dem Gemeinderat die Ablehnung vorschlägt. Am 21. Januar soll das Gremium darüber abstimmen und außerdem auch ablehnen, dass Autos ohne ausreichende Plakette für die Umweltzone Stuttgart noch vom Echterdinger Ei bis zum Parkhaus Albstraße fahren dürfen. Ein neues Lkw-Durchfahrtsverbot (1. März) und ein Fahrverbot auch für Autos mit roter Plakette (1. Juli) soll es gut heißen.
"Wir halten nicht viel vom Einsatz des Feinstaubklebers 100 Meter rechts und links der Messstelle", sagt Umweltbürgermeister Matthias Hahn (SPD). Die Stadt will flächenhafte Maßnahmen. Außerdem richte das Bindemittel nichts gegen die noch gefährlicheren Stickoxide aus, mit denen die Luft noch drastischer belastet sei. Ungeklärt sei auch nach Versuchen in Klagenfurt und Halle an der Saale, ob das Acetat die besonders kleinen und gefährlichen Minirußpartikel am Boden hält. Dies soll allerdings in Stuttgart genauer ausgelotet werden.
Gegen den Gemeinderat werde der CMA-Dauereinsatz nicht zu realisieren sein, meint Hahn. Dass die neue Mehrheit dort den Einsatz hinnimmt und von der Stadt auch noch bezahlen lässt, sei nicht zu erwarten, sagt Peter Pätzold (Grüne). Es handle sich um einen "weiteren krampfhaften Versuch des Regierungspräsidenten, mit absurden Mittel Gerichtsurteilen zu entgehen Eingriff in den Autoverkehr zu verhindern".