Mehr als 300 Besucher drängten sich in den Veranstaltungsraum. Fotos: Kunert Foto: Schwarzwälder Bote

Neujahrsempfang: Bundesfamilienministerin begeistert mit Klartext und Berliner Schnauze / Bravo-Rufe in Turnhalle Conweiler

Sie kann es noch – die gute alte SPD: Säle füllen, begeistern. Der Neujahrsempfang der SPD-Kreisverbände Pforzheim/Enzkreis, der Kreisratsfraktion Enzkreis, der Stadtratsfraktion Pforzheim und der Bundestagsabgeordneten Katja Mast in Straubenhardt war ein Beispiel dafür.

Straubenhardt-Conweiler. Etwa 260 Stühle gab’s in der Turn- und Festhalle Conweiler – am späten Samstagnachmittag drängten sich weit mehr als 300 Besucher in den Veranstaltungsraum. Sie alle wollten den neuen Star der deutschen Sozialdemokratie sehen: Franziska Giffey, seit einem knappen Jahr Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Pünktlich kam sie vom Termin aus Rastatt, löste die Einpeitscher Paul Renner (Kreisvorsitzender SPD-Enzkreis; Europa-Kandidat), Helge Viehweg (Bürgermeister Straubenhardt) und Katja Mast an diesem denkwürdigen Datum (19. Januar – exakt 100 Jahre Frauenwahlrecht) am Redner-Pult ab. Als eine dieser super-starken Frauen, die immer vehementer das Ruder in Politik und Gesellschaft übernehmen wollen. Sigmar Gabriel, im vergangenen Jahr Gast bei dieser Veranstaltung, lockte lange nicht so viele Neugierige – längst nicht alle SPD-Parteigänger – hinter dem Ofen hervor.

Und Giffey lässt sich gerne von der Begeisterung der Straubenhardter anstecken. "Geht’s euch gut?", der erste Satz ihrer launigen Rede. Eine gute Portion Berliner Schnauze hier im Nordwest-Zipfel Schwabens. Giffey präsentiert sich als Kümmerin, als Ergebnis-Politikerin. "Gute-KiTa-Gesetz", "Starke-Familien-Gesetz", Neuregelung der Pflege-Ausbildung (Abschaffung Schulgeld, Einführung einer – hohen – Ausbildungsvergütung ab dem ersten Jahr) – im GroKo-Streit gingen viele Ergebnisse der sozialdemokratischen Regierungsarbeit bisher unter. Giffey arbeitet charmant und eloquent dagegen an. Und kommt damit an beim Publikum. Am Ende wird sie mit Standing Ovations gefeiert werden – und den Abschied aus Straubenhardt immer noch ein bisschen mehr herauszögern, obwohl ihr Linienflieger ab Stuttgart sicher nicht auf sie warten würde.

Frauen für Kommunal-, Kreistags- und Europa-Wahl gesucht

Franziska Giffeys Karriere ist die einer Überfliegerin – auch davon erzählt sie. Geboren in Frankfurt/Oder – ostdeutsche Aufwärts-Demokratin "mit Migrations-Hintergrund", kokettiert sie mit gängigen Klischees. Aber: "Wichtig ist nicht, wo man herkommt – sondern, wer man sein will." Solche Sätze sollen mitreißen, gerade die Frauen – gerade an diesem Tag. Denn das hier ist auch bereits Wahlkampf – die Listen werden aktuell geschrieben für die anstehenden Kommunal- und Kreistags-, aber auch die Europa-Wahl. Speziell Kandidatinnen sind gesucht. Power-Frauen. Wie Giffey. Oder Mast. Oder auch Annkathrin Wulf, die neue Pforzheimer SPD-Kreisvorsitzende. Sie wird später die undankbare Aufgabe übernehmen, nach der Star-Gästin reden zu müssen – wo längst alles dem Büffet im Foyer zustrebt. Und Ministerin Giffey (mit ihren hypernervösen Personenschützern) alle Geschwindigkeitsrekorde brechen muss, um ihren Flieger doch noch zu erreichen.

Es hallt nach, was Giffey, diese charismatische blonde Frau, die als Bezirksbürgermeisterin von Berlin-Neukölln ins Regierungsviertel ("das Haifischbecken, die Schlangengrube, die Berliner Wölfe") wechselte, über ihre Art der Politik gesagt hat. Ministerin sein sei ein Privileg – das Privileg zu gestalten. Für begrenzte Zeit – die deshalb jede Sekunde genutzt gehört. Kein Platz für Streitereien – mit denen sich die Regierungskoalition vergangenes Jahr über weite Strecken selbst zerfleischt hat. Während Giffey, so der Eindruck, den sie schafft und hinterlässt, im Kielwasser dieser Eitelkeiten ihrer Kollegen ein Projekt nach dem anderen umsetzt, die den Menschen draußen im Land wirklich helfen können.

Kostenlose Kitas – mit den 5,5 Milliarden Euro zusätzlich vom Bund möglich; im Saal liegen Unterschriftenlisten aus, mit denen auch die (grün-schwarze) Regierung im Ländle zur Umsetzung dieser Forderung gezwungen, zumindest bewegt werden soll. Wertschätzung für Pflegekräfte – hier lobt Giffey Baden-Württemberg: für PIA, die praxisintegrierte Ausbildung. Der Bund übernimmt das Modell, fördert es – schafft von sich aus 5000 bezahlte PIA-Ausbildungsplätze. Kein Konjunktiv – kein "könnte", "würde", "sollte", wie man es sonst von der Politik gewohnt ist. Sondern: Vollzugs-Meldungen.

Aber diese Frau hat auch (noch) Visionen, die sie anpacken will – und man bekommt das sichere Gefühl, dass sie auch das schaffen wird. In Rekordzeit. Auch gegen das übrige politische Establishment. Das Bundesprogramm "Demokratie Leben" entfristen zum Beispiel. "’Ne tolle Sache". Weshalb keiner verstehe, warum man es auslaufen lassen wollte. Und Giffey will gegen den Rechtsruck in der Gesellschaft, gegen die "Demokratie-Gefährder", die dieses Land permanent schlecht reden, auch mit einem "Demokratie-Fördergesetz" vorgehen – das sie demnächst in den Bundestag einbringen werde. Und für das sie die Unterstützung aller hier in der Turn- und Festhalle Conweiler einfordert.

"Könnt ihr noch? Seid ihr noch okay?" Giffey weiß, dass ihr Tempo – nicht nur beim Reden – für den deutschen Michel ungewohnt ist. Das ist ihre Stärke: permanente Achtsamkeit mit dem Gegenüber. Weshalb die Ex-Bürgermeisterin aus Neukölln, in deren Amtsbereich gleich acht dieser aktuell viel zitierten "kriminellen Clans" ihr das Leben schwer machten, auch die Formulierung eines "neuen sozialdemokratischen Sicherheitsbegriffs" fordert. "Grenzen setzen, aufzeigen und durchsetzen." Das klingt nach starkem Staat, seit Helmut Schmidt nicht gerade eine Domäne der SPD. Womit auch Giffeys langfristigen Ambitionen wohl klar sein dürften. Hier in Straubenhardt wird sie dafür schon mal mit Bravo-Rufen verabschiedet – echter Balsam für die aktuell ja ziemlich geschundene sozialdemokratische Seele.