Ob Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlaments, noch auf Beistand von oben hoffte, ist nicht bekannt. Foto: Breuer/Schauer

Kein Kreischalarm, aber viel Applaus in Straßburg. Anhänger reisen sogar aus Düsseldorf an.

Straßburg - Das große Flugzeug von "Alitalia" rollt über das Landefeld des Flughafens in Straßburg. Links an der Schnauze die französische Flagge, rechts die des Vatikans. Helfer in Leuchtwesten bringen die Treppe an der Flugzeugtüre in Position, als zwei schwarze Limousinen vor dem Flugzeug parken. Kirchenvertreter eilen in das Innere der Maschine, um Papst Franziskus auf französischem Boden willkommen zu heißen. Dann taucht es auf, das Oberhaupt der Katholiken, in seinem cremefarbenen Mantel zwischen all den schwarz-gekleideten Bodyguards und Politikern. Bedächtig schreitet der Papst die Stufen hinunter auf den roten, flauschigen Teppich und schüttelt jedem der links davon steht, die Hand. Ein netter Herr flüstert ihm dabei ins Ohr, wer da eigentlich gerade vor Seiner Heiligkeit steht.

Vor dem Europäischen Parlament probt die Armee derweil den Ernstfall des Flaggenhissens. In einer Viertelstunde soll der Papst eintreffen – das reicht für die Generalprobe locker aus. Auf Kommando still stehen, die Flagge anheben, am Mast hochziehen und versteinert ins Nichts schauen, die Hand an den Mützen, während die Hymne des Vatikans und das Europalied gespielt werden. Noch schnell ein Foto von der Truppe mit der Flagge in der Hand – die des Vatikans hisst man ja schließlich wohl nur einmal im Leben – jetzt kann es losgehen.

Doch Franziskus steigt da gerade mal in seine anthrazitfarbene Limousine, flankiert von unzähligen Polizisten auf Motorrädern; vor und hinter dem Auto fahren weitere Wagen mit Polizisten und Personenschützern. Sogar ein Rettungswagen und ein Auto mit einem Notarzt darin begleiten den Papst, vorbei an einigen Fans, die geduldig bei kaltem Wind hinter den Absperrungen an der Straße stehen, bis auf das Gelände des Parlaments. Kühl ist es wohl auch dem Präsidenten des Europäischen Parlaments, Martin Schulz (SPD), auf dessen Einladung Franziskus sich überhaupt auf den Weg nach Straßburg gemacht hat. Er wartet geduldig auf dem roten Teppich vor dem Haupteingang auf den Tross, macht die braune Jacke zu, schaut auf die Uhr und hoch auf das Dach, auf dem sich zwei schwarz-gekleidete Gestalten, ausgerüstet mit Ferngläsern und einem Gewehr, auf die Lauer gelegt haben. Und dann, dann sind auf einmal die beiden Helikopter zu hören, die aus der Luft die päpstliche Karawane begleitet haben. Nur wenige Sekunden später fahren die blaublinkenden Polizeimotorräder ums Eck. Er ist da: "Bienvenue au Pape François", steht in grünen Lettern auf einem weißen Banner neben dem Willkommens-Pavillon.

Schulz heißt den Papst händeschüttelnd willkommen und führt ihn die sechs Stufen auf die Tribüne unter dem weißen Pavillon hinauf. Dank der Generalprobe läuft beim Flaggenhissen und Hymnen- spielen nichts schief – Franziskus hält bedächtig bis zum letzten Takt des Europalieds den Kopf gesenkt. Im Inneren des riesigen Parlamentsgebäudes ist zu diesem Zeitpunkt schon alles voller Politiker und Kirchenverantwortliche, alle plappern durcheinander, der Lautstärkepegel ist enorm. Auch im Straßburger Münster herrscht Andrang. Die besten Plätze für die Live-Übertragung des Papstbesuchs auf einer großen Leinwand im Kirchenschiff waren schnell weg.

"Was für ein schöner Tag. Papst François kommt zwar nicht zu uns ins Münster, aber nächstes Jahr, hat er gesagt, kommt er", freuen sich drei Frauen und ein Mann an der linken Eingangspforte – das Hauptportal blieb ausnahmsweise zu. Schon um 9.30 Uhr sind sie da gewesen und haben mit den anderen Gläubigen eine Andacht gefeiert. Jetzt kurz vor der Rede des Papstes, herrscht auch im Münster leichte Anspannung.

Die Kathedralen-Besucher können beobachten, wie sich der Papst in das große Gästebuch des Europäischen Parlaments einträgt. Mit ruhiger Hand führt er den Stift über das Papier – die Vorlage mit dem Text, den er eintragen will, sauber im Querformat ausgedruckt, liegt unter seinem Arm. Schulz führt den Papst durch die langen Gänge, die beiden parlieren auf französisch und deutsch, Franziskus lacht, begrüßt die Abgeordneten, klopft dem ein oder anderen auf die Schulter.

Nach der Besprechung im engsten Kreis und unter Ausschluss der Gesellschaft ist der Moment gekommen: Papst Franziskus betritt den Plenarsaal des Europäischen Parlaments.

500 Menschen im Münster scheinen die Luft anzuhalten. Die Ansprache im Parlament gebührt dem Hausherren Schulz, der vor lauter Nervosität fast sein kleines Rednerpult umwirft.

Der SPD-Politiker betont, dass die katholische Kirche und das Europäische Parlament dieselben Anliegen hätten: Toleranz, Respekt, Gleichheit, Solidarität und Frieden. "Wir stehen gemeinsam vor Herausforderungen", so Schulz. "Sie bieten Orientierung in der Orientierungslosigkeit", lobt er den Papst. Franziskus kramt in seiner Tasche nach dem braunen Brillenetui, setzt sich die Lesehilfe auf die Nase und beginnt seine Rede vor den Vertretern der Europäer. Im Münster übersetzt eine Straßburgerin einer Frau aus Düsseldorf die Worte des Heiligen Vaters. "Wieder zu Hause, werde ich unseren Europaabgeordneten auffordern, in den Gremien im Kreis auch so handelt", nimmt sich die Weitgereiste vor. 36 Minuten lang wird das Oberhaupt der Katholiken den Abgeordneten mit fester Stimme, aber dennoch ruhig, seine Meinung sagen. Er wird sie daran erinnern, welche Aufgaben sie haben und dass sie in Zukunft besser mit Flüchtlingen umgehen sollen. Die Abgeordneten werden fleißig mitschreiben, die Rede mit ihren Handys und Tablets aufnehmen. 14 Mal werden sie und auch die Zuschauer im Straßburger Münster dem Papst spontan applaudieren. Zum Schluss sogar mehr als eine Minute lang. Es folgt die Rede im Europarat und nach knappen vier Stunden wird Franziskus wieder in den Vatikan fliegen. Zurück bleiben werden mahnende Worte in den Ohren der Abgeordneten. Denen vielleicht Taten folgen werden.

Ein Ehepaar aus dem Enzkreis hat zwar nichts von der im Münster nur auf Französisch zu hörenden Rede verstanden, "aber seine Worte haben wir hier mit all den anderen auch so deutlich gefühlt. Der Mensch ist das wesentliche unseres Tuns", bekräftigen beide.