Stolpersteine sollen an die Verfolgten des Nationalsozialismus erinnern, bisher gibt es nur drei im Kreis Calw. Am Freitag, 18.Oktober, soll sich das mit fünf Stolpersteinen, die in Nagold verlegt werden, ändern. Initiator Gabriel Stängle spricht darüber mit unserer Redaktion.
Alle im KZ umgekommenen Menschen aus Nagold seien nach bisherigen Erkenntnissen im Rahmen von T4 vernichtet worden, sagt Gabriel Stängle, der die Stolpersteinverlegung in Nagold initiiert hatte.
Mit T4 werden die sogenannten Krankenmorde in der Zeit des Nationalsozialismus nach dem organisatorischen Sitz der Vernichtungsaktionen in der Berliner Tiergartenstraße bezeichnet.
Die Geschichte dieser unter T4 ermordeten Menschen ist dennoch jeweils sehr verschieden, wie die von Stängle formulierten Kurzbiografien zeigen, die auch bei der Stolpersteinverlegung vorgelesen werden.
Zurechnunsgfähigkeit aberkannt
Der im Mai 1888 in Nagold geborene Wilhelm Rauser beispielsweise wird wegen seiner Homosexualität in der damaligen Zeit straffällig und ist nach einem Autounfall psychisch angeschlagen. Der damalige Paragraf 42b erlaubte es dem Richter damals, ihn, „um ihn vor weiteren derartigen Verfehlungen zurückzuhalten“, die Zurechnungsfähigkeit abzuerkennen und ihn statt in Haft in eine Heil- und Pflegeanstalt gerichtlich unterzubringen. Dieses Urteil entspricht einem Todesurteil, denn alle nach diesem Paragrafen Eingewiesenen kommen bevorzugt in die Tötungsanstalt in Grafeneck.
Am Anfang habe sich die T4-Vernichtung besonders an der ökonomischen Nützlichkeit orientiert, sagt Stängle. Menschen, die aufgrund einer Behinderung nicht arbeiten konnten, wurden vernichtet. Später, wie auch der Fall von Rauser zeigt, traf die Vernichtung auch jene, deren Art zu handeln, zu fühlen oder zu sprechen einfach nicht den Vorstellungen der Nazis entsprach.
Da die Opfer der Vernichtungsaktionen meistens schon Jahre zuvor in Heil- und Pflegeanstalten verbrachten, die in der Regel außerhalb der Stadt lagen, seien sie auch zu Lebzeiten in der Stadt nicht präsent gewesen. Dadurch, dass es – unter anderem durch die Zwangssterilisierungen – in der Regel zudem keine direkten Nachfahren gebe, werde die Erinnerung an T4-Opfer wesentlich weniger am Leben gehalten als bei Opfern, von denen es noch Kinder und Enkelkinder gibt oder die im Stadtgeschehen präsenter waren.
In das Gedächtnis der Stadt zurückholen
Nichtsdestotrotz sei die Vernichtung im Rahmen von T4 so umfangreich gewesen, dass jeder achte nicht zugewanderte Deutsche im engeren Sinne mit einem Opfer der sogenannten „Euthanasie“ verwandt sei, sagt Stängle und beruft sich dabei auf den Forscher Götz Aly. Da das Thema in betroffenen Familien aber oft verschwiegen wurde und wird, wissen Verwandte oft gar nicht, dass die Großtante unter T4 im KZ ermordet wurde. Auch Stängle berichtet von überraschten Reaktionen im Rahmen seiner Recherche.
Stängle, der auch Lehrer an der Christiane-Herzog-Realschule in Nagold ist, hatte mit seinen Schülern schon vor acht Jahren die Namen der Verfolgten recherchiert. Bis es zu einer Stolpersteinverlegung kommen konnte, musste aber noch vieles geprüft werden. Da das Thema Behinderung und psychische Krankheit immer noch mit Diskriminierung zusammenhängt, müssen die Nachfahren zum Beispiel gefragt werden, ob sie das Gedenken überhaupt wollen – besonders, wenn diese noch im Ort wohnen.
Eine Motivation, die Stolpersteine aktuell zu verlegen liegt für Stängle darin, die ehemaligen Bewohner von Nagold in das Gedächtnis der Stadt, aus dem sie über Jahrzehnte gestrichen wurden, zurückzuholen. Denn die Erinnerungskultur berücksichtigte nach dem zweiten Weltkrieg zunächst eher gefallene Soldaten, Verfolgte der Nazis tauchten bis in die 80er- und 90er-Jahre nicht auf – Opfer von T4 erst seit der Jahrtausendwende, so Stängle.
Des weiteren spielt für Stängle auch eine Sensibilisierung eine Rolle, wenn es um die Einschätzung des Werts von Menschen nach ihrer scheinbaren Nützlichkeit geht. Er will „die Würdefrage in die Mitte stellen“. Wenn Menschen nicht in Würde altern und sterben können, spiele das Thema beispielsweise auch heute eine Rolle. Ein sensibles Thema sind für Stängle in dem Sinne auch manche pränatale Untersuchungen auf mögliche Behinderungen.
Denkmale wie die Stolpersteine rufen in Erinnerung, betonen die Würde – und haben keinen Erziehungsimpuls, wohin genau die damit angestoßene Reflexion geht, betont Stängle dabei. Das sei eine Stärke des Denkmals.