Und was steht im Kleingedruckten? Wahlplakate der FDP sind nichts für Kurzsichtige. Foto: Privat

Keine Wahl ohne Wahlplakate mit Kandidatenfotos. Manche sind peinlich, andere bemerkt man gar nicht. Und wieder andere können tatsächlich Interesse wecken. Eine Stilkritik.

Stuttgart - Stuttgart ist eine Stadt des Lächelns. Nur noch wenige Wochen sind es bis zur Bundestagswahl und an jeder Ecke und hinter jedem Laternenpfahl grinst ein freundlicher Mensch. Die meisten Wahlplakate der Parteien sind mit Fotos von den mehr oder weniger bekannten Bewerberinnen und Bewerbern um ein Direktmandat verziert, Plakate mit reinen Textbotschaften sind immer noch in der Minderheit. Doch nicht jeder Politiker eignet sich zum flotten Parteimodel, das die Massen verzückt. Und manchmal, wenn man wieder mal entnervt im Stuttgarter Stau an einer Ampel steht und drei Volksvertreter schauen einem grienend vom Laternenpfahl zu, möchte man nur noch schreien: „Glotzt nicht so authentisch!“

Der Marskunde-Lehrer

Die Grünen werben im Stuttgarter Wahlkreis 258 mit ihrem Bundesvorsitzenden Cem Özdemir, der vor einem froschgrünen Hintergrund mit pinkrotem Planeten und einer Sonnenblume posiert. Die Textaussage: Ein Plädoyer für den Umweltschutz. Der 51-Jährige trägt ein dunkles Sakko, ein Hemd mit Fliederton, selbstredend keine Krawatte und hat ein mildes Lächeln für seine Wähler parat. Stylish ist das nicht, aber solide.

Vertrauenerweckend wie ein Erdkunde-Lehrer vor der Klassenarbeit. Doch wer nicht weiß, dass Magenta die Komplementärfarbe zu Grün ist und aus der Ferne nicht erkennt, dass die grell leuchtende Kugel die Erde darstellt, könnte auf den Gedanken kommen, Cem Özdemir sei der „Mann vom Mars“. Das findet auch Franco Rota, der als Professor an der Stuttgarter Hochschule der Medien schwerpunktmäßig zu den Themen Werbung und Marktkommunikation forscht. Die Person auf dem Plakat wirke durch den roten Planeten im Rücken „entrückt“, der Slogan habe etwas von einer „Heilsbotschaft“. Auch sei die Versalschrift gewöhnungsbedürftig. Und farbpsychologisch betrachte stehe, so Rota, die Farbkombination Grün und Schwarz für Aggressivität. Schwierig.

Verschönerung des Lebens

Welche Botschaft Christian Lindner von der FDP den Stuttgartern zu verkünden hat, weiß nur jemand mit Adleraugen. Am Busbahnhof in Degerloch steht eine riesige Plakatwand, doch das Kleingedruckte kann man nur erahnen. Dafür sieht man um so besser den Bundesvorsitzenden der FDP, wie er gerade nach unten schaut. Ohne zu lächeln. Wischt er auf seinem Smartphone herum? Feilt er sich die Fingernägel? Keiner sieht es. Der Mann mit dem Sieben-Tage-Bart und dem Blondschopf scheint jedenfalls schwer beschäftigt zu sein. Vielleicht ein erfolgreicher Start-up-Unternehmer? Ein Aussteiger? Das Jackett hat er ja abgelegt, sein weißes Hemd ist nahezu faltenfrei, unschuldig.

Das soll wie eine Art Momentaufnahme rüberkommen, keine Pose bitte. Bloß nicht spießig. Könnte auch eine Parfümwerbung Eau de Liberté sein – wäre da nicht die vieldeutige Aussage „Ungeduld ist auch eine Tugend.“ Bei Franco Rota kommt das Plakat ganz gut an. „Es ist gut gemacht, auch ungewöhnlich, weil es keinen Zwang gibt, jemandem direkt zuzusehen bei einer Tätigkeit.“ Für den Kommunikationsprofi wirkt Lindner wie ein Philosoph. Ein solcher denke nach, worüber, sei nicht so wichtig. Die Zielgruppe? Jüngere Leute.

Ganz anders die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD), die mit einem bekannten Porträtfoto von Che Guevarains Wahlrennen geht. Gut möglich, dass gerade die jüngeren Wähler gar nicht wissen, dass der Mann mit Militärmütze und rotem Stern kein Bart-Hipster aus Berlin ist, sondern ein kubanischer Guerillaführer war. Anders Christian Lindner. Er ist ein Typ aus dem Hier und Jetzt. Ein Mann in Grau, Schwarz und Weiß, der weiß, dass er fotogen ist, nicht uneitel, um nicht zu sagen: selbstgefällig. Hier widerspricht Rota. Es gehe nicht nur um die Person. „Es ist die Ästhetisierung des Alltags“.

Wiedererkennbarkeit und Lokalkolorit

Von einer Verschönerung des schnöden Lebens kann bei den beiden folgenden Kandidaten im Wahlkreis 258 nicht die Rede sein. Stefan Kaufmann lächelt für die CDU vom Plakat herunter. Grauer Anzug, dunkles Hemd, ein überaus freundlicher Mensch mit Brille, der bloß nicht anecken will, der wirklich glücklich scheint, wie der Bräutigam im Schaufenster eines Hochzeitsfotografen. Der ist schon so nett, dass es weh tut. Das Plakat erinnert an jene Wahlwerbung aus den 80er und 90er Jahren, die Deutschlandfarben haben einen gewissen nationalen Impetus, die Plakatfarbenpalette ist wahrlich nicht zu übersehen, auch der Doktortitel nicht. Der CDU-Schriftzug hätte aber größer ausfallen können.

Doch insgesamt sei das schon okay, sagt Franco Rota, das Corporate Design kann überzeugen. „Die CDU setzt auf Wiedererkennbarkeit und Lokalkolorit, ohne ikonografisch wirklich zu sehr Old School zu sein.“ Interessant ist allerdings die Beobachtung Rotas, dass Stefan Kaufmanns strenge Kurzfrisur einer Tonsur nahe kommt, was der religiösen Wählerschaft positiv auffallen könnte, wenn auch unbewusst.

Weiße Bluse als sichere Wahl

Ob die Frisur von Ute Vogt hingegen bei den SPD-Wählern mit dem klitzekleinen Slogan „Zeit für mehr Gerechtigkeit“ ankommt, kann niemand sagen, lange, ungefärbte Haare sind zumindest bei jungen Frauen im Trend. Die 52-Jährige lächelt etwas verlegen und lasziv, ein wenig hippiesk. Vielleicht wäre der Spruch „Zeit für mehr Zärtlichkeit“ passender gewesen. Die weiße Bluse ist eine sichere Wahl, doch bei der Brille denkt man eher an ein Werbefoto für eine große Optikerkette. „Das Plakat entspricht einer vergangenen Zeit“, meint Franco Rota „auch wenn die Kandidatin zugebenermaßen authentisch rüberkommt.“