Die Schiedsrichtergilde in Deutschland kommt nicht zur Ruhe. Foto: dapd

Ex-Schiri Amerell erhebt schwere Vorwürfe gegen vier Unparteiische aus der Region.

Stuttgart - Keine Kirche ohne Sünde: Prominente Bundesliga-Schiedsrichter werden verdächtigt, Einnahmen aus Spielen nicht gesetzeskonform versteuert zu haben. Nach Informationen unserer Zeitung führt eine Spur der ermittelnden Behörden auch in die Region Stuttgart.

Hat der frühere BundesligaSchiedsrichter Manfred Amerell (64) den aufstrebenden Nachwuchs-Referee Michael Kempter (28) sexuell belästigt? Der Streit ist unappetitlich, beschäftigt die Gerichte und sorgt seit Anfang vergangenen Jahres für Schlagzeilen. Nun wird deutlich: Einer der größten Skandale im deutschen Fußball begann im Januar 2010 womöglich in einem Büro in Stuttgart-Vaihingen.

Überdies beschäftigen sich die Ermittlungsbehörden nach einer Anzeige von Manfred Amerell bei der Bezirksfinanzdirektion Augsburg in diesen Tagen zwangsläufig mit dem Verdacht einer schwarzen Kasse bei der Schiedsrichtergruppe Stuttgart - und mit Hinweisen auf steuerliche Unregelmäßigkeiten gegen vier Unparteiische aus der Region. Ausgang offen.

Spekulationen über Amerells Motiv

Betroffen sind der Bundesliga-Schiedsrichter Markus Schmidt, der Zweitliga-Referee und Fifa-Schiri-Assistent Jan-Hendrik Salver (beide aus Stuttgart), Arno Blos (Deizisau), der in der zweiten Liga an der Linie steht und in der dritten Liga pfeift, und der ehemalige Fifa-Schiedsrichter-Assistent Volker Wezel aus Tübingen-Bühl. Was die vier eint: Sie alle haben in früheren Jahren mit Amerells Kontrahent vor Gericht, Michael Kempter (Saulgau), zusammen Spiele geleitet.

Habhafte Hinweise auf konkrete Verstöße haben die Ermittlungsbehörden nach Recherchen unserer Zeitung bisher noch nicht. "Ich hatte weder Besuch von der Steuerfahndung, noch liegt sonst etwas gegen mich vor", sagt Arno Blos, "ich sehe das gelassen, ich habe mir nichts vorzuwerfen." Ähnlich argumentiert Volker Wezel: "Ich habe einen Steuerberater, der das für mich erledigt. Die Steuerbehörde hat sich bisher nicht bei mir gemeldet. Bei mir ist alles in Ordnung." Die für die Ermittlungen zuständige Staatsanwaltschaft in München bittet um Verständnis. "Es geht ums Steuergeheimnis. Wir sind zum Stillschweigen verpflichtet", sagte ein Sprecher. Jan-Hendrik Salver beantwortete die Fragen unserer Zeitung kurz angebunden: "Ich nehme grundsätzlich zu keinem Thema Stellung." Markus Schmidt war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Über Amerells Motiv lässt sich nur spekulieren. Jan-Hendrik Salver soll nach Angaben von Amerell ein Büro in Stuttgart-Vaihingen benützt haben, um im Januar 2010 ein Treffen zu organisieren, bei dem die Aussagen von Schiedsrichtern gegenüber dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) koordiniert worden seien. Michael Kempter wagte sich mit den Vorwürfen an die Öffentlichkeit, drei seiner Kollegen machten Angaben beim DFB, blieben aber anonym - bis heute. Als die Annäherungsversuche des altgedienten Funktionärs und Ex-Hoteliers aus Augsburg öffentlich wurden, begann eine bis heute währende juristische Auseinandersetzung zwischen dem DFB und dem von allen Ämtern zurückgetretenen Manfred Amerell sowie zwischen Amerell und Michael Kempter.

Behörden ermitteln gegen 20 Schiedsrichter

Amerell wirft dem Schiri aus Saulgau vor, durch dessen Vorwurf der sexuellen Belästigung seine Persönlichkeitsrechte verletzt zu haben. Die intimen Kontakte hätten im Einvernehmen mit Kempter stattgefunden. In einem Zivilprozess im Februar 2011 vor dem Landgericht Hechingen forderte Amerell 150.000 Euro Schadenersatz, die Klage wurde abgewiesen. Der ehemalige Schiri-Obmann und Förderer Kempters ging in Berufung. Jetzt verhandelt das Oberlandesgericht Stuttgart am 7. Dezember.

Nach eigenen Aussagen war der Gerichtstermin in Hechingen für Manfred Amerell nun der Anlass, "einige Angaben von Herrn Kempter" zu überprüfen. "Ich habe mal die Protokolle quergelesen und festgestellt, dass einige seiner Angaben hinten und vorne nicht stimmen können", sagte Amerell unserer Zeitung, "daraus ist ein Gesamtbild entstanden, das ich wie ein Puzzle nach und nach zusammengefügt habe." Vergangene Woche wurde bekannt, dass Michael Kempter bereits im Jahr 2009 wegen Steuerhinterziehung zu einer Geldstrafe von 23.750 Euro verurteilt worden war.

Mit seinen Erkenntnissen wandte sich Amerell mit der Hartnäckigkeit eines Mannes, der sich ungerecht behandelt fühlt, an die Augsburger Bezirksfinanzdirektion - und brachte eine Lawine ins Rollen. Es gab bundesweit Hausdurchsuchungen. Jetzt ermitteln die Steuerbehörden gegen mindestens 20 Bundesliga-Schiedsrichter, unter ihnen sind angeblich so bekannte Namen wie Felix Brych, Günter Perl, Peter Sippel, Wolfgang Stark und Michael Kempters Bruder Robert, der in der zweiten Liga pfeift.

"Es gibt keine schwarzen Kassen"

Nun kursieren Verdachtsmomente, wonach international tätige Schiedsrichterteams ihr Honorar vom Weltfußballverband (Fifa) auf Konten in Liechtenstein und der Schweiz überweisen ließen, um den deutschen Fiskus zu umdribbeln. Ein international pfeifender Schiri-Assistent kam nach vorsichtigen Schätzungen in den vergangenen zehn Jahren auf Einnahmen zwischen 125 000 und 150 000 Euro. Darin eingerechnet Einsätze in Ländern wie Thailand, China, Libyen, Katar oder Bulgarien.

Zwar sagt Amerell: "Ich bin doch nicht so verrückt und werde vom Hass getrieben." Doch das spielt in dieser Causa längst keine Rolle mehr. Den Steuerfahndern ist es egal, aus welchen Motiven eine Anzeige oder Hinweise auf ihrem Tisch landen. Sie prüfen die Vorwürfe - mit offenem Ergebnis.

Das gilt auch für die Schiedsrichtergruppe Stuttgart. Amerell hält es offenbar für möglich, dass die rund 400 Referees zählende Interessengemeinschaft unter dem Dach des Württembergischen Fußballverbands (WFV) eine schwarze Kasse unterhält. Den Anlass dazu lieferte ihm der Festakt zum 90-jährigen Bestehen der Gruppe im Januar 2009. Festredner: Manfred Amerell. Eingeladen hatte ihn Jan-Hendrik Salver, der ihm zum Dank eine Laptoptasche überreichte und 300 Euro Honorar in die Hand gedrückt haben soll. "Ich habe ihn nach der Quittung gefragt, die ich unterschreiben soll", sagt Amerell, "er wollte aber keine . Er hat geantwortet: Das machen wir immer so." Amerell legt Wert darauf, die 300 Euro dennoch in seiner Steuererklärung angegeben zu haben.

Peter Schreiner, Vorsitzender der Schiri-Gruppe Stuttgart, wundert sich: "Ja, wir führen solche Veranstaltungen durch, und es gibt ein angemessenes Honorar für die Referenten", sagt er, "aber nein, es gibt keine schwarzen Kassen." Bisher hätten die Steuerbehörden auch keinen Kontakt mit ihm aufgenommen. Der Württembergische Fußballverband überweist pro Schiri an die Schiedsrichtergruppe Stuttgart (rund 400 Mitglieder) jährlich fünf Euro für Feierlichkeiten oder Vorträge. "Und die sind vom WFV bereits versteuert", betont Schiri-Obmann Rolf Baumann.