Lothar Sieber verlor beim Start der "Natter" am 1. März 1945 sein Leben. Foto: Schwarzwälder Bote

Geschichte: Sturzflug der "Natter"

75 Jahre ist es am Sonntag her, als Lothar Sieber den ersten bemannten Senkrechtstart eines Raketenflugzeugs in der Geschichte mit der Bachem Ba 349 Natter durchführte. Er verlor dabei bei Stetten a.k.M. sein Leben.

Stetten a.k.M.. Ba-349 war ein bemanntes Raketenflugzeug, das innerhalb weniger Minuten eine Höhe von zehn bis 15 Kilometer erreichen sollte, um zum Ende des Zweiten Weltkriegs die alliierten Bomberverbände zu bekämpfen. Der Pilot und die wesentlichen Teile des Fluggerätes sollten nach dem Einsatz am Fallschirm zu Boden gleiten.

Der 22-jährige Lothar Sieber war vom Erfolg der Erprobung fest überzeugt; zum Erfinder und Chefkonstrukteur Erich Bachem hatte er vollstes Vertrauen und fieberte, genauso wie der Konstrukteur selbst, bei jedem Startversuch der Versuchsmaschine mit. Viele automatisch gesteuerte Starts von Versuchsmaschinen waren erfolgreich. Obwohl er die Explosion einer Testmaschine drei Tage vor dem ersten bemannten Start beobachtete, ließ er sich nicht von seinem Vorhaben abbringen. Doch er erkannte das Risiko und brachte am Vortag des Starts sein Testament zu Papier.

Voller Entschlossenheit bestieg Lothar Sieber am 1. März 1945 das Fluggerät auf dem Ochsenkopf des Truppenübungsplatzes Heuberg zu einer Premiere: dem ersten bemannten Start des Projekts "Natter". Der Start glückte einwandfrei: Sieber flog laut Augenzeugen dabei auch die vereinbarte Rolle, als eine Neigung des Fluggeräts eintrat.

Diese beobachteten auch, wie die Schmidding-Feststoffstarthilfsrakete abgeworfen wurde und sich die Kabinenhaube der Maschine löste und zu Boden fiel. Daraufhin verschwand die Natter in einer Wolkendecke, das Triebwerk soll zu diesem Zeitpunkt immer noch gefeuert haben. Dann die Wendung: Kurze Zeit später kam die Maschine senkrecht abwärts aus den Wolken geschossen und bohrte sich mit hoher Geschwindigkeit in den Boden. Der Flug dauerte rund 55 Sekunden. Die Bodenmannschaft wartete vergeblich auf einen Fallschirm mit dem Piloten. Nahe des Stettener Ortsteils Nusplingen fand man einen fünf Meter tiefen Einschlagkrater, einen halben linken Arm und ein halbes linkes Bein. Später wurde ein Schädelknochen ausgegraben. Sie gehörten Lothar Sieber.

Die Unfallursache sollte vertuscht werden

Die Ursache, weswegen es zu diesem tragischen Unfall gekommen ist, war eine verklemmte Schmidding-Starthilfsrakete, die Sieber nach Funkbefehl durch heftige Flugmanöver abschütteln sollte. Der Pilot warf die Haube ab, doch sein Ausstieg, um sich mit dem Fallschirm zu retten, soll ihm per Funk untersagt worden sein. Stattdessen sollte Sieber die Maschine mit dem Bremsschirm wieder stabilisieren. Dies misslang aber, da sich der Bremsschirm im Heck wegen der verklemmten Starthilfsrakete nicht öffnen ließ. Das Flugzeug bekam Rückenlage; ein Umreißen des Ruders führte schließlich zum unumkehrbaren Sturzflug.

Nach dem Unglück sollte die wahre Unfallursache vertuscht werden, um eine Überarbeitung der Konstruktion zu vermeiden. Die Natter war als Abfang-Raketenflugzeug geplant, wegen der Kriegslage war der erste bemannte Start nur schlecht vorbereitet und im wahrsten Sinne des Wortes ein Himmelfahrtskommando.

Nach Siebers Tod wurden noch weitere unbemannte Starts auf dem Heuberg durchgeführt. Das nahende Kriegsende und der Vormarsch der alliierten Truppen führten allerdings zu einem jähen Ende des gesamten Projekts Natter.

Die sterblichen Reste von Lothar Sieber wurden drei Tage nach dem Unglück, am 3. März 1945 mit militärischen Ehren auf dem Friedhof von Stetten a.k.M. beigesetzt; sein Grab kann dort auch heute noch besucht werden.

Dem 22-Jährigen wurde vor dem Flug versprochen, dass er danach zum Oberleutnant befördert werden sollte. Dieses Versprechen wurde eingelöst: Der Dienstgrad wurde ihm posthum verliehen. Doch sein früher Tod stand einer Hochzeit mit der Luftwaffenhelferin Gertrud Nauditt im Wege. Kurz vor dem Start hatte sich das Paar verlobt.

 Zum Thema "75 Jahre Natter – der erste bemannte Raketenflug" findet am Sonntag, 1. März, ab 17 Uhr eine Filmvorführung mit Gerhard Deutschmann im Gemeindehaus St. Verena in Straßberg statt.