"Villingen-Schwenningen wird bald ein Geheimtipp der internationalen Kunstszene sein." Augenzwinkernd lehnt sich Stephan Rößler, neuer Leiter der Städtischen Galerie, mit dieser Aussage aus dem Fenster. Auf jeden Fall könne er sich hier auf ein "aufgeschlossenes Stammpublikum" verlassen.
VS-Schwenningen - Nach fast einem Jahr fällt das Fazit des stellvertretenden Kulturamtsleiters positiv aus. "Ich bin angekommen", sagt er. Auch wenn der Kulturanteil am städtischen Haushalt eher im unteren einstelligen Bereich liegt und die Museen insbesondere in Schwenningen viel Entwicklungsbedarf haben, sei er dankbar für die offenen Augen und Ohren, auf die er hier gestoßen sei.
Der "Magister Artium" der Kunstgeschichte und Politikwissenschaft hat ganz genaue Vorstellungen, wie die Zukunft der Galerie aussehen könnte. Da ist zum einen ihre "Sichtbarkeit und Relevanz", die zu vergrößern er nach der Corona-Zwangspause mit seiner ersten Aufsehen erregenden Ausstellung "Digital ist besser" begonnen hat.
Auch wenn sein Zielpublikum in erster Linie die Villingen-Schwenninger seien, wie er betont, wolle er mit der Städtischen Galerie künftig auch in der überregionalen Kunstszene Erwähnung finden. Das könnte bei der nächsten, einer außergewöhnlichen Ausstellung mit dem Titel "How to access art?" (Wie finde ich Zugang zur Kunst?), die am 30. September eröffnet, schon klappen.
Wenig übers Private
Über sein Alter spricht Stephan Rößler ungern öffentlich und hält sich beim Blick auf sein Privatleben ebenfalls bedeckt. Im Oktober 2020 setzte er sich bei der Bewerbung um die Galerieleitung gegen mehrere Mitbewerber durch. Sein Lebenslauf weist breit gefächerte Kompetenzen und Erfahrungen auf, die angesichts Rößlers Lebensalters staunen lassen. Nach dem Studium an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena konzipierte er pädagogische Führungen an der Gedenkstätte Buchenwald und setzte sich publizierend mit der Rezeption des Holocaustes in der Kunst auseinander.
Als wissenschaftlicher Mitarbeiter wurde er hernach vom Kunsthistorischen Seminar in Jena übernommen. Dort war er neben der wissenschaftlichen Forschung und Lehre unter anderem mit dem Aufbau einer Mediathek betraut und realisierte die digitale Verwaltung. Er kann also auch Digitalisierung, was er in der Städtischen Galerie derzeit mit der Umsetzung eines Sammlungsmanagements sowie digitalen Formaten der bisher üblichen Ausstellungskataloge beweist. Nachhaltigkeit steht nämlich auch auf seiner Agenda.
Bevor er Galerieleiter in VS wurde, holte ihn die damalige Rektorin Petra Olschowski, inzwischen Staatssekretärin im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst, 2014 an die Staatliche Akademie der Bildenden Künste nach Stuttgart. Hier erfüllte er die verwaltenden Aufgaben eines Fakultätsgeschäftsführers und entwickelte ein Förderprogramm für Kunststudierende mit bereits abgeschlossenem Studium. Außerdem kuratierte er in verschiedenen Häusern Ausstellungen zu zeitgenössischen Positionen.
Er kennt sie also, die beiden Seiten der Kunst-Medaille. Hier die Kunstschaffenden, deren Wohl und Wehe er während seines Studiums als Mitbewohner einer Künstler-WG hautnah miterlebte, dort die Kunstszene, in der sich zu etablieren und davon auch leben zu können, ein knallhartes Geschäft ist.
Kunstgeschichte und Politikwissenschaft – seinerzeit war Rößler an seiner Uni der einzige Student mit dieser Fächerkombination. Politische Prozesse haben ihn schon immer interessiert, sagt er. Die Vereinbarkeit von Geisteswissenschaft, deren "schnöder" Verwaltung sowie der existenziellen Frage, wo sich Fördertöpfe auftun, beschäftigt ihn. "Die "Freiheit im Geiste" in Bachelor- und Masterstudiengänge zu packen, das gab es bis vor zehn Jahren noch gar nicht", nennt er ein Beispiel. Junge und noch nicht etablierte Künstler – und vor allem Künstlerinnen – will Stephan Rößler unterstützen. Entsprechende Ausstellungen zeitgenössischer Kunst sollen die Städtische Galerie künftig "bunter, diverser und zugänglicher" machen.
"Die Künstlerinnen und Künstler, die hier ausstellen, werden alle berühmt." Noch so ein Satz, der davon zeugt, wie energisch und überzeugt sich der Neue an seine Aufgabe gemacht hat.
Zukunft der Museen
Die Zusammenlegung der Museen in Schwenningen findet er richtig. Dreimal wöchentlich wird derzeit in Fachgremien über der musealen Fortentwicklung der Stadt gebrütet. "Wir planen mit Hochdruck, am Ende wird aber die Geldfrage zu beantworten sein", weiß er.
Was ist Kunst? Diese Frage sei für ihn "uninteressant", provoziert Rößler. Viel spannender sei auf der einen Seite, welche Positionen die Künstlerinnen bei ihren Arbeiten einnehmen, die sie unter welchen Bedingungen geschaffen haben, auf der anderen, welche Faszinationen das Sehen und Erkennen ihrer Werke beim Betrachter auslöse. Daher müsse man als Kurator aufpassen, nicht selbst zum Künstler zu werden, der eine Ausstellung erschafft und "dabei oft auch in die Arbeit derer, die sie ausstellen, eingreift".
Fast wäre Stephan Rößler Mediziner geworden. Gereizt habe ihn der Beruf, gescheut habe er letztlich aber den Aufwand dafür, gibt er lächelnd zu. Dass er die Medizin als "Hobby" bezeichnet, liegt vielleicht daran, dass er sein Studium mit dem Verdienst des Arzthelfers in einer Hals-Nasen-Ohren-Praxis finanzierte. Dank seiner medizinischen Grundkenntnisse führt er momentan regelmäßig die Covid-19-Tests für sein Team und das des Uhrenindustriemuseums durch.