Wer, wenn nicht die Hohenzollern? So lässt sich die Indizienkette zuspitzen, die der Historiker Stephan Malinowski in seinem neuen Buch knüpft. Schon der Titel verdeutlicht, worauf der Universitätslehrer an der Hochschule in Edinburgh hinauswill: "Die Hohenzollern und die Nazis – Geschichte einer Kollaboration".
Bisingen - Gemünzt auf die aktuelle Auseinandersetzung um die Restitutionsansprüche des ehemaligen Herrscherhauses kann das nur heißen: Die Preußen haben nach Malinowskis Einschätzung den Aufstieg Adolf Hitlers ganz unverkennbar und keineswegs vernachlässigbar unterstützt - gerade Wilhelm Prinz von Preußen (geb. 1882 in Potsdam, gest. 1951 in Hechingen). Auf den Ex-Kronprinzen als Erben kommt es im Sinne der juristischen Bewertung des Entschädigungsanspruchs insbesondere an.
Auto vermeidet juristischen Terminus
Laut Wortlaut im Regelwerk des deutsch-deutschen Einigungsverfahren steht allerdings kein Ausgleich für Enteignungen durch die Sowjets nach dem Zweiten Weltkrieg zu, wer dem NS-System "erheblichen Vorschub geleistet hat". Diesen juristischen Terminus meidet der Buchautor in der neuen Veröffentlichung. Doch bei der Buchvorstellung vor wenigen Wochen in Berlin sagt Malinowski nach Angaben der Deutschen Presseagentur unzweideutig: "Drei Generationen in dieser Familie haben mit den politisch relevanten Handlungsträgern versucht, die Republik zu zerstören und den Nationalsozialismus zu unterstützen, und zwar von Anfang bis Ende".
"Einzigartige Leistungen" auf symbolpolitischem Feld
Malinowski ist einer der Gutachter in den Entschädigungs-Verhandlungen. Bereits 2014 hat ihn das Land Brandenburg beauftragt. In seinem Buch jetzt beschreibt er den potentiellen Thronfolger als "Medienprinzen", als "Werbeträger für die Fusion der antirepublikanischen Kräfte". Freilich habe 1932 eine Rückkehr zur Monarchie, gar im Sinne einer Gegenbewegung zum Nationalsozialismus, "keinen König und kein nennenswertes Gefolge" gehabt. Zur Debatte stand laut Malinowski allein, wie das rechte Milieu zusammengefügt werden kann.
An diesem Punkt verortet der Historiker die Rolle des Kronprinzen. Malinowski schreibt: "Seine Leistungen als Vermittler zwischen Reichswehr, Stahlheim, SA, SS, NSDAP, DNVP, Herrenclub, rechten Publizisten, Großgrundbesitzern, Adelsverbänden, Kriegervereinen, Traditionsverbänden und vielem mehr, wird man als erheblich einschätzen müssen." Mehr allerdings noch: "Seine Leistungen auf dem symbolpolitischen Feld hingegen als einzigartig." Das ist aus Sicht des Wissenschaftlers, was zu sagen war.
Bedeutung der Burg Hohenzollern für junge Bundesrepublik
Doch der Horizont des Buches beschränkt sich nicht auf die Restitutionsthematik. So befasst sich Malinowski in einer bemerkenswerten Passage mit der Frage, welche Rolle der Burg Hohenzollern für die junge Bundesrepublik Deutschland zukommt. Der Hinweis des Historikers: "Möglicherweise wäre der Hohenzollernburg zumindest ein bescheidener Platz unter den Orten konservativer Selbstverständigung zuzuweisen".
Die Mitglieder des vormals regierenden Hauses seien zwar "in der bundesrepublikanischen Aufmerksamkeitsökonomie" auf hintere Plätze verdrängt worden, aber als "Darsteller eines positiven Preußenbildes" durchaus weiter wahrgenommen worden. Die brandenburgisch-preußischen Kernlande lagen nach dem Zweiten Weltkrieg in der kommunistischen Hand des Ostblockes, andere Preußenstätten gewannen folglich an Gewicht, so die Burg inmitten des neuen Bundeslandes Baden-Württemberg.
Eine aus dem Mainstream der Zeit herausragende Exklave
Dieses war 1952 gegründet worden – unter Hinwegfall des Begriffs Hohenzollern im Bindestrich-Namen. Louis Ferdinand (1907 – 1994), nunmehr Chef des Hauses, wirkte im Nachkriegsdeutschland als Idealbesetzung für ein neues Verständnis des Adelshauses und seiner Ausstrahlung in die Gesellschaft. Malinowski formuliert es so: "Was die Burg, Louis Ferdinand und der Name Preußen seit den 1950er-Jahren zu bündeln und darzustellen wussten, unterschied sich fundamental vom kriegerischen Antirepublikanismus der 1920er-Jahre".
An anderer Stelle in Bezug auf Familienfeiern, Burgkonzerte, Vortragsabende auf dem Hohenzollern: "So wurden die Burg, der modern-mondäne Chef des Hauses und eine umdefinierte Familientradition zu Bezugspunkten für Konservative und all solche, die es wieder werden wollten". Und in Anspielung auf das niederländische Exil von Kaiser Wilhelm II: "Hechingen lässt sich zwar nicht als das Doorn der 1950er-Jahre lesen, aber als eine aus dem Mainstream der Zeit herausragende Exklave".
Manfred Stolpe auf der Burg Hohenzollern
Royaler, hollywood-angehauchter Glamour umweht nun gelegentlich die Stammburg des Fürstengeschlechtes. Verheiratet war der Sohn von Ex-Kronprinz Wilhelm und Cecilie zu Mecklenburg-Schwerin mit Kira Kirillowna Romanowa, einer Urenkelin von Zar Alexander. Man freundet sich an mit rasch einzuübender Demokratie. Der Geschichtswissenschaftler von der Uni Edinburgh identifiziert die Familie Hohenzollern jedenfalls angekommen im jungen Staat: Nun allerdings nicht länger als "Akteure gegen die Republik, sondern als symbolisch herausragende Mitglieder des konservativen Milieus der Republik, von denen die nunmehr unverzichtbare Kompatibilität von konservativen Traditionen augenfällig und formvollendet dargestellt werden konnte".
Man passt sich an, Monarchiebesteck also, das sich in den Rechtsstaat des Grundgesetzes fügen lassen. Zumal sich die Bundesrepublik als aufnahmefähig wie einnehmend erweist. Immer wieder finden denn auch Bekanntheiten des parlamentarischen Systems den Weg zur Burg hoch auf die Schwäbische Alb. Ob Eugen Gerstenmaier, Kurt Georg Kiesinger, Helmut Kohl und Philipp Jenninger. Nach dem Mauerfall rückt zudem Brandenburg wieder näher.
Wie Historie so spielt: Am 17. Februar 1994 empfängt Louis Ferdinand Prinz von Preußen oben auf der Burg Brandenburgs Ministerpräsidenten Manfred Stolpe, Sozialdemokrat und Kirchenjurist. Der Besucher lädt die "Kaiserliche Hoheit" ein nach Potsdam zur 250-Jahrfeier von Schloss Sanssouci. Berührungsängste zwischen Sozialdemokratie und Adelshaus sind damals in der Kaffeerunde auf der Burg nicht zu spüren. Laut Archiv-Bericht unserer Zeitung spielt Stolpe vielmehr in kräftiger Selbstironie auf seine eigene umstrittene DDR-Vergangenheit an. Da habe er "weitaus schwierigeren Umgang gehabt".
Das Buch
"Die Hohenzollern und die Nazis", Stephan Malinowski, Propyläen Verlag, Berlin 2021, 752 Seiten, 35 Euro