Zweiter Staufener Missbrauchsfall steckt voller schockierender Details. Tatverdächtiger schweigt zu Vorwürfen.
Staufen - Der zweite Staufener Missbrauchsfall, über den unsere Zeitung am Montag berichtet hatte, steckt voll schockierender neuer Details. Dies wurde bei einer Pressekonferenz von Polizei und Staatsanwaltschaft am Dienstagvormittag in Freiburg deutlich. Laut der ermittelnden Staatsanwältin Nikola Novak soll der 41-jährige ledige und unverheiratete deutsche Tatverdächtige, der seit dem 22. Februar in U-Haft sitzt, eines seiner vermutlich vier Opfer in mehr als 400 Fällen missbraucht haben.
Man schließe zudem nicht aus, dass es weitere Opfer gebe, die sich den Ermittlern noch nicht offenbart haben, so Kripo-Chef Peter Egetemaier. Der Mann sei „sehr manipulativ“ vorgegangen, so der Leiter der 12-köpfigen „Ermittlungsgruppe Burg“, Kriminalhauptkommissar Mathias Kaiser von der Kripo in Freiburg: Er habe den Kindern beispielsweise Geschenke gemacht, Sachen mit ihnen unternommen und ihnen vermittelt, dass sexuelle Handlungen mit ihm „ganz normal“ seien.
Die Taten hätten „im geschützten Raum“ stattgefunden: Mindestens eines der Opfer hat der Mann demnach in der Zeit nach seiner Tätigkeit bei der evangelischen Kirche in Staufen in seinem privaten Umfeld kennengelernt. Die Ermittlungen seit Mitte Februar beschrieb Mathias Kaiser als sehr umfangreich und hochsensibel: Über 100 Vernehmungen hätten bisher stattgefunden. Die mutmaßlichen Opfer des 41-jährigen seien „teilweise sehr nachhaltig traumatisiert“ von ihren Missbrauchserlebnissen. Kaiser ließ durchblicken, dass es noch mehr Opfer geben könnte: Nicht jeder Vernommene habe „die Brücke beschritten, die wir in den Vernehmungen zu bauen versuchten“, so der Ermittler.
Nicht nur mit Blick auf die weitere Polizeiarbeit sei es daher wichtig, die Anonymität der Opfer zu wahren und die Polizei als Ansprechpartner für mögliche weitere Betroffene zu sehen. Der Verdächtige schweige bisher zu den Tatvorwürfen, so Staatsanwältin Novak. „Wir hoffen, dass sich das aber in den kommenden Tagen ändern könnte“. Der Mann habe bereits ab 2004 wegen eines Missbrauchsverdachts vor Gericht gestanden. Gegen eine Geldstrafe sei er damals erfolgreich in die Berufung gegangen und 2007 freigesprochen worden, da in dem Fall Aussage gegen Aussage gestanden habe.
Kinderpornos von seinen aktuellen Taten habe man keine finden können, so Novak weiter. Die Anklage gegen den Mann umfasst derzeit noch Missbrauchshandlungen an drei Jungs, die zur Tatzeit zwischen acht und 14 Jahren alt waren, so der Leiter der Freiburger Staatsanwaltschaft, Dieter Inhofer. Das vierte Opfer habe sich erst später gemeldet, man prüfe derzeit, ob die Anklage entsprechend zu erweitern sei. Kripo-Chef Peter Egetemaier hob am Dienstag hervor, wie schnell die Polizei in dem Verfahren gehandelt habe: Zwischen der Anzeigeerstattung durch die Mutter eines Opfers und der Hausdurchsuchung und Verhaftung des Verdächtigen hätten gerade einmal vier Tage gelegen, so Egetemaier.
Er betonte zudem, dass der neue Staufener Missbrauchsfall nichts mit den Verfahren gegen eine ganze Reihe von Kinderschändern an einem Zehnjährigen aus Staufen im vergangenen Jahr zu tun habe und dass im neuerlichen Fall auch das Jugendamt des Landkreises keinerlei Rolle spiele. Die umfangreichen aktuellen Ermittlungen haben aber erbracht, dass es vermutlich noch einen zweiten pädophilen Betreuer bei den Pfadfindern in Staufen gab: Ein heute 27 Jahre alter Mann steht im Verdacht, bereits vor mehreren Jahren zumindest ein Mädchen sexuell missbraucht zu haben.
Das Opfer soll damals 13, 14 Jahre alt gewesen sein. Laut Dieter Inhofer ereigneten sich die Taten im selben Zeitraum, in dem auch der mutmaßliche Vergewaltiger der Buben bei den Pfadfindern beschäftigt war zwischen 2009 und 2013. Der 27-jährige sei mit den Vorwürfen konfrontiert worden, so Staatsanwältin Novak. Er habe sich dazu aber nicht geäußert. Er sei weiterhin auf freiem Fuß, da keine Fluchtgefahr bestehe. Bei der evangelischen Kirchengemeinde in Staufen sitzt der Schock tief: Davon, dass es nun sogar noch einen zweiten pädophilen Tatverdächtigen bei ihren Pfadfindern gibt, habe er bisher nichts gewusst, so Pfarrer Theo Breisacher gegenüber unserer Zeitung: „Ich habe das aus der Pressekonferenz erfahren.“ Die Kirchengemeinde plane, zusammen mit den Pfadfindern die verunsicherten Eltern der Pfandfindergruppe in den kommenden Wochen zum Elternabend einzuladen.
„Wir stehen da noch ganz am Anfang“, so Breisacher. „Aber wir nehmen diese Sache sehr ernst“. Gleichzeitig verteidigt er das Vorgehen der Gemeinde, die den 41 Jahre alten Mann, der nun wegen der Missbrauchsvorwürfe in U-Haft sitzt, 2009 als Mitarbeiter beschäftigte, obwohl bekannt war, dass er bereits wegen eines Missbrauchsverdachts zwischen 2004 und 2007 vor Gericht gestanden und in der Berufung freigesprochen worden war.
„Natürlich war das damals bekannt“, so der Pfarrer. „Aber der Mann war freigesprochen. Ihn nicht einzustellen, wäre einer Stigmatisierung gleichgekommen.“ Dass sich das hinterher als Fehler entpuppt habe, sei „sehr bitter“, so Breisacher.