In den Gefängnissen, wie hier in Bruchsal, sitzen immer mehr Ausländer ein. Foto: dpa/Uwe Anspach

Erstmals haben mehr als die Hälfte aller Strafgefangenen keinen deutschen Pass. Das stellt die Justizmitarbeiter vor Probleme. Teilweise hilft Videotechnik.

Zum ersten Mal seit der Gründung Baden-Württembergs sind in den Gefängnissen des Landes mehr ausländische Straftäter inhaftiert als Deutsche. Der Ausländeranteil in den 17 Justizvollzugsanstalten im Südwesten beträgt zum Stichtag 31. März dieses Jahres 50,8 Prozent. Dies geht aus einer Statistik des Justizministeriums hervor, die dieser Zeitung vorliegt. Vor einem Jahr um diese Zeit betrug der Anteil von ausländischen und staatenlosen Insassen in den Gefängnissen 47,7 Prozent, vor zehn Jahren lag er noch bei 37,2 Prozent.

 

Entwicklung hat sich abgezeichnet

Für die Justizministerin ist das keine Überraschung. „Der Justizvollzug spiegelt die gesellschaftliche Entwicklung insgesamt wieder“, sagt Marion Gentges (CDU). So gebe es seit Jahren steigende Zugangszahlen an Flüchtlingen, die Entwicklung habe sich abgezeichnet. Zum Stichtag am 31. März waren 3455 Ausländer aus 98 Nationen in den Justizvollzugsanstalten des Landes inhaftiert. Die meisten von ihnen kamen – in dieser Reihenfolge – aus der Türkei, Rumänien, Algerien, Syrien, Polen und Gambia. Den größten Anstieg an ausländischen Häftlingen gab es 2023 allerdings bei Männern aus anderen Ländern. Die Zahl der marokkanischen Strafgefangenen stieg um 52,4 Prozent, die aus Tunesien um 46,7 Prozent und die aus Algerien um 27,1 Prozent.

Bei den Untersuchungshäftlingen ist das Gefälle zwischen Menschen mit und ohne deutschen Pass noch deutlicher. Von insgesamt 1710 Untersuchungsgefangenen hatten 1073 nicht die deutsche Staatsbürgerschaft. Das sind 62,7 Prozent. Hier war der Anteil der Nicht-Deutschen allerdings schon in der Vergangenheit hoch, im vergangenen Jahr waren es 61,6 Prozent. Für diese Entwicklung gibt es eine nachvollziehbare Erklärung: Straftäter ohne deutschen Pass haben häufiger keine Meldeadresse – und es besteht zusätzlich zum Tatverdacht eine größere Fluchtgefahr als bei deutschen Staatsbürgern. Daher kommen diese Menschen häufiger in Untersuchungshaft.

Sprachbarrieren erhöhen die Probleme

Durch Sprachbarrieren und eine seit Jahren zu beobachtende Zunahme von psychisch auffälligen Strafgefangenen kommen auf die Gefängnisse neue Probleme hinzu. Die Situation sei „sehr belastend“, sagt Michael Schwarz, der Landesvorsitzende des BSBD, der Gewerkschaft der Strafvollzugsbediensteten. Immer mehr Menschen seien in Gefängnissen, die dort eigentlich nicht hin gehörten, sondern eher psychologische Hilfe bräuchten. Wenn dann auch noch sprachliche Hürden im Weg stehen, dann werde es „schwierig und für unsere Mitarbeiter manchmal auch gefährlich“.

Bereits seit einiger Zeit gibt es in den Gefängnissen Hilfe durch Technik. „Bei Bedarf können Dolmetscher unbürokratisch per Video zugeschaltet werden“, sagt Gentges. Über einen zentralen Dolmetscherdienst bekomme jedes Gefängnis schnell Unterstützung. Lob gibt es für die Übersetzungshilfe per Tablett von allen Seiten. „Ich möchte das nicht mehr missen“, sagt Michael Schwarz.

Übersetzung in wenigen Minuten

Auch Thomas Weber ist von der Technik angetan: „Das erleichtert die Arbeit ungemein“, sagt der Leiter der Justizvollzugsanstalt in Bruchsal, die mit rund 600 Haftplätzen zu den großen Anstalten im Lande zählt. In der Regel sei binnen weniger Minuten ein Dolmetscher zur Hand, zumindest bei den gängigen Sprachen. Bei eher exotischen Dialekten könne es zwar ein paar Stunden dauern, bis sich der Dolmetscher melde, ernsthafte Probleme habe es noch nicht gegeben.

Nicht nur in den Gefängnissen steigt der Anteil an Ausländern, sondern auch im Bereich der Kriminalstatistik. Dort waren 2023 mehr als 34 Prozent der Tatverdächtigen ohne deutschen Pass. Das ist ein größerer Prozentsatz als ihr Anteil an der Bevölkerung – der liegt bei 15 Prozent. Verstöße, die nur von Ausländern begangen werden können, wie zum Beispiel illegale Einreise, waren bei diesen Zahlen bereits herausgerechnet.

Armut ist wichtiger als Nationalität

Die kriminologische Forschung ist sich jedoch weitgehend darin einig, dass die Kategorie „Ausländer“ nicht zur Erklärung von Kriminalitätszahlen taugt. Wichtige Faktoren sind hingegen Armut und fehlende Bildung – Probleme, die Ausländer besonders häufig treffen. Zudem sind nationalitätsübergreifend junge Männer besonders gefährdet, kriminell zu werden. Diese Personengruppe ist zum Beispiel bei Flüchtlingen klar überrepräsentiert.