Stuttgart - Mischwesen aus Affen und Menschen werden geschaffen, warnten die einen. Krankheiten könnten geheilt werden, prophezeiten die anderen. Zehn Jahre nach Verabschiedung des deutschen Stammzellgesetzes zeigt sich: Die embryonalen Stammzellen haben sich bald selbst abgeschafft.

Diese Entscheidung wurde zur Glaubensfrage: Am 25. April 2002 wurde das deutsche Stammzellgesetz verabschiedet, das in Deutschland Forschungen an menschlichen embryonalen Stammzellen erlaubte. Was folgte, war eine große Debatte: Wann ist ein Mensch ein Mensch? Gleich nach der Befruchtung? Oder macht den Menschen erst sein Empfindungsreichtum aus, das er mit der Entwicklung seiner neuronalen Strukturen im Mutterleib erhält? „Die Sorge vieler ist gewesen, wenn auch zu Unrecht: Wenn erst mal die Therapien stehen, beginnt das große Embryonenschlachten“, sagt Hans Schöler vom Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster.

iPS-Zellen die Möglichkeit, dass sie den Verlauf einer Erbkrankheit darlegen

Nun ist die Empörung verrauscht. Inzwischen, so scheint es, heiligt der Zweck mal wieder die Mittel. So ergab eine erst kürzlich durchgeführte repräsentative Umfrage des Marktforschungsinstituts You Gov, dass beinahe zwei Drittel der Deutschen sich einer Therapie mit embryonalen Stammzellen unterziehen würden, wenn sie todkrank wären und nicht anders geheilt werden könnten. Lediglich ein Viertel ist der Meinung, dass die Forschung an embryonalen Stammzellen hierzulande verboten werden sollte.

Doch noch sind die Verfahren kein vollwertiger Ersatz für die embryonalen Stammzellen. Denn die Erzeugung von iPS-Zellen ist zwar einfach, aber sehr zeitaufwendig und teuer. „Die Technologie ist noch relativ jung“, sagt auch Christopher Baum von der Medizinischen Hochschule Hannover. Der Stammzellforscher ist daher gerade dabei, den Reprogrammierungsprozess der iPS-Zellen zu beschleunigen. Bei Mäusen ist dies schon gelungen. Doch wann dieses Verfahren auch am Menschen möglich ist, weiß auch er nicht.

Zudem bieten iPS-Zellen die Möglichkeit, dass sie den Verlauf einer Erbkrankheit darlegen – wenn sie aus Gewebeproben entsprechender Patienten erzeugt werden. So könnten neue Medikamente entwickelt werden, die auch gleich an den iPS-Zellen getestet werden könnten. Ein weiterer Vorteil: Aus iPS-Zellen gezüchtetes Gewebe würde nach einer Transplantation vom Immunsystem des Zellspenders nicht abgestoßen werden.

Kein vollwertiger Ersatz für die embryonalen Stammzellen

Das Umprogrammieren übernehmen Viren, die vier Gene im menschlichen Erbgut in den Kern der Körperzellen einschleusen. Die wiederum eine biochemische Maschinerie anwerfen, die die Zellen wieder zurück an ihren embryonalen Anfang bringt. Erstmals gelang die Reprogrammierung 2006 dem Team des japanischen Stammzellforschers Shinya Yamanaka mit Mauszellen. Zwei Jahre später verwandelte Kevin Eggan von der Universität in Harvard menschliche Hautzellen zunächst in Stammzellen und anschließend in Nervenzellen.

Doch die Zurück-auf-Anfang-Alternative birgt auch Nachteile: iPS-Zellen sind genomisch so alt wie der Körper, aus dem sie entnommen wurden. „Wenn man eine Haut- oder Blutzelle eines 50 Jahre alten Patienten reprogrammiert, dann trägt diese iPS-Zelle alle Mutationen, die sich im Lauf des Alterungsprozesses natürlicherweise während dieser 50 Jahre angehäuft haben“, sagt der Bonner Stammzellforscher Oliver Brüstle. Eine Folge solcher Entgleisungen des Erbguts könnte Krebs sein.

Erzeugung von iPS-Zellen ist zwar einfach, aber sehr zeitaufwendig

Seit 2009 verfolgt die Wissenschaft nun ein neues Verfahren, bei dem Körperzellen ohne Umweg über pluripotente Zellen in einen anderen Zelltyp umgewandelt werden. Langfristig versuchen die Forscher zudem die Methode einer In-vivo-Applikation – der Umwandlung von Zelltypen direkt im Körper. Auch da gibt es schon erste Studien. So berichteten Wissenschaftler von der Columbia University in New York, wie sie einen Zelltyp in der Bauchspeicheldrüse in insulinbildende Zellen umgewandelt haben.

Doch noch sind die Verfahren kein vollwertiger Ersatz für die embryonalen Stammzellen. Denn die Erzeugung von iPS-Zellen ist zwar einfach, aber sehr zeitaufwendig und teuer. „Die Technologie ist noch relativ jung“, sagt auch Christopher Baum von der Medizinischen Hochschule Hannover. Der Stammzellforscher ist daher gerade dabei, den Reprogrammierungsprozess der iPS-Zellen zu beschleunigen. Bei Mäusen ist dies schon gelungen. Doch wann dieses Verfahren auch am Menschen möglich ist, weiß auch er nicht.

Vielleicht ist es da ein Trost, dass es zwar im Ausland schon klinische Studien zu Therapien gibt, die auf embryonalen Stammzellen basieren. In Deutschland jedoch scheinen sie Zukunftsmusik zu bleiben. Das zeigt auch die 70. Genehmigung des Robert-Koch-Instituts für ein Projekt mit embryonalen Stammzellen. Der Neurologe Axel Methner vom Universitätsklinikum Düsseldorf möchte mit humanen embryonalen Stammzellen die neuromuskuläre Erkrankung Morbus Charcot-Marie-Tooth erforschen. Die embryonalen Stammzellen dienen dabei hauptsächlich als Positiv-Kontrolle – und werden künftig eventuell auch verzichtbar. „Das ist der Weg, den man gehen muss.“