Bis 2015 soll der Gefängnisneubau in Stammheim fertig sein Foto: Petsch

Kunst erwartet man an vielen Orten – aber wohl am wenigsten im Knast. Im Zuge des Umbaus des Gefängnisses in Stammheim gibt es einen Wettbewerb für Künstler – und die Teilnehmer sind nur so geströmt. Das Ergebnis soll die Gefangenen positiv beeinflussen.

Stuttgart - Baukräne bestimmen derzeit das Bild in einem der bekanntesten Gefängnisse Deutschlands. Hinter den Stammheimer Mauern wachsen die Neubauten in die Höhe. Ende 2015 soll in dem neuen Komplex Platz für 560 Insassen sein. Teile der bisherigen Anlage, besonders das aus den RAF-Prozessen bekannte Hochhaus, entsprechen nicht mehr den Anforderungen an eine Justizvollzugsanstalt. Heutzutage geht man von anderen Maßstäben aus als bei der Inbetriebnahme im Jahr 1963. Auch in pädagogischer Hinsicht.

Deshalb findet sich unter den Baumaßnahmen, für die das Land 52 Millionen Euro ausgibt, auch ein besonders interessanter Punkt. In dem neuen Komplex soll es vier Höfe für den Freigang der Gefangenen geben. Dort können sie für eine Stunde am Tag frische Luft schnappen. Damit das nicht in trister Umgebung geschieht, hat das Land einen Wettbewerb für die künstlerische Gestaltung der Höfe ausgeschrieben. 200 000 Euro stehen insgesamt zur Verfügung – 20 000 für den Wettbewerb selbst und 180 000 Euro „für die Realisierung des Kunstwerks“, wie es heißt.

Die außergewöhnliche Aufgabe ist bei den Angesprochenen offenbar mehr als gut angekommen. Über 200 Künstler und Künstlergruppen haben sich gemeldet. Eine Kommission hat zehn von ihnen ausgewählt, die im vergangenen Jahr bereits ein Kolloquium in Stammheim gemacht haben, um sich für ihre Vorschläge mit der besonderen Situation vertraut zu machen. Aus Sicherheitsgründen gelten strenge Vorgaben. Ende Januar soll nun der Sieger gekürt werden, dessen Idee umgesetzt wird.

„Die Kunst hat in landeseigenen Gebäuden einen hohen Stellenwert – auch in Gefängnissen“, sagt Raphaela Sonnentag, die Leiterin des Amts Ludwigsburg des Landesbetriebs Vermögen und Bau. Die Ludwigsburger Filiale ist für die Bauarbeiten in Stammheim zuständig. Die Höfe würden nicht nur für den Freigang genutzt, sondern seien auch von den neuen Zellen aus einsehbar. Der Ansturm der Interessenten wundert sie nicht: „Das ist auch für Künstler eine besondere Aufgabenstellung.“

Die Kunstwerke sollen einen direkten Einfluss auf die Insassen haben. „Ich finde das sinnvoll, das kann sich nur positiv auf die Gefangenen auswirken“, sagt Gefängnisleiterin Regina Grimm. Wie das Ganze nachher aussehen wird, kann sie selbst mitbestimmen, denn sie sitzt in der zuständigen Kommission.

Auch beim Justizministerium ist man guten Mutes: „Kunst bildet in vielen Justizvollzugsanstalten ein belebendes Element und kann zur Aussprache anregen“, sagt Sprecherin Martina Schäfer. Man habe damit bei Neubauten in Offenburg, Heimsheim und Schwäbisch Hall gute Erfahrungen gemacht. Teilweise gelinge es auch, Gefangene in Kunstprojekte einzubinden. Zudem sei nach den bestehenden Richtlinien Kunst am Bau „auch Bestandteil des Vollzugsbaus“.

Die Kosten halten alle Beteiligten für vertretbar. „Diese Mittel sind angemessen und auch bei anderen Bauvorhaben üblich“, sagt Raphaela Sonnentag. Bei der Summe von 200 000 Euro handle es sich schließlich nur um einen kleinen Teil der Gesamtkosten. Beim Thema Kunst am Bau seien in einigen Haftanstalten in ganz Deutschland „interessante Dinge entstanden“.

Der große Umbau in Stammheim geht zügig voran. „Wir liegen im Zeit- und Kostenplan“, sagt Raphaela Sonnentag. Der Rohbau des neuen fünfgliedrigen Zellenbaus steht. Das viergeschossige Flachdachgebäude soll bis Ende 2015 fertig sein. Es schließt an den Zellenbau 3 an, der 2005 errichtet worden ist. Auch die Torwache ist runderneuert. Wenn alles steht, soll das 50 Jahre alte Hochhaus abgerissen werden. In den neueren Zellentrakten stehen dann rund 680 Plätze zur Verfügung. Derzeit kann das Gefängnis wegen der umfangreichen Bauarbeiten nur etwa 500 Insassen aufnehmen. Wann und wo die Abrissbagger folgen, damit befasse man sich im Detail, wenn die Neubauten abgeschlossen sind, sagt Sonnentag.

Damit wird die Neuordnung auf dem Gefängnisgelände aber noch nicht abgeschlossen sein. Zur Disposition steht auch das benachbarte Mehrzweckgebäude. Der Bau, der für die Prozesse der in Stammheim inhaftierten RAF-Terroristen 1975 errichtet worden ist, gilt als baufällig. Er wird aber dennoch weiterhin genutzt, etwa für die Verfahren gegen Mitglieder verfeindeter Jugendbanden aus der Region. In Stammheim lassen sich höhere Sicherheitsstandards erreichen als in normalen Gerichtsgebäuden. Ein Neubau dort kostet 25 Millionen Euro.