Plakate in den Fenstern der Keltersiedlung zeugen vom Protest gegen den Abriss. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Architekten, Demonstranten und Abriss-Gegner prangern die Vernichtung günstiger Wohnungen an – unter anderem in der Keltersiedlung. Der Bauherr plant zahlreiche Sozialwohnungen zu erstellen und spricht von einem harmonischen Austausch mit den Anwohnern.

Stuttgart - In Zuffenhausen ist der Umbau eines kompletten Stadtquartiers im Gang. In der Keltersiedlung werden ganze Wohnblöcke saniert, andere sollen abgerissen werden. Dagegen formiert sich erheblicher Widerstand. Der Bauherr, die städtische Wohnungsbaugesellschaft SWSG, verweist auf den geplanten Bau zahlreicher öffentlich geförderter Sozialwohnungen.

Die Diskussion um Erhalt und Abriss bewegt die Stadt. Viele der Häuschen der Keltersiedlung stammen aus den 1920er und 1950er Jahren. Zwischen den maximal dreistöckigen Wohnhäusern mit den dunklen Dachziegeln stehen alte Bäume auf den Wiesen. Abgeplatzte Farbe an der Fassade zeugt vom Alter der Gebäude. An den Bäumen und in Gärten hängen Protestplakate, unter anderem mit bekannten Parolen: „Friede den Hütten, Krieg den Palästen“. 184 Wohnungen sind Teil des Quartiers. Eigentümer ist die SWSG. Die Pläne der Stadttochter sehen den Abriss von 105 Wohnungen vor.

Immobilienspekulation“, so nennt Ursel Beck von der Stuttgarter Mieterinitiative die Pläne. „Die SWSG vernichtet günstigen Wohnraum, statt neuen zu schaffen“, kritisiert Beck. Durch die Firmenpolitik der Stadttochter und deren Mieterhöhungen würden Bewohner in die Verschuldung getrieben,behauptet sie. Sie ist entscheidend an den Protesten vor Ort beteiligt.

Roland Ostertag mischt sich in die Debatte ein

Auch der Architekt Roland Ostertag hat sich mit den Demonstranten gegen den Abriss in Zuffenhausen solidarisiert. „Ich möchte Ihnen sagen, die Atmosphäre, das Milieu und die humane Qualität dieser Siedlung müssen erhalten bleiben. Dafür haben Sie meine volle Unterstützung“, lautet seine Botschaft an die Protestler. Beck fügt an: „Diese idyllische Siedlung abzureißen kommt einem Verbrechen gleich.“

Die SWSG äußert zwar Verständnis für die Verunsicherung einzelner Mieter mit Blick auf den drohenden Abriss der eigenen Wohnung. Das Verständnis in Bezug auf die Vorwürfe der Mieterinitiative hält sich jedoch in Grenzen. „Hier wird mit Halbwahrheiten argumentiert“, sagt Samir Sidgi, der Geschäftsführer der kommunalen Wohnbaugesellschaft. 105 Wohnungen sollen abgerissen werden. An selber Stelle will die SWSG von 2019 an 186 neue Wohneinheiten erstellen – die Hälfte als Sozialwohnungen. „Dann hat die Siedlung 265 Wohnungen, 172 davon haben trotz Neubau und Modernisierung dasselbe Mietniveau wie die ursprünglichen 184 Wohnungen der Siedlung“, entgegnet Sidgi Richtung der Mieterinitiative.

Ursel Beck argumentiert, dass die bestehenden Sozialwohnungen der Keltersiedlung deutlich günstiger seien als die, welche die SWSG neu erstellen will – rund 5,70 Euro pro Quadratmeter Kaltmiete im Vergleich zu 7,50 Euro. Samir Sidgi entgegnet: „Lediglich neun der 105 Einheiten unterliegen noch einer Sozialbindung.“ Die Hälfte der neuen Wohnungen (93 Einheiten) sollen Sozialwohnungen werden.

Die 105 für den Abriss bestimmten Einheiten liegen laut SWSG im Schnitt bei einer Miete von 7,54 Euro pro Quadratmeter. Die 93 neuen Sozialwohnungen sollen bei 7,50 Euro liegen. „Knapp 90 Prozent der alten Wohnungen werden durch Neubauwohnungen zur selben Miete ersetzt“, argumentiert der Geschäftsführer. Fakt ist jedoch, wer in eine der neuen Sozialwohnungen einziehen will, muss einen Wohnberechtigungsschein haben. Die 93 frei finanzierten Einheiten sollen sich an der sogenannten ortsüblichen Vergleichsmiete, also an den Preisen auf dem freien Wohnungsmarkt, orientieren und zwischen zehn und 11,50 Euro kosten.

Werden Menschen mit geringen Einkommen aus dem Quartier vertrieben?

Eines der Hauptargumente der SWSG-Kritiker: Durch den Abriss günstiger Wohnungen werden Menschen mit geringen Einkommen aus dem Quartier vertrieben. Die Stadttochter kontert mit Zahlen aus dem Hallschlag. „Dort haben wir vor zehn Jahren mit der Revitalisierung des Stadtteils begonnen“, sagt Sidgi. 1800 Wohnungen im ehemaligen Problemviertel sind Eigentum der Wohnbaugesellschaft. „55 Prozent haben wir bislang erneuert“, so der Geschäftsführer. Von 2012 bis heute seien 73 Prozent der Mieter dem Hallschlag treu geblieben, insgesamt 92 Prozent der von Modernisierung oder Neubau betroffenen Mieter seien bei der SWSG geblieben.

Eine Verdrängung könne man daher nicht beobachten, so Sidgi. Dem entgegnet Ursel Beck von der Mieterinitiative, die auch im Hallschlag sehr aktiv ist: „Ich halte die Zahlen der SWSG nicht für seriös.“ Die Proteste im Viertel nimmt die SWSG allerdings sehr wohl zur Kenntnis. Man wolle auf die Mieter zugehen, so Sidgi. Er fügt an: „Wir haben in den vergangenen Wochen mehr als 80 Einzelgespräche mit Mietern geführt, die vom Abriss ihrer Wohnung betroffen sind.“