Abendgymnasium vor dem Aus: In VS droht Schülern das Bildungs-Aus – trotz Bedarf, Engagement und Protest. Jetzt steht eine folgenschwere Entscheidung an.
Die Bedeutung des Oberzentrums VS in der Bildungslandschaft im Schwarzwald-Baar-Kreis und sein Bildungsauftrag ist klar. Aber: Für das Abendgymnasium in der Stadt scheint trotzdem bald das letzte Stündchen schlagen.
Wegen sinkender Schülerzahlen und mit Blick auf den städtischen Haushalt sieht sich das Oberzentrum gezwungen, das Abendgymnasium einzustellen.
Aufgrund der nicht verlässlich hohen Schülerzahlen sei nämlich nicht sichergestellt, dass die Zuschüsse vom Land für das Abendgymnasium weiterhin fließen. Eine Ausnahmegenehmigung, die bislang im Zusammenspiel mit dem Regierungspräsidium Freiburg gute gelebte Praxis gewesen sei, gebe es künftig offenbar nicht mehr. In den ersten beiden Jahren müssten künftig mindestens 15 Schüler das Angebot wahrnehmen, um in den Genuss der Förderung zu kommen. „Das Land hat natürlich auch Sparzwänge“, konstatierte der Chef des Jubis, Stefan Assfalg. Wolle VS das Angebot fortsetzen, entstünden der Stadt womöglich Kosten in Höhe von 430 000 Euro pro Jahr. Kurzum: „Wir brauchen eine Grundsatzentscheidung: Sollen wir weitermachen?“
„Eine Unverschämtheit“
Die Frage ging – inmitten einer schwierigen Finanzlage – an die Stadträte im Ausschuss für Jugend, Bildung und Soziales. Ein dringlicher schriftlicher Appell des Oberbürgermeisters Jürgen Roth ans Kultusministerium bereits im Oktober 2024 sei bislang auf taube Ohren gestoßen – mehrfach sei er in dieser Sache erfolglos aktiv geworden, so Roth deutlich frustriert. Auch Schulleiter Patrick Gramer ist sauer: „Es ist eine Unverschämtheit“, dass sich der sogenannte „strukturschwache“ Raum an den gleichen Schülerzahlen messen lassen müsse wie Metropolen wie Stuttgart, wo man mit 50 Schülern in Klasse eins starte.
Für Jubis-Chef Stefan Assfalg ist klar: Gebe man das Abendgymnasium auf, müsste man jeden noch laufenden Einzelfall prüfen, Möglichkeiten suchen und im Austausch mit Bildungseinrichtungen Wege für die Schüler auftun – die Einstellung sei also mit viel Aufwand verbunden. Das aber dürfe kein K.O.-Kriterium für eine Auflösung sein – dann dürfe man diesen Schritt nie tun.
Alternativlos
Eine dauerhafte Zukunft fürs Abendgymnasium, die wäre ganz im Sinne von Schulleiter Patrick Gramer. Emotional ergriff er für sein Abendgymnasium Partei. Jedes Jahr beendeten drei Abiturienten diese besondere Schulzeit, fünf bis sechs weitere Schüler mit der Fachhochschulreife in der Tasche und manche auch mit Mittlerer Reife. „Es geht mir vor allem auch um diese Schüler, die jetzt bei uns an der Schule sind und sich komplett darauf verlassen haben, dass sie bei uns ein Abitur machen können.“ Mit einer Aufgabe schlage man ihnen die Tür vor der Nase zu – womöglich könne man die Schulart zumindest „abschmelzend“ auslaufen lassen, um ihnen noch einen Abschluss zu ermöglichen.
Die Schüler nähmen viel Aufwand auf sich, arbeiteten tagsüber, um abends noch die Schulbank zu drücken. Ein ähnliches Angebot in zumutbarer Entfernung gebe es nicht – das Abendgymnasium in Reutlingen befinde sich auch bereits in der Rückabwicklung.
Eine große Bitte
Und: Es gebe noch einige Schüler, die nach wie vor auf das Abendgymnasium in VS setzten. Zwölf Zusagen für das nächste Schuljahr längen auf dem Tisch sowie insgesamt sieben Anfragen. „Liegt es an der Werbung, liegt es am Wegfall der Abendrealschule – wir wissen es nicht.“ Versprechen, dass diese Zahlen so bleiben, könne freilich niemand. Aber: „Ich würde sie bitten, den kompletten Rückzug zu überdenken“, so Gramers eindringlicher Appell
Räte sind zerrissen
Wie sehr die Stadträte in dieser Frage ringen, wurde rasch deutlich. „Es fällt uns außerordentlich schwer, dieser Vorlage zuzustimmen“, gab Katharina Hirt (CDU) zu, zumal sie um die „gewaltige Kraftanstrengung“ der Abendgymnasiasten wisse. „Ich für meinen Teil muss sagen, ich stimme der Vorlage nicht zu“, stellte Hirt fest.
„Uns geht es ähnlich“, gab Ulrike Heggen (Freie Wähler) zu. Eine Kompromisslösung, dass alle aktuellen Abendgymnasiasten wenigstens noch ihren Abschluss machen können, „sei das Mindeste“. „Es ist harter Tobak, dass wir darüber entscheiden sollen, ob wir damit jetzt aufhören“, findet Kathrin Piazolo (FDP).
Schurr fordert Vertagung
„Wichtig ist, dass wir diesen Punkt vertagen“, forderte Nicola Schurr (SPD), und zwar mindestens solange, bis der Oberbürgermeister Antwort vom Kultusministerium habe. Er bezweifelte zur Entrüstung des Oberbürgermeisters, ob mit der gebotenen Hartnäckigkeit ums Abendgymnasium gekämpft worden sei, und kritisierte, dass man mit dem Kollegium erst kurz vor der Ausschusssitzung gesprochen habe. Stefan Assfalg wollte das nicht auf der Verwaltung sitzen lassen – „zum frühestmöglichen Zeitpunkt haben wir so transparent wie möglich mit den Damen und Herren gesprochen“, im Vorjahr hätten die Stadträte nichtöffentlich beschlossen, das Angebot fortzuführen – jetzt habe man unter neuen Vorzeichen erneut zu entscheiden.
Zunächst einmal schwebt aber das Damoklesschwert weiterhin über dem Abendgymnasium – einen Beschluss fällte der Ausschuss an diesem Abend nicht, stattdessen soll das Thema in der nächsten Gemeinderatssitzung erneut beraten werden.