Der Stuttgarter Finanzbürgermeister Michael Föll hat den Gemeinderat bei der Einbringung des Entwurfs für den Doppelhaushalt 2016/2017 vor einer neuen Mega-Verschuldung der Stadt gewarnt. Der Haushalt zeige strukturelle Defizite, die Verschuldung werde bis 2020 auf 407 Millionen Euro ansteigen.
Stuttgart - OB Fritz Kuhn (Grüne) und Finanzbürgermeister Michael Föll (CDU) haben dem Gemeinderat am Donnerstag ihren Entwurf für den Doppelhaushalt 2016/2017 vorgelegt. In dem Zahlenwerk, das pro Jahr Einnahmen und Ausgaben von 3,3 Milliarden Euro beschreibt, gibt es große Unbekannte: die Flüchtlingszahlen und die Entwicklung beim VW-Konzern.
Fritz Kuhn nutzte die Einbringung zu einer Grundsatzrede. Er will in seiner Amtszeit bis 2020 in Stuttgart „in den entscheidenden Bereichen Nachhaltigkeit herstellen“. Dazu würden Schulen und Kindertagesstätten ausgebaut, würde der Wohnungsbau gefördert und der Autoverkehr reduziert. Soziale Gegensätze müssten abgebaut werden.
Beim Verkehr „hat diese Stadt Lasten zu tragen, die nicht mehr akzeptabel sind“, sagte Kuhn. Die Stadt müsse auf die Ökologie achten. „In der Diskussion um Volkswagen kann man sehen, was dabei herauskommt, wenn sie missachtet wird“, kommentierte der Grünen-Politiker das gesetzwidrige Verhalten der Wolfsburger bei Abgastests in den USA. Kuhn will den Radverkehrsanteil von sechs Prozent am Gesamtverkehr durch neue Wege erhöhen, die Elektromobilität fördern und die Stadt begrünen.
Flüchtlinge sind ein großes Thema
Ein Großthema auch im Haushalt sind die Flüchtlinge. Stuttgart setzt auf eine komplette Kostenübernahme durch den Bund. Stuttgart müsse laut Plan allein einen Aufwand von 67,6 Millionen Euro für Betreuung und Unterstützung der Flüchtlinge stemmen, 40 Prozent des Gesamtaufwandes. Allerdings basiert der Wert auf überholten Zuweisungszahlen. Die Prognose sei zu gering, man werde hier nachsteuern müssen, sagte Föll. Er hofft, bis im November klarere Zahlen zu haben.
Zu hoch angesetzt könnten dagegen die Einnahmen aus der Gewerbesteuer sein. Sie sollen 2016 und 2017 leicht auf 580 und 590 Millionen Euro steigen, nach 515 Millionen in 2014. Durch den Betrugsskandal bei VW und die Milliardenrückstellung der Wolfsburger werden Gewerbesteuerzahlungen reduziert. Geld fließt über die Konzernmarke Porsche nach Stuttgart. Föll befürchtet, dass Volkswagen noch deutlich höhere Rückstellungen bilden wird. Prognostizierte Gewerbesteuereinnahmen für 2016 und 2017 von 580 und 590 Millionen Euro wären dann nicht mehr zu erzielen.
Während Kuhn bei seiner Rede davon sprach, dass die Stadt bis Ende 2017 bei den Investitionen „an die Kante“ gerate, nahm Föll den Planungszeitraum bis 2020 in den Blick. In der mittelfristigen Finanzplanung ist eine Verschuldung von 407 Millionen Euro vorgesehen. Heute hat die Stadt ohne ihre Eigenbetriebe und Tochtergesellschaften elf Millionen Euro Bankschulden.
Die Gewerbesteuereinnahmen verharren auf niedrigem Niveau
Mit einer derartigen Zunahme der Verschuldung sei „die äußerste Grenze dessen erreicht, was verantwortbar ist“, sagte der Finanzbürgermeister. Die Berechnungen zum Haushalt gingen von steigenden Zuweisungen aus, also einer ungebremst guten Wirtschaftslage. Trotz dieser lägen die Gewerbesteuereinnahmen nur um fünf Prozent über denen des Jahres 2005. Föll erkennt ein strukturelles Problem des Stadthaushalts, das gelöst werden muss, sonst müssten bald Ersatzinvestitionen mit Krediten finanziert werden, was nie passieren dürfe. Föll warnte vor dramatischen Einsparrunden, wenn die Konjunktur lahmen sollte.
Bis Ende 2017 will die Stadt vor allem wegen des Ausbaus der Kinderbetreuung und der Flüchtlingsbetreuung umgerechnet 518 neue Vollzeitstellen schaffen. Heute zählt sie 9983. Bei der Kinderbetreuung soll nach vier Jahren die Gebühr pro Stunde von 83 auf 93 Cent steigen. Das sei sozial gerecht, zumal 30 Prozent aller Kinder kostenlos betreut würden. Der Weg zum neuen Haushalt ist ritualisiert. Die Fraktionen werden erst am 22. Oktober im Gemeinderat Stellung nehmen und eigene Schwerpunkte präsentieren. Verabschiedet wird das Zahlenwerk am 18. Dezember.