Was genau am 5. August 2021 im Bereich der Konzertmuschel im Rottweiler Stadtgraben geschehen ist, soll in der Berufungsverhandlung geklärt werden. Foto: Otto

Tag zwei der Berufungsverhandlung, in der es vor allem um den Todesfall im Stadtgraben geht. Auch diesmal läuft es nicht rund. Ein wichtiger Zeuge ist mittlerweile verstorben, der Hauptzeuge taucht gar nicht erst auf. Doch dann meldet sich ein Zuschauer zu Wort.

Rottweil - Hier vier Promille, dort 2,3 – wenn der Angeklagte gewalttätig wurde, dann hatte er ordentlich Alkohol im Blut. "Es war immer Alkohol dabei", antwortet er auf die Frage der Richterin nach seinem Alkoholisierungsgrad zum Zeitpunkt der insgesamt zehn Taten, um die es in der Berufungsverhandlung geht. Darunter die gewalttätige Auseinandersetzung mit einem Wohnungslosen im Rottweiler Stadtgraben am 5. August 2021, der in der Folge im Krankenhaus verstarb.

Alkohol spielt immer mit

Wie viel er denn so getrunken habe, wollte Richterin Philipp wissen. "Schwierig", meinte der Angeklagte. Er könne sich an die Taten im Großen und Ganzen erinnern, "aber eher verschwommen". Bei einem Vorfall an der Shell-Tankstelle in Rottweil im April 2020, bei dem er einen Autofahrer erst zum Anhalten veranlasst und diesen dann ins Gesicht geschlagen haben soll, sei viel Whisky geflossen. Danach habe er "kotzen" müssen. Das habe er im Übrigen häufiger, manchmal sei ein epileptischer Anfall dabei gewesen. Manchmal, weil nichts zu trinken da war, manchmal, weil dem Körper der Alkohol zu viel wurde. "Morgens schon mehrere Gläser Schnaps, oder was halt da war", beschreibt der Angeklagte seine Sucht. Die hat seit dem Lockdown die Oberhand gewonnen. Wie schlimm diese Sucht ist, soll zu einem späteren Zeitpunkt von einem Sachverständigen erörtert werden.

Das Opfer "abgezockt"

Dann steht die Tat im Stadtgraben im Zentrum. Ein Zeuge (A), der gehört hat, wie sich der Angeklagte einen Tag nach der Tat mit dem Handy des Opfers brüstete, ist mittlerweile verstorben. Richterin Philipps verliest die Protokolle aus der Vernehmung bei der Polizei und aus der Erstverhandlung. Demnach war A mit der Schwester des Opfers liiert und hatte von dieser am Handy erfahren, dass deren Bruder schwer verletzt im Krankenhaus liegt. Zu der Zeit saß A zusammen mit einem Freund auf einer Bank bei der Jugendherberge – unweit des Angeklagten. Dort hatte der Zeuge auch ein Gespräch zwischen dem Angeklagten und einem weiteren Mann mitbekommen.

In diesem Gespräch habe der Angeklagte damit angegeben, dem Opfer das Handy "abgezockt" zu haben. A habe außerdem Blut an Schuhen und Socken des Angeklagten bemerkt. Dafür gebe es allerdings keinen Nachweis, wie die Verteidigung hinzufügt. Der Mann habe das Handy an sich genommen. Seither sei er in Rottweil nicht mehr gesehen worden.

Hauptzeuge kommt nicht

Der Mann, mit dem der Angeklagte an jenem Tag gesprochen hatte, ist ein Obdachloser, der sich mittlerweile in Freiburg aufhält und ein wichtiger Zeuge (B). Auch er soll am zweiten Verhandlungstag aussagen, kommt aber nicht. Und das hat offenbar seinen Grund.

Ein Mann aus dem Zuhörerrang meldet sich zu Wort, als klar wird, dass B nicht kommen wird. Er habe ihn am Montag zufällig in Freiburg getroffen und mit ihm geredet. B habe gesagt, er werde wohl nicht nach Rottweil kommen, weil er im Substitutionsprogramm sei und vergessen habe, seine tägliche Dosis Methadon im voraus für den Verhandlungstag beim Arzt anzufragen.

Man kenne sich und so habe er mit B mehrfach über die Tat im Stadtgraben gesprochen. Was er weiß, wolle er dem Gericht nun, wo der Hauptzeuge nicht aufgetaucht sei, mitteilen.

Zuhörer im Zeugenstand

Was der Überraschungszeuge erzählt, deckt sich mit den Angaben des ersten Zeugen. Er, selbst Teil der Rottweiler Drogenszene, habe mit B Tage nach der Tat gesprochen. Ihm gegenüber habe B gesagt, er habe Mühe gehabt, den Angeklagten, nachdem er das Opfer geschlagen habe, vom Tatort wegzubekommen. Der Angeklagte sei derart in Rage gewesen, dass B ihn davon habe abhalten müssen, dem Opfer auch noch eine Tüte über den Kopf zu ziehen. Dann sei B lange weg gewesen. In Rottweil habe man ihn nicht mehr gesehen, bis die Polizei ihn im Zuge der Ermittlungen für eine Aussage nach Rottweil geholt habe.

Er, der Überraschungszeuge, habe ihn an diesem Tag jedenfalls getroffen und ihn gefragt, was er der Polizei erzählt habe. Was das gewesen sei, wollte die Richterin wissen. "Er erinnert sich an nichts", erzählt der Mann. Er habe B daraufhin "feige Sau" genannt, weil er den Eindruck gehabt habe, B wolle den Angeklagten nicht verpfeifen. B stehe in einer Abhängigkeit zum Angeklagten, über den die Gerüchteküche sagt, er sei Clanmitglied oder Anwärter eines Rockerclubs. "Gremium" und "Abu Chaker" sind zwei Namen, die in diesem Zusammenhang an diesem Vormittag fallen.

Der Angeklagte reagiert auf den überraschenden Gast im Zeugenstand empört. Immer wieder baut er sich auf, schüttelt den Kopf, fixiert ihn mit seinem Blick, was den Mann allerdings unbeeindruckt lässt. In seine Richtung sagt er zum Schluss. "Er tut mir leid. Dass er gewalttätig ist, hat bestimmt einen Grund".

Die Verhandlung geht am 24. November weiter.