Verwundert zeigen sich die Teilnehmer über fehlende Stolpersteine in der Zollerstadt. Foto: Hannes Reis

Anhand verschiedener Bauwerke und Denkmäler erklärte Jörg Küster den Teilnehmern die Spuren der Hechinger Juden.

Auf Einladung der Hohenzollerischen Jakobusgesellschaft trafen sich 15 Interessierte zu einem besonderen Spaziergang auf den Spuren jüdischen Lebens vor der Alten Synagoge in Hechingen. Jörg Küster, Stadtführer und selbst Pilger, nahm die Gäste mit auf eine Reise durch die bewegte, reiche Lebensgeschichte der Hechinger Juden vom Mittelalter bis zu ihrer brutalen Auslöschung durch die Naziherrschaft.

 

Textilunternehmen von Juden boomen

Mitte des 19. Jahrhunderts erreichte die Zahl der jüdischen Bewohner Hechingens ihren Zenit und stellte damals etwa ein Viertel (809 von 3200) der Gesamtbevölkerung. Dank jüdischer Industrieller entwickelte sich Hechingen zur gleichen Zeit zu einem Zentrum der südwestdeutschen Textilindustrie: So arbeiteten in den 1920er Jahren über 2000 Personen in von jüdischen Unternehmern gegründeten und geführten Textilbetrieben. Die jüdische Geschichte Hechingens ist – anders als in den meisten deutschen Städten – aufs engste mit der Stadtgeschichte verbunden, wie die Jakobusgesellschaft berichtet.

Hechinger Paul Levi verteidigte Rosa Luxemburg

Seit 2001 erinnert eine ungewöhnliche ’Denkmal-Installation’ an die Geschichte der Hechinger Juden: ein in die Synagogenstraße eingelassenes stählernes Band endet an einer Betonmauer, auf der vier geschichtsträchtige Jahreszahlen stehen: 1435 – 1546 – 1938 - 1945. Auf dem Stahlband ist die letzte Strophe von Friedrich Hölderlins Hyperion zu lesen.

In der Alten Synagoge ging Küster auf deren Entstehungs-, Nutzungsgeschichte und die Bedeutung der prunkvollen geometrischen Ornamente ein.

Am Brunnen vor dem Hechinger Rathaus weisen mehrere Reliefs auf Aspekte der jüdischen Stadtgeschichte hin. Neben anderen jüdischen Personen erwähnte Küster auf dem Weg zum Obertorplatz auch den Rechtsanwalt und Politiker Paul Levi (geboren 1883 in Hechingen und gestorben 1930 in Berlin), der unter anderem Rosa Luxemburg verteidigte und Vorsitzender der KPD war, später zur SPD zurückkehrte. Dr. Friedrich Wolf (geboren 1888 in Neuwied) wirkte seit 1921 als Arzt, Schriftsteller und Politiker in Hechingen und kehrte nach seinem Exil 1945 nach Deutschland zurück.

Juden werden in Konzentrationslager deportiert

Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Erstarken des Nationalsozialismus wurde das Leben der Juden in Hechingen immer mehr reglementiert und systematisch vernichtet. Wer nicht fliehen konnte, wurde deportiert und großteils in Konzentrationslagern umgebracht. Der Besitz und das Vermögen der Juden wurden arisiert.

Küster verstand es, die jüdische Geschichte Hechingens in der Stadt zu verlebendigen, denn schon lange wohnen keine Juden mehr in der Zollerstadt. Der Gruppe fiel auf, dass es in Hechingen weder „Stolpersteine“, die in anderen Städten an jüdische Mitbürger erinnern, noch einen Gedenkpfad mit einzelnen Erinnerungstafeln gibt.

Warum das so ist, beschäftigte die Teilnehmer beim Abschluss im Refugio auf dem Obertorplatz. Hannes Reis gab den Teilnehmenden ein Heft mit folgendem Zitat des spanischen Philosophen George Santayana mit auf den Heimweg: „Wer die Geschichte nicht erinnert, ist verurteilt, sie neu zu durchleben“. Das Zitat steht am Eingang des Blocks 4 im KZ Auschwitz.