Bundeskanzler Friedrich Merz gefällt das Erscheinungsbild vieler deutscher Innenstädte offenbar nicht. Foto: IMAGO/dts Nachrichtenagentur/Arnulf Hettrich

Der Bundeskanzler hat sich zum Thema Migration und zum Erscheinungsbild deutscher Innenstädte geäußert. Einige werfen ihm Rassismus vor. Was sagen Oberbürgermeister aus der Region?

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hat in dieser Woche die Anstrengungen seiner Regierung beim Thema Migration gelobt – und sich dabei aus Sicht vieler ziemlich im Ton vergriffen. Merz hatte bei einem Termin in Potsdam gesagt: „Bei der Migration sind wir sehr weit.“ Die Zahlen seien im Vergleichsmonat August um 60 Prozent zurückgegangen. „Aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem.“ Merz meinte offenbar Menschen mit Migrationshintergrund und Geflüchtete.

 

In der Generaldebatte im Bundestag gab es daraufhin heftige Kritik; auch im Netz warfen Nutzerinnen und Nutzer dem Kanzler Rassismus vor. Was sagen diejenigen, die sich wohl viel häufiger ein Bild von Innenstädten machen? Wir haben bei Oberbürgermeistern in der Region Stuttgart und im Land nachgefragt. Am Dienstag wird Merz zum offiziellen Antrittsbesuch in der Landeshauptstadt erwartet.

Merz-Aussagen „verkürzt und nicht zielführend“

Unisono betonen die Bürgermeister aus der Region Stuttgart, die Vielfalt und Weltoffenheit ihrer Städte. Der Göppinger Oberbürgermeister Alexander Maier (Grüne) hält Merz’ Aussage für „verkürzt und nicht zielführend“. Wer Stadtbilder pauschal als „problematisch“ bezeichne, „macht Stimmung statt Lösungen zu bieten“. Die Bundesregierung sei gut beraten, sich um die tatsächlichen Probleme des Landes zu kümmern – „und in Bildung, Integration, Sicherheit und sozialen Ausgleich zu investieren“ und so die Schere zwischen Arm und Reich zu bekämpfen. „Entscheidend ist, dass wir Zusammenhalt fördern, statt Misstrauen auf dem Rücken ganzer Bevölkerungsgruppen zu säen“, so Maier.

Die Oberbürgermeister aus Ludwigsburg und Sindelfingen, Matthias Knecht (parteilos) und Markus Kleemann (CDU), stellen auch die Herausforderungen heraus. „Unterkünfte müssen bereitgestellt werden, Kindergärten und Schulen haben entsprechenden Personalbedarf und die Behörden haben einen immensen Mehraufwand“, sagt Kleemann. Damit dürften die Kommunen nicht allein gelassen werden.

Auch Ludwigsburg stehe bei der „Integration von Geflüchteten vor großen Herausforderungen etwa bei Wohnraum, Bildung und sozialer Teilhabe. Wir dürfen auch nicht verschweigen, dass dort, wo Integration nicht gelingt, gesellschaftliche Probleme oder Kriminalität eine Folge sein können“, sagt Knecht. Was die Barockstadt stark mache, sei „das Miteinander, nicht das Gegeneinander“, so Knecht. „Da spielen Vereine, Ehrenamt, Kirchen und soziale Träger eine zentrale Rolle. In diesen Bereichen ist Ludwigsburg exzellent aufgestellt. Mit Menschen aus aller Welt.“

Pforzheimer OB: Vielfalt prägend – „im positiven, aber manchmal eben auch im negativen Sinn“

Nicht alle Oberbürgermeister aus dem Südwesten wollen sich zu dem Thema äußern. Etwa die aus Karlsruhe, Mannheim oder Heilbronn. Klare Kante zeigt etwa Peter Boch (CDU) aus Pforzheim. „Deutschland braucht Migration. Unser Arbeitsmarkt und unsere soziale Infrastruktur sind längst darauf angewiesen, dass Menschen zu uns kommen, hier arbeiten und ein produktiver Teil unserer Gemeinschaft werden“, sagt er. „Wer mit dem Ziel zu uns kommt, unsere Sprache zu lernen, unsere Werte zu verstehen und sich einzubringen, ist bei uns herzlich willkommen.“

Klar sei aber auch, wer sich nicht an Gesetze halte oder „unsere Grundwerte ablehnt, muss mit harten Konsequenzen rechnen“. Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, „dass es hier für einzelne Gruppen einen Freifahrtschein gibt oder geben könnte, dann ist das fatal. Fehlverhalten muss daher konsequent und schnell geahndet werden“.

Die Goldstadt hat mit den höchsten Ausländeranteil in Baden-Württemberg, beinahe jeder Dritte hat Migrationsgeschichte. „In Pforzheim sehen wir jeden Tag, dass Vielfalt unsere Stadt prägt – im positiven, aber manchmal eben auch im negativen Sinn“, sagt Boch. „Denn natürlich gibt es Orte in der Stadt, an denen sich insbesondere Frauen nachts unwohl fühlen können. Und natürlich gibt es auch Fehlverhalten Einzelner. Aber eine kleine Minderheit darf nicht das Bild der großen Mehrheit bestimmen, die friedlich, engagiert und integriert hier lebt.“

Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (parteilos) springt Merz bei. Auf seinem Facebook-Kanal schrieb er: „Wer sich häufiger in Parks und Bahnhöfen in den Städten aufhält, weiß genau, was der Kanzler meint: Gruppen junger Männer mit dunkler oder schwarzer Hautfarbe die den ganzen Tag oder auch die Nacht Zeit haben, dort zusammenzustehen.“

Er könne nachvollziehen, dass man sich ärgere, weil man sie dort „tagein tagaus sieht“. Wenn man das offen sage, „ist man ein Rassist“. Diese Gruppen eigneten sich öffentlich Plätze häufig an, das gehöre sich nicht – und häufig seien diese Menschen tatsächlich ausreisepflichtig. „Also gibt es auch einen Zusammenhang mit Abschiebungen. Das alles ist Realität und nicht Rassismus.“ Als Oberbürgermeister ärgere er sich darüber, „dem so machtlos gegenüber zu stehen“.