Im Rahmen der Reihe „Archivgespräche“ hat Stadtarchivar Nils Schulz den schriftlichen Nachlass von Heinz Riediger vorgestellt – eine Fundgrube für den Stadthistoriker, der die Materialien auszuwerten weiß.
97 Jahre alt ist Heinz Riediger mittlerweile, den die Ebinger vor allem als den Mann auf dem Beifahrersitz kennen – die Zahl derer, denen er das Autofahren beigebracht hat, ist Legion. Er hat in seinem Leben schwere persönliche Schicksalsschläge hinnehmen müssen, er hat schwere Krankheiten überstanden – besäße er nicht die große Gabe, immer wieder aufzustehen und weiterzumachen, er wäre vielleicht schon längst nicht mehr da.
Was ihm dabei geholfen, war sicherlich sein Interesse an seiner Umgebung – und der Drang, das, was er erlebt und mitverfolgt hat, festzuhalten. Die Teilnehmer des jüngsten Archivgesprächs im Ebinger Bildungszentrum hatten, wenn man so will, zwei Archivare vor sich, den Profi Nils Schulz und den passionierten Dokumentensammler Heinz Riediger. Was dieser im Lauf von Jahrzehnten zusammengetragen hat, das befindet sich mittlerweile in Besitz und Obhut des Stadtarchivs.
Dessen Werkstattgespräche haben nicht zuletzt den Zweck, zu zeigen, wie Archivalienkonvolute „erschlossen“ und zum Sprechen gebracht werden. Auch diesmal wurde bei der Kooperationsveranstaltung von Stadtarchiv und Heimatkundlicher Vereinigung Zollernalb rund 40 Besucherinnen und Besucher anschaulich gemacht, wie der der Archivar und nach ihm der Geschichtsforscher sich einen Weg durchs Dickicht bahnt.
Immense Sammlungen zur Stadtgeschichte
Heinz Riedigers Nachlass eignet sich dafür ganz besonders gut, weil er er so umfangreich und vielgestaltig ist. Er umfasst private Dokumente Riedigers, seines Vaters Anton Riediger und weiterer Verwandten, dazu immense Sammlungen zur Stadtgeschichte. Sie enthalten Informationen zur Baugeschichte einzelner Häuser und Straßenzüge, zur Geschichte bestimmter Vereine und Verbände, aber auch öffentlicher Einrichtungen und Institutionen, zum politischen Geschehen und zum Wirtschaftsleben.
Auch die BIA-Statementshaben sich erhalten
Ein schönes Beispiel: Kaum ein Bestand überliefert so erschöpfend die öffentliche Diskussion um den Ebinger Tunnelbau in den 1990er- und 2000er-Jahren wie der Riedigers. Der hat nämlich nicht nur die offiziöse Berichterstattung und die städtischen Verlautbarungen aufgehoben, sondern auch die der damaligen Opposition, sprich: der Bürgerinitiative Albstadt (BIA).
Die erste Winterlandung auf dem Feldberg
Noch ein Beispiel: Die Geschichte des Flugs im Raum Albstadt ist kaum irgendwo so lückenlos dokumentiert wie bei Heinz Riediger – schließlich war sein Vater Anton Riediger derjenige, auf dessen Initiative der Bau der Flugplätze auf dem Degerfeld und in der Sigmaringer Straße in Ebingen zurückging. Riediger Senior gelang 1930 die erste Winterlandung auf dem Feldberg – mit einer Klemm-Maschine – , und er rief die erste Fahrschule im Oberamt Balingen ins Leben. Sein Sohn Heinz führte diese Fahrschultradition nach einer kaufmännischen Lehre bei der Firma Gühring fort.
Mit 16 als Flakhelfer nach Friedrichshafen
Ein weiterer wichtiger Posten in Riedigers Sammlung ist sein Kriegstagebuch. 16-jährig war er als Luftwaffenhelfer nach Friedrichshafen-Schnetzenhausen abgestellt worden; sein Tagebuch legt auf eindrucksvolle und berührende Weise Zeugnis davon ab, wie Heinz Riediger den schrecklichen, für einen Jugendlichen aber auch erregenden Kriegsalltag erlebte. Darüber hinaus gibt es Aufzeichnungen von ihm und seinem Vater aus der Kriegsgefangenschaft der Jahre 1945/46 – alles wie geschaffen für Projekte der Archivpädagogik und der historischen Bildungsarbeit.
Ist Heinz Riedigers Nachlass nicht eher ein „Vorlass“?
Für die Zuhörer des „Archivgesprächs“ war dieses natürlich auch deshalb so reizvoll, weil der Zeitzeuge mitten unter ihnen war und sie Fragen stellen konnten. Hier von „Nachlass“ zu reden war deshalb auch nicht ganz statthaft; in der bildenden Kunst hat sich mittlerweile das Kunstwort „Vorlass“ eingebürgert. Heinz Riediger lebt ja schließlich noch – und ist erst 97.