Beamte der Bundespolizei durchsuchen seit Mai auch die grenzüberschreitende Tram beim ersten Halt am Kehler Hauptbahnhof – Verspätungen sind die Konsequenz. Foto: Kehl

Rund fünf Wochen ist es her, dass die neue Bundesregierung die Grenzkontrollen deutlich verschärft hat. Die Folgen seien beträchtlich, klagt die Stadt Kehl.

Die Passantenzahlen in der Fußgängerzone sind deutlich zurückgegangen; die Klagen, die bei der Stadtverwaltung eingehen, mehren sich. Eine Antwort auf den Brief, den OB Wolfram Britz gemeinsam mit seiner Straßburger Amtskollegin Jeanne Barseghian an Bundeskanzler Merz geschrieben hat, liegt noch nicht vor, heißt es in einer Mitteilung der Stadt Kehl. Die intensivierten Grenzkontrollen wirken sich demnach auf fast alle Lebensbereiche aus.

 

Arbeiten: Grenzpendler müssen deutlich mehr Zeit für ihren Arbeitsweg einplanen; für Autofahrer, die über die Europabrücke kommen, gibt die Bundespolizei die Wartezeiten mit zehn bis 45 Minuten an. Das gilt auch für Pendler, die die Ortenau-S-Bahn zwischen Straßburg und Offenburg nutzen, weil durch die Kontrollen im Kehler Bahnhof Verspätungen von bis zu 15 Minuten entstehen.

Wirtschaft: Bei OB Wolfram Britz melden sich Unternehmer, die fürchten, die für sie so wichtigen und geschätzten Fachkräfte aus Straßburg und Umgebung zu verlieren, wenn die intensiven Kontrollen längere Zeit andauern. „Spediteure, die gerade in unserm Ballungsraum unterwegs sind, also beispielsweise Waren zwischen dem Straßburger und dem Kehler Hafen transportieren, stellen es ihren Lkw-Fahrern frei, ob sie sich auf der Europabrücke in den Stau begeben oder den Umweg über die Pflimlin-Brücke oder den Grenzübergang Gambsheim-Freistett fahren“, so die Mitteilung.. Dadurch seien allein bei einer Spedition in Kehl für die gesamte Lkw-Flotte in den vergangenen fünf Wochen mehrere Tausend zusätzliche Kilometer zusammengekommen – was für den Grenzraum auch eine zusätzliche Luftbelastung bedeute.

Die Situation an der Grenze zwischen Kehl und Straßburg sorgt auch für überregionale Medieninteresse: OB Wolfram Britz (links) gab dazu ZDF-Redakteur Anton Jany ein Interview. Foto: Stadt Kehl

Mobilität: Wenn die Tram durch die Kontrollen an der Haltestelle Bahnhof aufgehalten wird, wirken sich die Verspätungen entlang der Linie D durch die gesamte Straßburger Innenstadt aus. Für die Fahrer verkürzt sich die Pause an der Endhaltestelle Rathaus. Wer die Ortenau-S-Bahn nutzt, muss – selbst wenn er in Kehl startet – früher losfahren, wenn er sicher sein will, dass er in Offenburg einen Fernzug erreichen kann.

Einzelhandel: Die Besucherfrequenz in der Fußgängerzone (gemessen über offenes Wlan von Handybesitzerrn) ist seit der Intensivierung der Grenzkontrollen deutlich zurückgegangen. So wurde an der Zählstelle auf Höhe der Stadtapotheke seither die 15 000er-Marke nicht mehr erreicht. Ein Beispiel: Am Samstag, 3. Mai, bewegten sich dort 21 000 Personen; am 7. Juni waren es 11 500.

Privatleben: In Kehl leben mehr als 3000 Einwohner mit einem französischen Pass. In Straßburg wohnen – Schätzungen zufolge – mehr als 5000 Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit. Dabei handelt es sich nicht selten um deutsch-französische Familien, die auch Angehörige auf der jeweils anderen Rheinseite haben. Die Grenzkontrollen erschweren gegenseitige Besuche und werden dann zu einer erheblichen Belastung, wenn beispielsweise die Eltern unterstützt oder gepflegt werden. Außerdem pendeln täglich ein paar Hundert Schüler auf die jeweils andere Rheinseite. Auch die Kinder und Jugendlichen werden in der Tram kontrolliert und müssen sich ausweisen können. Für einige von ihnen sind diese Kontrollen eine unangenehme Erfahrung – die sie bislang (von der Corona-Pandemie abgesehen) nicht kannten. Viele Eltern möchten ihren Kindern keinen Ausweis mitgeben, aus Furcht, dass dieser im Schulalltag verloren geht.

Die neue Regelung

Die Polizei darf nach Weisung des neuen Innenministers Alexander Dobrindt seit Anfang Mai auch Asylsuchende an den Grenzen abweisen. Zuvor galt: Wer keine Papiere hatte, den Beamten jedoch erklärte, ein Asylgesuch stellen zu wollen, wurde erkennungsdienstlich erfasst und in den Zug zur Landeserstaufnahmestelle nach Karlsruhe gesetzt – obwohl Frankreich als sicherer Drittstaat gilt. Nun dürfen nur noch „vulnerable Gruppen“, etwa Frauen mit kleinen Kindern, Schwangere oder erkennbar Schwerkranke einreisen.