St. Georgen - Otto Rapp ist ein Kenner der Stadtgeschichte. Sein großes Archiv zeugt von seiner Leidenschaft für die Vergangenheit St. Georgens. Die erste Stadtkernsanierung hat er genauestens verfolgt. "Früher war alles besser", heißt es so schön. Doch Rapp zieht ein anderes Fazit.

Mit einem dumpfen Geräusch fällt die dicke, weiße Mappe auf den Tisch. "Stadtkernsanierung" ist darauf in leicht verblasster Schrift zu lesen. Otto Rapp läuft um den Tisch herum, setzt sich auf einen Stuhl, rückt seine Brille gerade. "So", beginnt er vielsagend und öffnet dabei die Mappe.

Unzählige Zeitungsartikel sind darin zu finden, der Stapel ist mehrere Zentimeter dick. Ein kleiner historischer Schatz. "Alles ausgeschnitten, alles gesammelt", meint Rapp und lächelt. Die St. Georgener Stadtgeschichte ist eines seiner Steckenpferde, neben seiner Tätigkeit im "Schwarzen Tor" hat er auch schon Vorträge über das Stadtbild im Wandel gehalten – und dabei mit so manchem Vorurteil aufgeräumt.

"Früher war nicht alles so schön, wie immer gesagt wird", sagt Rapp. Zum Beweis zieht er ein Bild hervor, das eine öde Gegend zeigt, im Vordergrund steht ein einsames Auto, im Hintergrund eine eher unansehnliche Lagerhalle. Heute ist hier der Marktplatz zu finden.

Wohn- und Arbeitsraum  zugleich

Dass das Stadtbild zu dieser Zeit alles andere als attraktiv und funktional ist – das ist auch das Ergebnis der damaligen Untersuchungen gewesen. In den 60er-Jahren wird ein Bevölkerungswachstum prognostiziert, für das St. Georgen nicht gerüstet ist. Angestrebt wird eine bessere Balance im Stadtkern, St. Georgen sollte Wohn- und Arbeitsraum gleichermaßen bieten, die Verkehrsführung besser getrennt werden. Ein Traum, der Wirklichkeit werden soll.

In Zeiten sprudelnder Steuereinnahmen entschließt sich die Stadt für eine grundlegende Sanierung. Nicht nur Dual, die zu dieser Zeit bereits in noch geheimen Gesprächen den Zusammenschluss mit Perpetuum Ebner plant, verzeichnet wachsende Umsätze – auch bei Firmen wie J. G. Weisser, Papst sowie Matthias Baeuerle und Tobias Bäuerle wissen die Hochkonjunktur zu nutzen.

Ein Blick in die damaligen Finanzen zeigt die solide Grundlage für die Pläne der Stadt. Lagen die Gewerbesteuereinnahmen 1961 noch bei etwa 2,3 Millionen D-Mark, stiegen die Einnahmen 1968 bereits auf rund fünf Millionen D-Mark. Ein Jahr später waren es fast elf Millionen D-Mark und 1974 erreichten die Einnahmen mit mehr als 20 Millionen D-Mark den absoluten Hochpunkt.

Dass die Stadt einen nie dagewesenen Investitionsspielraum hatte, zeigt sich auch in den Kalendern von Rapp. Fein säuberlich hat er festgehalten, welche Bauprojekte in den Jahren in Angriff genommen wurden. "Das war eine Zeit voller Hektik", erinnert er sich. Der Kindergarten auf der Halde, der Erweiterungsbau des Gymnasiums auf dem Roßberg, der Bau des Lorenzhauses – all diese Einträge zeigen, wie sich die gute Wirtschaftslage niederschlug. "Wir hatten Baustellen an jeder Ecke", sagt er.

Gemeinsam mit den Lesern des Schwarzwälder Boten blickt Rapp daher zurück: Welche Geschichte steckt hinter dem Zünderschlössle? Wo befand sich früher das Postamt? Und warum wurde das Gasthaus Bären doch beinahe gerettet? Manch einer wird sich noch gut erinnern, erzählen die Artikel in Rapps Mappe doch von einer noch nicht all zu weit zurückliegenden Zeit. Für andere wiederum bietet der Blick in die Vergangenheit eine eigentlich unbekannte Welt. Eine Reise zwischen Neuem und Nostalgischem beginnt.

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18 Jahre liegen zwischen diesen beiden Bildern, welche die Bergstadt einmal 1972 und einmal 1990 aus jeweils verschiedenen Perspektiven zeigen. Der große Turm der katholischen Kirche dient als guter Orientierungspunkt. Während auf dem ersten Bild noch viele alte Häuser stehen, dominieren auf dem zweiten Bild in der Innenstadt die Flachdächer.

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Glosse: Bleibende Eindrücke

Wenn man die Stadtgeschichte sorgfältig aufarbeiten möchte, muss man viel Zeit investieren. Ich kann die Stunden nicht mehr zählen, in denen ich auf historische Bilder geblickt, meine Notizen entziffert oder mich durch Geschichtsbücher gewühlt habe.

Die Recherche für den ersten Teil ließen mich mehrmals über ein kleines Bauwerk stolpern, das eigentlich gar nicht so viel Geschichte beinhaltet: der Brunnen vor dem Rathaus. Unabhängig voneinander erzählten sowohl Günter Lauffer als auch Otto Rapp, was sie und viele andere eigentlich in diesem Werk sehen: die aufeinandergestapelten Hinterteile der St. Georgener Gemeinderäte. Aufgefallen wäre mir das nie. Doch einmal gehört, ist es schwer zu vergessen – und noch schwerer zu übersehen.

Recherche ist daher ein bisschen wie Klausurvorbereitung. Man merkt sich in kurzer Zeit viele Dinge. Ist die Prüfung – oder in unserem Fall die Veröffentlichung – erst einmal vorbei, verschwindet ein Teil des Gelernten. Was schlussendlich doch hängen bleibt, sind oft nicht die wichtigsten Fakten. Wohl aber die eindrücklichsten. In diesem Sinne: Falls Sie es noch nicht wussten, erstrahlt nun auch für Sie der Brunnen in einem neuen Licht. Willkommen im Club.

Altbürgermeister erzählt von Stadtsanierung 1968

St. Georgen - Altbürgermeister Günter Lauffer gibt es unumwunden zu: Die Stadtsanierung zu Beginn seiner Karriere hätte diese beinahe vorzeitig beendet. "Als ich meinen Dienst 1968 begonnen habe, war das Rathaus schon abgerissen", erinnert er sich zurück. Die Stadtkernsanierung stand in den Startlöchern, im Rahmen eines Wettbewerbs sollten Ideen eingeholt und ein Sieger gekürt werden. So weit der Plan.

"Im Wettbewerbsausschuss saßen Fachleuchte, ich als Bürgermeister und Gemeinderäte", rekapituliert er. Der erste Preis ging an einen Freiburger, der unter anderem am Wiederaufbau der zerbombten Breisgau-Metropole mitgearbeitet hatte. "Ich hatte ein gutes Gefühl", so Lauffer. "Der Freiburger Entwurf hatte einiges vom alten Stadtgefüge übernommen."

Doch es sollte anders kommen. Kurz vor der Entscheidung spricht sich laut dem Altbürgermeister die Wählervereinigung Junge Aktion, dessen Vorsitzender Gemeinderat Dieter Grässlin ist und der ebenfalls im Ausschuss sitzt, gegen den ersten Preis aus. Infolgedessen wird eine Gruppe St. Georgener Architekten, die auf dem zweiten Platz gelandet war, mit der Sanierung beauftragt.

"Ich habe das nicht für richtig empfunden", so Lauffer. "Ich hielt und halte den damaligen Freiburger Entwurf für besser." Er habe damals seinen Urlaub unterbrochen, Werbung für den ersten Preisträger gemacht – vergeblich. "Es war eine demokratische Entscheidung, die ich zu respektieren hatte", sagt er heute. Doch er gibt zu: Er empfand die Entscheidung als Niederlage, habe sich geärgert und darüber nachgedacht, nicht als Bürgermeister weiterzumachen. Immerhin: Der Rat zog in der Folge an einem Strang, die Sanierung wurde vorangetrieben – wenn auch mit den Zweitplatzierten.

Rund 50 Jahre später steht nun die fünfte Sanierung an. Sein Fazit, wenn heutzutage über das Stadtbild gesprochen wird, das in seiner Amtszeit maßgeblich geprägt wurde? "Ganz so schlecht, wie es dargestellt wird, ist es nun auch wieder nicht."

Info: Zeitreise St. Georgen

Mit der geplanten Innenstadtsanierung hat sich St. Georgen einem Millionenprojekt angenommen. In den kommenden Jahren wird gebaggert, gespachtelt und gebaut. Die Bergstadt, wie man sie heute kennt, wird damit auch ein Stück weit verschwinden. Grund genug, zurückzublicken: In unserer Sommerserie Zeitreise veröffentlichen wir wöchentlich eine Geschichte über die Gebäude und Areale, die bereits nach der ersten Sanierung für immer verschwanden – vom Zünderschlössle über das Kaufhaus Raff bis hin zum Café Schöner.