Lucia Kienzler engagiert sich dafür, St. Georgen als Literaturstandort zu etablieren. Foto: Zelenjuk Foto: Schwarzwälder Bote

Interview: Leiterin der Stadtbibliothek erklärt, wie sich Literatur in Zeiten der Digitalisierung wandelt

St. Georgen. Am 24. Oktober wird in Deutschland der Tag der Bibliotheken gefeiert. Lucia Kienzler, seit viereinhalb Jahren Leiterin der Stadtbibliothek St. Georgen, spricht im Interview über aktuelle Herausforderungen und spannende Zukunftsvisionen.

Frau Kienzler, ist die Stadtbibliothek St. Georgen ein schöner Ort zum Arbeiten?

Auf jeden Fall. Ich finde, wir haben den schönsten Hauseingang in St. Georgen. Ich mag auch unser fröhliches Farbkonzept, aber vor allem durch unsere Besucher wird die Bibliothek zu einem lebendigen Arbeitsort. Für mich ist es ein Privileg, mich während meiner Arbeit mit Literatur zu beschäftigen.

Ist der 24. Oktober ein besonderer Tag für Sie?

Natürlich. Wir möchten auch in diesem Jahr wieder die Möglichkeit nutzen, am Tag der Bibliotheken auf unser Angebot aufmerksam zu machen. Für unsere kleinen Besucher haben wir ein Kinderlesefest vorbereitet. Meine Kollegin Gabriele Eimer wird zusammen mit den Lesepaten die Geschichte vom Räuber Hotzenplotz und der Mondrakete vorlesen, es gibt aber auch Spiele und Basteleien. So geht das Fest über das reine Vorlesen hinaus.

Bietet die Bibliothek heute also mehr als nur den Ausleih-Service?

Ganz bestimmt. Reine Ausleihorte sind Bibliotheken nicht mehr. Auch wir müssen uns ständig wandeln, um bestehen zu können. Unser Wunschziel ist eine Bibliothek als "dritter Ort", als Ort der Begegnung.

Ist denn auch das Leseverhalten der Bergstädter im Wandel?

Ich beobachte, dass die Zahl unserer Leser kontinuierlich steigt und die Ausleihvorgänge leicht sinken. Daraus schließe ich, dass immer mehr St. Georgener das Lesen – oder auch uns als Stadtbibliothek – für sich entdecken. Ich würde aber nicht schließen, dass allgemein weniger gelesen wird. Denn es gibt neben dem Buchhandel viele Alternativen, an die Bücher zu kommen, ob auf Flohmärkten oder im freien Bücherregal.

Gibt es noch den klassischen Bücherwurm?

Ja, wir haben auch nach wie vor Leser, die in vier Wochen zehn Bücher schaffen, sowohl Erwachsene, als auch Kinder und Jugendliche.

Beobachten Sie auch den Trend, dass immer mehr Menschen auf digitale Medien umsteigen?

Umsteigen ist das falsche Wort. Viele Leser nutzen zusätzlich das Angebot im digitalen Bereich. Es ist eine sinnvolle Ergänzung, die das gedruckte Buch aber meiner Meinung nach nie ersetzen wird. Was bei uns in der Bibliothek sehr gern genutzt wird, ist das Streamen und das Herunterladen von Hörbüchern. Und die Ausleihe der E-Books steigt natürlich in der Urlaubszeit an.

Lesen Sie selbst gern digital oder lieber auf Papier?

Ich mag meinen E-Book-Reader, weil ich dort mehr Auswahl habe. Aber das gedruckte Buch bevorzuge ich ehrlich gesagt nach wie vor.

Warum?

Man kann es fühlen, riechen, und auch das Umblättern hat eine besondere Faszination. Man sieht die Dicke des Buchs, das Cover ist viel ansprechender. Optisch ist es für mich einfach schöner. Aber auch ein E-Book hat natürlich seine Vorzüge, ab einem gewissen Alter ist zum Beispiel die Möglichkeit der Schriftvergrößerung von Vorteil.

Was meinen Sie, ist die Stadtbibliothek fit für die digitale Zukunft?

In St. Georgen müssen wir noch einiges dafür tun. Wir haben in der Bibliothek bis jetzt noch keinen W-Lan-Zugang, obwohl das eigentlich schon längst Standard ist. W-Lan brauchen wir für unsere Arbeit, zum Beispiel um Dateien auf digitale Stifte hochzuladen. Ich könnte mir auch Führungen mit Tablets vorstellen.

Gibt es weitere Potenziale im digitalen Bereich?

Schön wäre es, wenn wir ein Selbstverbuchungsterminal in der Bibliothek installieren könnten. Das wäre ein Schritt in die Richtung Open Library, wenn die Leser mit ihrem Bibliotheksausweis den Zugang bekommen und kein Personal vor Ort notwendig ist. Dann wären auch Sonntagsöffnungszeiten möglich, das wäre vor allem für Familien und Berufstätige schön.

Kann eine kleine Bibliothek diese Herausforderungen überhaupt meistern?

Für eine Bibliothek unserer Größe wird die Vernetzung mit anderen Bibliotheken und Einrichtungen in der Region immer wichtiger. Es ist die große Chance, den Herausforderungen der Zeit mit einem bescheidenen Budget gerecht zu werden. Aber auch wir selbst machen einiges dafür.

Zum Beispiel?

Für St. Georgen ist die Einrichtung der Onleihe schon ein großer Schritt. Außerdem sind wir in sozialen Netzwerken aktiv. Dort finden wir immer neue Themen, die wir dann unseren Lesern in der Bibliothek nahebringen.

Sie haben also keine Angst, dass die Bibliothek ein Auslaufmodell ist?

Nein, auf keinen Fall. Die St. Georgener kommen zu uns, nicht nur um Bücher auszuleihen. Sie lesen die Tageszeitungen, stöbern im Bestand, schieben eine kleine Kaffeepause zwischen zwei Terminen ein. Und hier finden sie immer jemanden, mit dem man über Bücher sprechen kann.

Sie haben die Literaturtage St. Georgen ins Leben gerufen. Warum war es Ihnen wichtig, diese Veranstaltungsreihe zu installieren?

Die Literaturtage sind eine schöne Ergänzung zu den vielen musikalischen und sportlichen Veranstaltungen, die wir in St. Georgen haben. Mir ist es wichtig, das Lesen als Basiskompetenz für die Teilhabe an der Gesellschaft besonders in den Fokus zu rücken.

Wie ist die Resonanz?

Ziemlich gut. Der Vorverkauf für einige Veranstaltungen läuft noch. Es wäre wirklich ein Traum, St. Georgen als einen wichtigen Literaturstandort zu etablieren. Mal schauen, wo wir in zehn Jahren stehen. Es heißt ja immer, man muss groß denken.  Die Fragen stellte Tatsiana Zelenjuk.