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Vom Imageverlust bis zum fehlenden Glauben: Immer mehr Menschen wenden sich von Kirche ab.

St. Georgen - Weihnachten rückt näher und damit einer der wichtigsten katholischen und evangelischen Feiertage. Doch viele Menschen wenden sich mittlerweile von der Kirche ab. Die Pfarrer der Bergstadt zeigen für diesen Schritt teilweise Verständnis.

Empörung über Missbrauchsskandale, Kirchensteuer, der fehlende Glaube – die Gründe für einen Kirchenaustritt sind vielfältig. Dass die sinkenden Mitgliederzahlen an der katholischen und evangelischen Kirche nicht spurlos vorbeiziehen, zeigt nicht zuletzt der Verkauf des evangelischen Pfarrhauses in Peterzell.

Doch die Protestanten sind mit diesem Problem nicht alleine. In St. Georgen entscheiden sich viele Katholiken für einen Kirchenaustritt, wie Pfarrer Paul Dieter Auer gegenüber unserer Zeitung bestätigt. Auer, der seit 20 Jahren in der Bergstadt Pfarrer ist, spricht gar von einem "Austrittsschub". Wie viele von ihnen vorab das Gespräch mit ihm suchen? Der Pfarrer winkt ab. "Niemand kommt vorbei", sagt er und schüttelt den Kopf.

Priester bietet Gespräch an

Um aus der Kirche auszutreten, muss man rein formell nicht den Pfarrer aufsuchen, sondern das Standesamt. "Das ist ganz genau geregelt", erklärt Anton Wimmer von der Stadtverwaltung. Eine geordnete Verwaltung der Kirchensteuer sei nur dann gewährleistet, wenn es ein formalisiertes Kirchenaustrittsverfahren gebe. "Man muss definitiv festlegen, mit welchem Tag die Konfessionszugehörigkeit endet", erklärt er. Nötig ist daher auch eine persönlich unterschriebene Erklärung. "Hier kann man sich auch nicht vertreten lassen", so Wimmer.

Wer sich von der Kirche abwendet, bekommt als Katholik persönlich Post von Auer. In dem standardisierten Schreiben bietet er ein Gespräch an, das allerdings vom Empfänger initiiert werden muss. "Ich biete mich gerne an, man muss dann aber auf mich zukommen", meint er. Die Rückmeldungen halten sich allerdings in Grenzen.

Pfarrer Roland Scharfenberg, der in St. Georgen für die Petrusgemeinde zuständig ist, verzichtet bewusst im Nachgang auf ein Gespräch. "Wenn ich es erfahre, ist das Kind bereits in den Brunnen gefallen", sagt er. Oft entscheiden sich Menschen aufgrund der Steuer gegen die Kirche, so Scharfenbergs Erfahrung. In dieser Einschätzung fühlt er sich durch den Umstand bestätigt, dass derzeit viele Menschen, die Anfang der 90er-Jahre geboren sind, austreten. "Die verdienen ihr erstes Geld, wollen die Steuer dann eben sparen", so seine Bilanz.

Geld zu sparen sei kein Austritts-Grund

Beim Thema Finanzen hört auch für den katholischen Pfarrer die Diskutierfreudigkeit auf. Geld zu sparen sei für ihn kein Grund, um aus der Kirche auszutreten. Für andere Motive hat er hingegen Verständnis, etwa, wenn Homosexuelle sich gegen die Kirche entscheiden. Beim Thema Sexualität, so Auer, sei man völlig rückständig. "Die katholische Kirche erkennt die Zeichen der Zeit nicht", sagt er.

Dass man diese Rückständigkeit oft auch auf ihn überträgt, haben bereits Gespräche mit Eltern gezeigt, deren Kinder sich geoutet haben. "Ich wurde dazu gerufen, um den Sohn oder die Tochter zu belehren", erzählt Auer. Oft schlage ihm Unverständnis entgegen, wenn er sich nicht der Erwartungshaltung der Eltern entsprechend verhält.

Unverständnis – das erlebt Scharfenberg indes vor allem von Menschen, die aus der Kirche ausgetreten und sich offenbar nicht der Tragweite ihrer Entscheidung bewusst sind. Aktuell habe er zwei Fälle, in denen Konfessionslose eine Patenschaft übernehmen wollen. "Ich kann eben keine Funktion in einem Verein übernehmen, wenn ich kein Mitglied bin", stellt er seine Sicht der Dinge dar.

Besonders tragisch wird es, wenn Menschen austreten, dies aber nicht ihrer Familie mitteilen. Auer erlebte beispielsweise den Fall eines jungen Mannes, der verunglückte und dessen Familie ihn kirchlich beerdigen wollte. "Da kann ich nichts machen, es war seine Entscheidung", erklärt er.

Scharfenberg stimmt zu. Dabei gehe es ihm weniger um die rechtliche Seite. "Es wäre einfach geheuchelt", findet er. Menschen, die aus der Kirche ausgetreten sind, ist ein kirchliches Begräbnis damit verwehrt – sie müssen auf freie Redner zurückgreifen.

Immer wieder absurde Momente

Rund um das Thema Kirche kommt es auch immer wieder zu absurden Momenten, die für Pfarrer Auer oft auf Unwissen zurückzuführen sind. "Ich hatte mal ein Paar, das wollte sich ökumenisch trauen lassen. Beide waren katholisch", erinnert er sich. Oft würden seiner Ansicht nach Behauptungen über die Kirche aufgestellt, die in dieser Form nicht stimmen. "Es wird viel pauschalisiert", betont er. "Zudem halten sich viele Menschen für modern, denken aber in veralteten Kategorien." So gebe es viele, die nicht wüssten, dass man selbst als Konfessionsloser kirchlich heiraten darf – vorausgesetzt, der Partner ist getauft. "Ich gehe auf solche Dinge auch ein, lass bei einem Atheisten beispielsweise das Wort Gott in der eigentlichen Trauung weg", erzählt Auer.

Doch unabhängig vom finanziellen Aspekt oder der fehlenden Möglichkeit, kirchlich beerdigt zu werden bleibt angesichts der Kirchenaustritte eine wichtige Frage: Braucht es überhaupt eine Kirchenzugehörigkeit, um Christ zu sein? Auer schüttelt den Kopf. "Man kann nicht alleine Christ sein", stellt er seine Sicht der Dinge dar. Für ihn gehe es um die Gemeinschaft. Ähnlich, wenn auch etwas abgeschwächter, sieht das Scharfenberg. "Christ sein ohne eine Gemeinde ist möglich, aber nicht sinnvoll", findet er. Für ihn gehe es zwar in erster Linie um die Beziehung zu Jesus Christus – der Gemeinschaft misst er aber wie Auer einen hohen Stellenwert bei.

Kirche muss liberaler werden

Für beide Pfarrer ist klar: Die Kirche muss liberaler in ihren Ansichten werden, mit der Zeit gehen, um den Mitgliederschwund entgegenzuwirken. Ein Kritikpunkt in der katholischen Kirche ist beispielsweise immer wieder das Zölibat. Auer sieht diesen Punkt differenziert. "Ich habe die Wahl zur Nichtwahl gehabt", sagt er. Schließlich sei ihm von Anfang an klar gewesen, auf was er sich einlasse.

Doch haben für ihn andere Institutionen wie etwa die orthodoxe Kirche in diesem Bereich interessante Lösungen gefunden: Dort darf der Gemeindepfarrer verheiratet sein, die oberen Chargen aber nicht. Zudem sieht er eine Zukunft in der Rekrutierung weiblicher Amtsträger. "Wir müssen mit den Frauen weitermachen", unterstreicht er.

Für Scharfenberg scheitert die Kirche derzeit vor allem an der Kommunikation. "Die Kirche hat es nicht geschafft, die eigentliche Botschaft zu überbringen. Es wird an liturgischer Sprache und Form festgehalten – dabei müssen wir uns hier öffnen." Die Kirche denke seiner Ansicht nach, sie habe "etwas Ewiges", das hochgehalten werden müsse. Für ihn liegt darin die Krux: "Denn wenn wir es zu hoch halten, kommt irgendwann keiner mehr dran."