Foto: Nadine Klossek

Gesellschaftliches Leben in St. Georgen friert weiter ein

Teile des Einzelhandels müssen bis vorerst 19. April ihre Schotten dicht machen. Das hat die Landesregierung am Mittwoch entschieden. Die Händler reagieren mit Verständnis und suchen gleichzeitig nach Wegen, um die Krise möglichst unbeschadet zu überstehen.

St. Georgen. Es ist genau 9.44 Uhr als Guido Eichenlaub über die App Nina des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe erfährt, dass die Landesregierung in der Nacht zu Mittwoch die Rechtsverordnung weiter verschärft. Eine der Entscheidungen: Teile der Läden müssen ab sofort schließen. Zu dieser Zeit pulsiert bereits der Handel in der Bergstadt. Viele Geschäfte haben geöffnet, Einkäufer sind unterwegs.

An Situationen wie diesen stört sich Eichenlaub. "Die Maßnahmen sind sinnvoll, das möchte ich auch nicht in Abrede stellen", betont er. "Aber da fehlt einfach der Informationsfluss von den Behörden."

Im Gespräch mit dem Schwarzwälder Boten geht Eichenlaub daher die Liste der Bereiche durch, die weiterhin geöffnet haben dürfen: Einzelhandel für Lebensmittel, Wochenmärkte, Abhol- und Lieferdienste, Getränkemärkte, Apotheken, Sanitätshäuser, Drogerien, Tankstellen, Banken und Sparkassen, Poststellen, Frisöre, Reinigungen, Waschsalons, der Zeitungsverkauf, Bau-, Gartenbau- und Tierbedarfsmärkte sowie der Großhandel Hofläden und Raiffeisenmärkte.

Wo steht der Optiker? Erst die Gespräche mit zwei Berufsverbänden bringen ihm die Gewissheit, dass sein Geschäft in den Bereich Sanitätshäuser fällt, da er Medizinprodukte herstellt. "Die Informationslage ist einfach relativ schlecht", so sein Fazit.

Viel Ungewissheit schlägt auch Sabine Günter von Haushaltswaren Henninger entgegen. "Viele rufen an, viele fragen nach", erzählt sie. Da Henninger auch Baustoffe vertreibt, darf der Laden weiterhin geöffnet sein. Doch wie lange noch? Das scheint zumindest Kunden zu beunruhigen, die in den letzten Tagen vermehrt vorbeischauten.

Währenddessen müssen sich die Einzelhändler um ihre Finanzen sorgen. Wer ganz schließt, hat keinerlei Einkünfte. Wer zwar öffnen darf, merkt den Rückgang der Kaufkraft. "Wir hoffen alle auf diese Hilfsprogramme", meint Günter. "Die kleineren und mittleren Unternehmen werden schwer getroffen." Vorsorglich würden nun auch viele die Agentur für Arbeit aufsuchen, um Kurzarbeit zu beantragen.

Ebendiesen Plan möchte in Kürze auch Zafer Ekincioglu vom Stern Imbiss umsetzen. Der Dönerladen muss das Essen aus dem Fenster reichen. Der Innenbereich wurde geschlossen. Denn bei Ekincioglu greifen wiederum die Gastro-Richtlinien (wir berichteten), die nun um beschränkte Öffnungszeiten von 6 bis 18 Uhr erweitert wurden. Ob eine Stunde länger geöffnet ist oder nicht – Ekincioglu hat ein ganz anderes Problem: "Die Kundschaft fehlt."

Ein paar Ecken weiter wiederum versteht man im Eiscafé Venezia nicht, warum der Dönerladen weiter offen bleiben darf. Eisdielen fallen laut der Rechtsverordnung in die gleiche Kategorie wie Bars, Clubs, Diskotheken und Kneipen – hier wird ausnahmslos alles geschlossen. "Gerade jetzt, wo bei uns die Saison anfängt. Das ist schon eine Katastrophe", resümiert Angela Difrancesco.

Ohne Wenn und Aber schließen müssen auch Modegeschäfte wie das Lakritz. "Wir hatten heute Morgen nur noch offen, um ein Schild hinzuhängen und alles zu ordnen", meint Klaus Müller. Nun sei Kurzarbeit angesagt. "Wir haben allerdings weiterhin einen Onlinehandel laufen, der wird weiter bedient", erklärt er weiter.

Mit einigen Mitgliedern des Handels- und Gewerbevereins sei man zudem im Gespräch, einen "Bringdienst" zu organisieren. Neben Müller bieten beispielsweise auch die Geschäfte Henninger und Eichenlaub in bestimmten Situationen einen Lieferservice an, um den Kunden trotz der schwierigen Lage weiterzuhelfen.

In einer ganz anderen Branche merkt man zwar die Auswirkungen, ist aber noch relativ gelassen gestimmt. Manfred Bösinger vom gleichnamigen Autohaus erklärt, dass bei ihm der Betrieb nahezu normal weiterlaufen könne. "Die Werkstatt bleibt offen, der Verkauf muss etwas runtergefahren werden", sagt er. Den Verkaufseingang habe man abgetrennt, um keine Ausbreitung des Virus zu riskieren. Der große Vorteil neben der immer noch geöffneten Werkstatt: Der Onlineverkauf laufe wie gehabt.

"Und dann gibt es ja auch Leute, die vor der Zeit des Virus ein Auto bestellt haben oder nach einem Unfall auch wieder mobil gemacht werden müssen", führt er aus. "Aber man merkt natürlich, dass es weniger wird. Alles andere wäre schön geredet."

Die Situation schön reden – das will auch Simone Obergfell vom Friseursalon Haarwerk nicht. Sie darf laut Rechtsverordnung ihren Laden weiterhin geöffnet lassen, fragt sich aber, wie lange das noch der Fall sein wird. "Wir haben momentan noch relativ guten Andrang, weil die Leute wohl Angst haben, dass sie irgendwann nicht mehr raus dürfen", meint sie.

Dass sie als Friseurin nicht immer den gebührenden Abstand zu ihren Kunden einhalten könne, sei ihr bewusst. Ob es denn überhaupt nötig sei, in Corona-Zeiten zum Friseur zu gehen? "Ich glaube, es gibt dringendere Geschichten als einen Friseur", räumt sie ein. "Aber vielleicht ist es gut für die Psyche, das Wohlbefinden, dass man in dieser Zeit noch was hat, was der Seele gut tut."

Um das Infektionsrisiko zu minimieren verzichte man auf jeglichen Körperkontakt, wasche und desinfiziere sich oft die Hände und habe den Wartebereich entsprechend der Vorgaben umgestaltet. Für gesunde Leute, die allerdings einer Risikogruppe angehören, biete man zudem einen mobilen Friseur an.

Als es am Mittwoch langsam Abend wird, ist Markus Esterle, Leiter der Bürgerdienste, im Rathaus zu erreichen. Die Telefone in seinem Amt stehen dieser Tage nicht still, das Besetztzeichen ist keine Seltenheit. Wie läuft also im Rathaus die Umsetzung der Rechtsverordnung? Der Vollzugsbedienstete habe heute eine Runde gedreht und alle Händler aufgeklärt. "Es ist etwas kompliziert", räumt auch Esterle ein. Daher wolle die Verwaltung helfen, wo es möglich ist. "Wenn es um die Rechtsverordnung geht und die Umsetzung vor Ort, kann man sich gern bei uns melden", sagt der Amtsleiter.

Immerhin: der erste Tag mit der verschärften Rechtsordnung ist geschafft – bis wieder eines Morgens die Nina-App zu diesem Thema klingelt und Neuigkeiten verkündet.