Buchbloggerin Karla Paul kennt sich in der Literaturszene bestens aus. Foto: Hawlisch Foto: Schwarzwälder Bote

Porträt: Expertin Karla Paul kommt in die Bergstadt und gibt Besuchern der Literaturtage Lesetipps

Karla Paul ist eine der bekanntesten Literaturkritikerinnen Deutschlands. 2013 wurde sie zur "neuen Marcel Reich-Ranicki" gewählt. Am 16. November kommt Paul zu den Literaturtagen in die Bergstadt – und verrät den St. Georgenern, welche Bücher sie für besonders lesenswert hält.

St. Georgen/Hamburg. Sie nennt sich selbst Literaturlobbyistin. 350 Bücher liest Karla Paul im Jahr. "Das sind nur die, die ich tatsächlich fertig lese", sagt sie. Mit Abbruchrate komme sie auf ungefähr 500. Das gehört zu ihrem Beruf. Die 35-Jährige ist eine prominente Literaturkritikerin und eine leidenschaftliche Bloggerin. In sozialen Netzwerken wie Instagram, Facebook und Twitter macht sie Werbung fürs Lesen. Und am 16. November ist die Wahl-Hamburgerin bei den ersten St. Georgener Literaturtagen zu Gast. "Ich bin richtig gespannt auf diesen Abend", sagt sie.

In ihrer Jugendzeit, erinnert sich Paul, sei sie noch das schwarze Schaf, "der Nerd" gewesen – mit ihren ganzen Büchern. Mit 15 habe sie angefangen, für eine Regionalzeitung Buchbesprechungen zu schreiben und Autoreninterviews zu führen. Und irgendwann habe sie das Internet als eine wahre Fundgrube entdeckt. Seitdem arbeitet sie viel im Digitalbereich: "Das macht mir wahnsinnig viel Spaß." In verschiedenen Netzwerken erreicht sie über 100 000 Leser, Autoren und Verlage als Follower. Aber nicht nur das: "Ich rede über Bücher, halte Vorträge, mache Workshops." Mehrmals jährlich gibt Paul Buchtipps in der ARD-Sendung Mittagsbuffet, sie ist Lesebotschafterin der Stiftung Lesen und hat auch schon zwei eigene Bücher veröffentlicht.

"Ich bin ständig auf der Suche nach neuen Möglichkeiten, um Menschen, die sich für das Lesen interessieren, noch stärker ans Buch zu binden, um sie miteinander zu vernetzen", erklärt die 35-Jährige. Eine richtige Herausforderung sei für sie aber, neue Leser zu gewinnen, Menschen für die Literatur zu begeistern, "ihnen zu vermitteln, wie spannend, interessant und bereichernd Literatur sein kann".

Paul selbst liest die ersten Zeilen schon beim Frühstückskaffee nach dem Aufstehen – 80 bis 100 Seiten schafft sie pro Stunde – und das Lesen beschäftigt sie bis in die Nacht hinein. "Ich muss ja ganz, ganz viel sichten. Wenn mich das Buch aber nach 50 bis 100 Seiten, egal ob Sachbuch oder Belletristik, nicht wirklich begeistert, breche ich ab und lege es weg."

Paul weiß: Immer mehr Menschen entdecken das Lesen als Hobby für sich wieder. "Inzwischen gibt es ja Sachen wie Booktube oder Instagram-Accounts, wo junge Menschen über Bücher sprechen und zum Teil 100 000 Follower haben", schwärmt sie. Wie kann man diese neue Welle der Begeisterung erklären? "Die Sehnsucht ist groß, zwei oder drei Stunden mit dem Inhalt zu verbringen – ohne sofort liken, reagieren oder kommentieren zu müssen", stellt Paul fest. In der digitalen Welt müsse man immer eine Meinung parat haben. Beim Lesen nehme man sich hingegen Zeit, um sich mit dem Inhalt vertraut zu machen, sich von dem abzulenken, was in der Welt passiert. "Es ist eine Auseinandersetzung mit sich selbst", findet Paul.

Mit der Begeisterung steige auch das Bedürfnis nach Orientierung. "100 000 neue Bücher erscheinen in Deutschland jedes Jahr. Man wird als Leser völlig erschlagen von dieser Masse", weiß sie. Deshalb hilft sie mit ihren Tipps und Empfehlungen gerne weiter – und schätzt besonders den persönlichen Austausch mit ihren Lesern.

Auch bei den St. Georgener Literaturtagen will Paul mit ihren Gästen ins Gespräch kommen. "Es wird so eine Art ›Tupperware-Abend für Bücher‹ sein", beschreibt sie. Paul bringt ihre Lieblingsbücher des Jahres mit, wird einige spannende Szenen vorlesen und auch ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudern.

Und: Auch spezielle Goodie-Bags hat sie für ihre Zuhörer vorbereitet – richtige Wundertüten, voll gefüllt mit literarischen Überraschungen. "Ich hoffe sehr, dass die St. Georgener viel mitnehmen können und nach diesem Abend mit einer dicken Wunschliste in die Buchhandlungen gehen", sagt Paul. Denn sie ist überzeugt: Es gibt für jeden die richtigen Bücher. Und auch wenn es nur zwei im Gegensatz zu ihren 350 im Jahr sind: "Es kommt überhaupt nicht auf die Masse an. Es ist kein Wettbewerb, kein Marathon, und keiner sollte sich dafür schämen, dass er weniger als die anderen liest. Viel wichtiger ist es, dass die Bücher Freude bereiten. Man sollte Bücher lesen, die einen begeistern und bewegen."

Auch sie selbst findet jedes Jahr drei, vier Bücher, mit denen sie sich besonders beschäftigt. "Natürlich ist es schwer, jemanden, der so viel liest, noch zu überraschen. Aber viele wollen auch nur das lesen, was sie schon kennen. Und es ist wirklich schön, wenn Bekanntes neu und gut umgesetzt wird. Es muss nicht immer die große Überraschung sein." Toller Stil, gut geschrieben, spannend umgesetzt – das reiche schon aus, meint Paul. "Es ist ja wie beim Essen, es muss nicht unbedingt jeden Tag etwas Exotisches sein."

Eine Premiere in der Bergstadt: Die ersten St. Georgener Literaturtage finden vom 16. Oktober bis 29. November statt. Lucia Kienzler, Leiterin der Stadtbibliothek, und Jörg Westermann, Rektor der Robert-Gerwig-Schule sowie der Grundschulen Peterzell und Rupertsberg, haben die Veranstaltungsreihe in die Wege geleitet.

Auf dem Programm stehen neben Autorenlesungen auch ein Schreib- und Performance-Workshop, eine Poetry-Slam-Veranstaltung sowie ein großes Lesefest für Kinder.