St. Georgen - Das Zünderschlössle war ein prunkvolles Gebäude, das allerdings schnell ausgedient hatte. Die Häuser nebenan überlebten etwas länger und dienten zum Teil als Ausweichquartier. Doch in den 1980er-Jahren schlug auch für sie die finale Stunde.

Der große Zeiger der Uhr steht auf Zwölf, als sechs Sprengbomben auf die Bergstadt niederprasseln. Acht Schläge, 8 Uhr morgens – für jede Stunde des noch frühen Tages nähert sich ein britischer Jagdbomber. Otto Rapp war damals erst neun Jahre alt, doch er erinnert sich an den 14. Oktober 1944, als wäre es gestern gewesen. Es war ein Samstag, eine der Bomben detonierte nicht unweit seines Zuhauses. Eine weitere Explosion zerstörte beinahe ein Gebäude in der Innenstadt, das dort erst seit etwas mehr als 20 Jahren stand – und doch mehr war, als ein einfaches Wohnhaus: das Zünderschlössle.

Dass das Gebäude vielen Menschen im Gedächtnis geblieben ist, mag zum einen an der Erscheinungsform liegen: ein prunkvolles Haus mit runden Erkern. Zum anderen war es vor allem eine bekannte Familie mit langer Tradition in der Bergstadt, die das Anwesen noch ein kleines Stückchen interessanter machte: die Bäuerles.

Tobias Bäuerle, der zu dieser Zeit einer der Besitzer der Firma Mathias Bäuerle (MB) war, erbaute 1920 nach dem Ersten Weltkrieg die Stadtvilla gegenüber der katholischen Kirche. Das schmucke Anwesen heizte in der Bergstadt die Gerüchteküche an. Die Firma MB soll sich mit der Herstellung von Zündern während des Krieges eine goldene Nase verdient haben – die Unterstellungen, dass das Unternehmen aus dem Leid anderer Profit geschlagen haben soll, brachte der Villa seinen Spitznamen Zünderschlössle ein.

Widerstand über den Abriss hält sich seinerzeit in Grenzen

Dabei meint Otto Rapp, dass das Geld auch aus einer ganz anderen Quelle stammen könnte: der Erbschaft von Bäuerles Gattin, der "Löweluis". Sie hatte gemeinsam mit ihrer Schwester das Gasthaus in der Hauptstraße geerbt. Die Baukosten für die Villa deckten sich in etwa mit dem, was die Ehefrau für den Verkauf des Gasthauses erhalten hatte. "Es war ein wirklich schönes Haus, aber eher unpraktisch", meint Rapp im Hinblick auf eine spätere Nutzung.

Obwohl viel über das Zünderschlössle geredet wurde, hielt sich der Widerstand, als es im Dezember 1975 dem Erdboden gleichgemacht wurde, in Grenzen. Die Bäuerles lebten zu diesem Zeitpunkt schon mehrere Jahre nicht mehr in dem Anwesen. Es wurde noch vermietet, ehe es schließlich der Abrissbirne zum Opfer fiel. Das Schlössle wich einem Flachbau, in dem heute Optik Fichter untergebracht ist.

In direkter Nachbarschaft zeigte sich derweil, wie weit es die Firma MB seit der Gründung 1863 gebracht hatte: 1921 zog das Unternehmen neben dem Zünderschlössle einen Rechenmaschinenbau hoch. Der Name war Programm: MB fertigte in dem viergeschossigen Gebäude seine preisgekrönten Erfindungen wie die Volltastaturmaschine Badenia.

Nach dem Zweiten Weltkrieg orientierte sich MB neu, die Räumlichkeiten im Rechenmaschinenbau wurden nicht mehr benötigt und 1948 an den Landkreis Villingen vermietet, der dort bis zur Fertigstellung der Räumlichkeiten in der Bahnhofstraße die Gewerbeschule unterbrachte. 1965 ging der MB-Rechenmaschinenbau schließlich in den Besitz der Stadt über.

MB-Rechenmaschinenbau dient als Notunterkunft für diverse Einrichtungen

Das Anwesen blieb der nach dem Krieg begonnen Tradition vorerst treu und beherbergte diverse Bildungseinrichtungen: erst die Sonderschule für Lernbehinderte, später die Realschule. Als die Stadtsanierung begann, wich zwar das Zünderschlössle nebenan, der MB-Rechenmaschinenbau eignete sich aber fortan als Ausweichquartier.

Als das alte Rathaus abgerissen wurde, zogen Teile der Verwaltung von 1967 bis Ende 1971 in die Gerwigstraße, von 1976 bis 1982 fand die Post dort ein Zuhause, während in der Nähe das neue Postgebäude entstand.

Als das eröffnet wurde, hatte der MB-Rechenmaschinenbau endgültig ausgedient. 1982 rückten die Bagger an, spektakuläre Bilder lassen erahnen, wie unter großem Getose das Gebäude in sich zusammenfiel – gemeinsam mit den anliegenden Reihenhäusern.

Fast 40 Jahre nach dem Bombenangriff, der auch das Innenstadtareal erreichte, knallt und kracht es damit abermals am Marktplatz – nur dieses Mal mit Ansage. Mit dem Abriss der letzten Gebäude der "damaligen Innenstadt" und dem Aufbau mehrere Flachbauten endet einige Jahre später in St. Georgen die erste große Sanierung.

Hier geht es zur ganzen Zeitreise St. Georgen.

Info: Die Serie

Mit der geplanten Innenstadtsanierung hat sich St. Georgen einem Millionenprojekt angenommen. In den kommenden Jahren wird gebaggert, gespachtelt und gebaut. Die Bergstadt, wie man sie heute kennt, wird damit auch ein Stück weit verschwinden. Grund genug, zurückzublicken: In unserer Sommerserie Zeitreise veröffentlichen wir wöchentlich eine Geschichte über die Gebäude und Areale, die bereits nach der ersten Sanierung für immer verschwanden – vom Zünderschlössle über das Kaufhaus Raff bis hin zum Café Schöner.

Glosse: Neue Ideen gesucht

War früher alles besser? Mitnichten. Diese Antwort gab uns vor sechs Wochen an dieser Stelle Otto Rapp. Nachdem wir nun einmal "ums Karree rum" sind, wie man bei mir zuhause sagen würde, muss ich eingestehen: Der Stadtkern hatte schöne Häuschen wie das Zünderschlössle. Doch manche Baracken – man denke an das Areal, auf dem heute die Post steht – wären damals wohl kaum zu retten gewesen.

Blicken wir der Realität ins Auge: "Bären" oder "Adler" kehren nicht mehr zurück. Neue Ideen braucht die Stadt. Mancher Bürger hat sich bereits im Planungsprozess für die anstehende Sanierung eingebracht. "Weg mit dem Glockenspiel" ist einer der Vorschläge. Wo wir wieder beim Thema Abreißen wären. Erst 1985 eingeweiht, soll das gute Stück rund 30 Jahre später wieder verschwinden.

Mir schwant, der Vorschlag kam von jemandem, der am Marktplatz wohnt oder arbeitet. Denn auch unsere Redaktion kann ein Lied davon singen, wie charmant die glockenhelle Dauerbeschallung ist. Täglich schließen wir Fenster und Türen, wenn der erste Schlag ertönt. War früher alles besser? Mitnichten. Aber vielleicht – und der Unbekannte würde mir wohl zustimmen – etwas ruhiger.

Aufruf: Leser sind gefragt

War früher wirklich alles besser? Es war die zentrale Frage, um die sich die Sommerserie »Zeitreise« des Schwarzwälder Boten drehte. Der Auftakt zeigte: Darüber, dass man alles von Grund auf neu gestaltet, herrschte kein Konsens. Nun also sind wir am Ende unserer Serie angelangt. Mal verschwanden Gebäude mit einer langen Geschichte, mal weniger bedeutsame Häuser. Hätte man dennoch alle erhalten sollen? Was würden Sie sich für die kommende Sanierung wünschen?  Ihre Meinung, liebe Leser, ist gefragt. Teilen Sie mit uns Ihre Erinnerungen und Bilder sowie Ihre Meinung zur ersten Sanierung  – entweder per E-Mail, redaktionst-georgen@schwarzwaelder-bote.de, über unsere Facebookseite oder postalisch, Am Markt 3, 78112 St. Georgen.