Andy Feind aus St. Georgen holt das Thema Depressionen aus der Schmuddelecke. Er möchte Menschen, die daran leiden, Mut machen, aber auch das menschliche Umfeld für eine solche Erkrankung sensibilisieren. Foto: Reutter

Andy Feinds Erfahrungen mit Erkrankung kürzlich Thema im Fernsehen. Erfolgreiche "Anti-Stigma"-Arbeit.    

St. Georgen - Der an Depressionen erkrankte Andy Feind geht offen mit diesem Thema um, sei es als Autor oder in den sozialen Medien. Seine Erfahrungen mit der Erkrankung waren kürzlich auch Thema in der ZDF-Sendung WISO.

Mit Öffentlichkeitsarbeit möchte der in St. Georgen lebende Andy Feind das Thema Depressionen aus der Tabu-Ecke holen. Seinen Werdegang erklärt der 35-Jährige bei dem WISO-Interview, das in Form eines etwa 13-minütigen Beitrags auch auf Youtube zu sehen ist.

Demnach kam es zu der chronischen Depression in Folge eines Schicksalsschlags im Jahr 2001. Seine beste Freundin wollte ihn damals besuchen kommen. Auf der Strecke von Tuttlingen nach St. Georgen kam es zu einem Unfall mit einem alkoholisierten Fahrer, bei dem die Freundin so stark verletzt wurde, dass sie starb.

Am Bahngleis gestanden

"Die Depression schleicht sich von hinten an, kommt nach und nach und überrollt dich ganz gemächlich", beschreibt er den langen Prozess, der bei ihm schließlich zu einem Suizidversuch im Jahr 2008 führte. Er stand vor den Gleisen auf der Zugstrecke zwischen St. Georgen und Peterzell, dachte in einer Art Tunnelblick nur noch daran, sich vor den nächsten Zug zu werfen. Er fühlte sich als Last für die anderen. Dem wollte er durch seinen Tod ein Ende setzen.

Doch dann hörte er die Sirene eines Polizeiautos, dachte, der Polizeieinsatz gelte ihm und rannte nach Hause. Zu Hause merkte er dann, dass die Polizei wegen etwas anderem unterwegs war. Doch der Schreck hatte ihn aus seinem Gedankenkreis herausgerissen. Einen Tag später ging er zum Hausarzt, der schließlich den Verdacht auf eine Depression geäußert hatte.

Ein Motiv, am Leben zu bleiben, ist auch der Gedanke an die anderen, an seinen Sohn, seine Freundin, seine Mutter, seine Freunde, die ihn liebten und wertschätzten. Mit seinem Tod würde er die anderen nicht von einer Last befreien, sondern ihnen vielmehr Leid bereiten.

"Nach Aufenthalten in unterschiedlichen Kliniken und bei verschiedenen Therapeuten entschied ich mich 2016, mit meiner Erkrankung, mittlerweile als ›Dysthymie‹ diagnostiziert, an die Öffentlichkeit zu gehen, um anderen Menschen Mut zu machen", schreibt Feind auf seiner Homepage.

Und mit seiner "Anti-Stigma"-Arbeit ist er sehr erfolgreich. 2016 veröffentlichte er sein Buch "Gedankengewitter: Inmitten meines Depressionstornados", in dem er seine Erfahrungen mit der Erkrankung wiedergibt, aber auch allgemeine Informationen zum Thema Depressionen festhält. So gebe es in Deutschland jährlich rund 10 000 Fälle von "erfolgreichem" Suizid, darunter eben auch Menschen mit Depressionen. Noch deutlich größer sei die Zahl an Suizid-Versuchen.

Die Art des Suizids sei bei Männern und Frauen unterschiedlich. Frauen bevorzugten offensichtlich "weichere Wege", nähmen beispielsweise Tabletten. Bei Männern sei es eher die "harte" Vorgehensweise, Erhängen, Erschießen oder eben sich vor einen Zug werfen. Feind hat seine eigene Theorie hierzu. Möglicherweise würden Frauen hoffen, vielleicht doch noch gerettet zu werden. Männer hingegen würden "die Einbahnstraße" wollen.

Der 35-Jährige räumt ein, er habe nach wie vor Suizid-Gedanken. "Aber ich möchte sie nicht mehr umsetzen", betont er. Suizid-Gedanken seien nicht unbedingt "etwas Schlimmes". Bedenklich werde es, wenn man sich intensiver damit befasse und beispielsweise die eigene Beerdigung plane.

Momentan stecke er wieder in einer depressiven Phase. Er habe viel Stress im Hauptberuf gehabt, seine Mutter sei krank. Und er habe nicht auf die eigenen Warnzeichen geachtet, die sich seit Ende letzten Jahres angekündigt hätten, dass man schlechter aus dem Bett komme, wenig motiviert sei, Leute zu treffen und man zu wenig Zeit für sich habe, beispielsweise, um zu kochen. Das sei ein Hobby von ihm.

Warten auf Therapieplatz

Derzeit warte er auf einen Therapieplatz in der Luisenklinik in Bad Dürrheim. Dort sei ihm nach vier- bis fünfmonatiger Wartezeit für Mitte bis Ende September ein Platz in Aussicht gestellt worden. Lange Wartezeiten auf Therapieplätze seien üblich, gerade hier in einer ländlichen Region. Für einen Patienten, der dann in dieser Zeit tatsächlich mit Suizidgedanken kämpfe, gehe es dabei ums Überleben.

Feinds Diagnose "Dysthymie" bezeichnet eine chronische Depression. Damit könne er sich identifizieren. Er geht davon aus, dass ihn dieses Krankheitsbild noch längere Zeit begleiten wird. Ob ein Leben lang, wisse er nicht.

Mit seiner Öffentlichkeitsarbeit will er Menschen helfen, die depressiv sind, aber auch in der Gesellschaft ein Bewusstsein für diese Erkrankung stärken.

Feind hat Pläne, seine Öffentlichkeitsarbeit auszubauen. Sobald er einen schnelleren Internetzugang hat, möchte er eventuell Streaming-Angebote schaffen, also dass man ihn in Echtzeit auf Kanälen wie Twitch erleben und mit ihm ins Gespräch kommen kann. Mit seinem Buch hält er auch immer wieder Lesungen. Ein neues Buch habe er derzeit nicht geplant. Wenn ein paar weitere Jahre verstreichen, biete sich möglicherweise an, ein weiteres zu verfassen.

Andy Feind möchte Mut machen, Menschen mit Depressionen anzusprechen, ihnen zum Beispiel anzubieten, mit Ihnen zum Arzt zu gehen. Aber er möchte auch Menschen ermuntern, die eventuell unter dieser Krankheit leiden, Hilfe zu suchen. Schnelle Hilfe biete unter anderem die Deutsche Telefonseelsorge (www.telefonseelsorge.de) oder eben der Haus- oder Facharzt.