Am 2. November erscheint eine Serie über den FC Bayern – sehenswert(er)e Foto: Amazon Prime

Filme und Serien aus der Welt des Sports haben dank Amazon, Netflix und Co. Hochkonjunktur. Doch während manche Werke oscarprämiert sind, gaukeln andere Authentizität nur vor – nicht zuletzt jene über den Profifußball.

Stuttgart - Es hat erstaunlich lange gedauert, doch am 2. November ist es endlich so weit. Premiere feiert „eine tief blickende Serie für unsere Anhänger auf der ganzen Welt“, eine „Dokumentation, in der unsere Fans den Club so nah wie nie zuvor erleben“. Das jedenfalls verspricht in aller Bescheidenheit Vorstandschef Oliver Kahn über die sechs Episoden von „FC Bayern – Behind the Legend“, auf die sich die zahlende Kundschaft des US-Streaming-Giganten Amazon Prime Video freuen darf.

 

Mit etwas Verspätung beackern nun also auch die Bayern ein Feld, auf dem die nationale und internationale Konkurrenz schon länger aktiv ist. In der Serie „Inside Borussia Dortmund“ öffnete vor zwei Jahren der BVB seine Kabinentür. Der Scheichclub Manchester City, Hauptvertreter des Turbokapitalismus im Profifußball, ließ bereits 2018 das Bild eines perfekten Vereins zeichnen.

Lesen Sie aus unserem Angebot: Die Impfquoten der Sportclubs aus der Region

Die von den Topclubs in Auftrag gegebenen und mit gewaltigen Budgets produzierten Fußball-Serien sind Teil eines Booms, den das Genre Sportdokumentation vor allem seit Aufkommen der Streamingdienste erlebt. Mit eigenen Produktionen versuchen Amazon und Netflix, ihr Profil zu schärfen und neue Kunden zu gewinnen – für Sky oder Dazn geht es daneben auch darum, die Stunden zu überbrücken, in denen den Abonnenten kein Live-Sport angeboten werden kann.

Es geht keineswegs nur um Fußball – das Themenspektrum könnte breiter nicht sein. Es reicht von cineastisch hochwertigen Nischenproduktionen über aufwendig recherchierte Enthüllungsfilme, Porträts von (ehemaligen) Sport-Ikonen wie Diego Maradona, Michael Jordan oder Michael Schumacher bis hin zu den massenkompatiblen Hochglanzdokumentationen über Manchester City, den FC Bayern & Co. Mit anderen Worten: es ist für jeden Sportfan etwas dabei.

Die waghalsige Besteigung eines Granitfelsen

Zur ersten Kategorie zählen Werke wie das oscarprämierte „Free Solo“ (2018), in dem das waghalsige Unternehmen des US-Extremkletterers Alex Honnold begleitet wird, ohne jegliche Hilfsmittel einen Granitfelsen im Yosemite National Park zu bezwingen. Zur zweiten gehört „Ikarus“ (2017), der erste Netflix-Film überhaupt, der mit einem Oscar ausgezeichnet wurde. Darin beleuchtet der amerikanische Filmemacher Bryan Fogel nicht nur das russische Staatsdoping, sondern unternimmt auch den Selbstversuch, mithilfe von Doping ein Radrennen zu gewinnen. Gesellschaftliche und sportpolitische Relevanz sind auch die Merkmale der Netflix-Doku „Athletin A“ (2020), die den Missbrauchsskandal im US-Turnen und die Verbrechen des Mannschaftsarztes Larry Nassar aus der Perspektive der Turnerinnen nachzeichnet.

Die vermeintlich ungeschminkte Schlüssellochperspektive

Weniger um Aufklärung und Authentizität, sondern vor allem um Eigenmarketing und PR geht es hingegen in vielen Filmen und Serien aus der vermeintlichen Glitzerwelt des Profifußballs. Das gilt für die Porträts einzelner Stars wie Bastian Schweinsteiger, Toni Kroos oder Cristiano Ronaldo ebenso wie für die Serien über internationale Topclubs. Dass sie Spieler oder Mannschaften so zeigen, wie sie wirklich sind, und eine ungeschminkte Schlüssellochperspektive gestatten, das geben diese Werke zwar gerne vor. Doch gehört zur Wahrheit auch, dass keine Szene und kein Satz veröffentlicht werden, die nicht vorher autorisiert worden sind. Das letzte Wort hat am Ende nicht der Regisseur, sondern der Auftraggeber – das ist vertraglich klar geregelt.

Dass immer mehr Fußball-AGs die Doku als Marketinginstrument entdeckt haben, um ihr Image aufzupolieren – das beobachtet auch der Filmemacher Andreas Leimbach-Niaz, der 2008 mit dem preisgekrönten Kurzfilm „Der Tiger in München“ über den langjährigen Bayern-Co-Trainer Hermann Gerland Maßstäbe setzte. Seine Warnung: „Die Vereine sollten vorsichtig sein, denn das Publikum hat ein feines Gespür und merkt sehr schnell, wenn es sich um einen reinen Werbefilm handelt.“

Lesen Sie aus unserem Angebot: Warum EQ St. Brown um seine NFL-Karriere bangt

Leimbach-Niaz ist Mitbegründer des internationalen Fußballfilmfestival 11mm in Berlin, das ebenfalls den Doku-Boom belegt. Als weltweit erstes Festival dieser Art begannen die Macher 2004 mit neun englischen Filmen in einem Hinterhofkino am Hackeschen Markt. Inzwischen gastiert 11mm fünf Tage lang in großen Sälen und wird von der DFB-Kulturstiftung präsentiert. Die Qual der Wahl haben die Veranstalter, um aus den vielen Bewerbungen rund 60 festivaltaugliche Qualitätsfilme herauszufiltern.

Derzeit läuft die Bewerbungsphase für die 18. Auflage (24. bis 28. März 2022), Einsendeschluss ist der 15. Dezember. Ob es auch die Bayern-Serie in die engere Auswahl schaffen könnte? An Aufwand fehlt es angesichts von 2000 Stunden Roh- und Archivmaterial, Hunderten von Drehtagen und 145 Interviews sicher nicht – womöglich aber an Anspruch und Relevanz.