Mit dem La Vie in Osnabrück hat er Gourmetgeschichte geschrieben: Thomas Bühner ist einer der besten Köche Deutschlands. Seinen Neustart wagt er jetzt im Alter von 60 Jahren in Taiwan, wo er auf der Straße nach Selfies gefragt wird.
Wenn Thomas Bühner den Zug vom Flughafen Taipeh nach Kaoshiung nimmt, der trotz selber Streckenlänge mit 1,35 Stunden schneller ist als jener von Osnabrück nach Berlin, kommt es regelmäßig vor, dass er nach Selfies gefragt wird. Thomas Bühner, dunkelblonde Haare und Perlenbänder am Handgelenk, ist ein bekannter Koch in Deutschland. Aber in Taiwan? Da ist Bühner ein Superstar.
In Neu-Delhi am Flughafen wird er nach Autogrammen gefragt
Wie es kam, dass er auf der Straße erkannt wird, dass die Leute auf Instagram durchdrehen, sobald er im taiwanischen Taipeh ankommt , kann er sich selbst nicht so richtig erklären. Thomas Bühner ist 60 Jahre alt– ein Alter, in dem andere von früher Altersteilzeit träumen. Nach vielen Jahren als Gastkoch und kulinarischer Berater eröffnet er im April sein Restaurant La Vie by Thomas Bühner in einem Einkaufszentrum in Taipeh.
Bühner ist in anderen Teilen der Welt wahnsinnig populär. „Ich wundere mich da selbst“, sagt er. In Neu-Delhi am Flughafen wird er nach Autogrammen gefragt, im türkischen Gaziantep, gut 70 Kilometer von der syrischen Grenze entfernt, wird er erkannt und auf Deutsch angesprochen. Als er mit seinem Sohn in Hongkong unterwegs war, rief der Nachwuchs perplex zu Hause an: „Der Papa ist hier bekannter als Ronaldo.“
Wer so viele Jahre am Herd stand, ist meist auch körperlich schon reif für Golfplatz und Kur. Sein Geheimrezept? „Keine Zigaretten, keine Drogen und wenig Alkohol“, sagt Thomas Bühner beim Gespräch in Berlin. Sein Hauptwohnsitz und Lebensmittelpunkt ist nach wie vor Osnabrück. Eine Stadt, die erst durch ihn und das legendäre Restaurant La Vie auf der kulinarischen Landkarte auftauchte. Es gleicht fast einem Wunder, dass es Bühner geschafft hat, in einer Stadt ohne Flughafen oder ICE-Anbindung drei Michelin-Sterne zu erkochen und internationale Gourmets nach Niedersachsen zu locken.
Weiter geht es immer!
Im Jahr 2018 muss das La Vie in Osnabrück schließen, weil dem Geschäftsführer und Küchenchef Bühner durch seine Geldgeber, das Stahlunternehmen Georgsmarienhütte, der Herd abgeschaltet wird. Nach zwölf Jahren, sechs davon mit drei Sternen dekoriert, ist Schluss. Für Bühner ein Einschnitt, aber auch ein Neuanfang. Auch das ist es, was Thomas Bühner auszeichnet, dieses Positiv-in-die-Zukunft-blicken-und-sich-nicht-Grämen: Weiter geht es immer!
Seine Kindheit schmeckte nach Karotten-Möhren-Eintopf und Apfel-Pfannkuchen
Aufgewachsen ist Bühner keineswegs mit dem silbernen Löffel: Seine Kindheit schmeckte nach Karotten-Möhren-Eintopf und Apfel-Pfannkuchen. „Meine Mutter war keine begnadete Köchin“, sagt Bühner und hofft, dass sie – weit über 90 Jahre alt – den Artikel nicht lesen wird. Er erinnert sich an eine schöne Anekdote, als er schon lange ein angesehener Koch war und seine Mutter am Herd stand und Schnitzel briet. „Nimm sie raus, die sind schon tot“, sagte er. Dann drehte sie sich um und meinte nur nonchalant: „Du kannst ein guter Koch sein, aber die müssen nun mal durch sein.“
„Eine Bitte an Thomas Bühner: Verhunzen Sie nicht weiter die tollen Produkte“
Die Eltern wollten, dass er etwas Gescheites lernt. Bühner aber wollte Koch werden – und zwar ein sehr guter. Eine seiner wichtigsten Stationen war als Chef de Partie in der Schwarzwaldstube in Baiersbronn unter Harald Wohlfahrt. Als er Küchenchef im La Table in Dortmund wurde, urteilte der „Gault & Millau“ 1993: „Eine Bitte an Thomas Bühner: Verhunzen Sie nicht weiter die tollen Produkte.“ Ein Wahnsinnsverriss.
Bühner aber machte weiter – und wurde besser. Im La Vie in Osnabrück schaffte er es, drei Sterne zu erkochen. Es ist die höchste Auszeichnung, die man vom Michelin bekommen kann. Wie aber hält man jene? „Wenn ich das wüsste, würde ich ein Buch darüber schreiben“, sagt Bühner und lacht. Doch, schiebt er hinterher, einen guten Koch mache „dieses altmodische Wort Disziplin aus“. Und: „Man muss gut beobachten können, die richtige Schlüsse daraus ziehen und teamfähig sein“, so Bühner. Viele gingen durch seine Schule in Osnabrück, etwa René Frank, der inzwischen das hochgelobte, mit zwei Sternen dekorierte Dessertrestaurant Coda Bar in Berlin führt.
Nach dem Ende des La Vie freute sich Bühner über eine neue, ungewohnte Unabhängigkeit, kochte überall auf der Welt. Thomas Bühner, der einige Monate in Quarantänehotels in Asien verbrachte, hat sich in das Land und die Menschen verliebt. Und umgekehrt: Thomas Bühner wird dort wie ein Star gefeiert. Zuerst plante er ein Restaurant in Hongkong, was an den Protesten in China scheiterte. Von 2019 an war er in Taiwan als Berater tätig, nun eröffnet im April sein erstes eigenes Restaurant seit vier Jahren. In einer großen Shoppingmall mit Eislaufbahn, High-End-Luxus-Läden, Foodcourt, Kunstgalerie und eben dem La Vie by Thomas Bühner.
„Essen gehen hat dort einen hohen Stellenwert“
„Dass Gourmetrestaurants in Einkaufszentren eröffnen, ist in Asien und Amerika gang und gäbe“, sagt Bühner. In Deutschland kennt man das nur aus dem Engelhorn in Mannheim, wo im Opus V zwei Sterne über der Quadratestadt schweben. „Es ergibt ja auch Sinn, mit einem Restaurant dorthin zu gehen, wo die Menschen sind – nämlich ins Einkaufszentrum“, so Bühner, dessen neues Restaurant von seinem Partner Genesis Lavie betrieben wird. Die Asiaten, sagt er, hätten Interesse an deutscher Kultur, an Musik und Dichtern, aber eben auch an Kulinarik. „Essen gehen hat dort einen hohen Stellenwert“, sagt er. Die 2,2-Millionen-Einwohner-Stadt Taipeh – vergleichbar mit Hamburg – hat 31 Sternerestaurants. Sein Restaurant soll europäische Küche nach Taiwan bringen – aber eben nicht mit europäischen Produkten. Es wäre ja regelrechter Schwachsinn den Steinbutt aus der Bretagne oder Gänseleber aus dem Perigon einzufliegen. Bühler schwärmt stattdessen vom Kaviar aus Japan, denn „der beste Spargel ist ja nicht der aus Schwetzingen, sondern eben der frischeste“.
In Taipeh wird er auch die klassische Küche aus dem La Vie anbieten und ins Jahr 2023 transferiert. Bekannt wurde Bühner durch Kreationen wie Reh im Sud exotischer Aromen, die Taube mit einem Hauch von Wacholdernadeln oder Kartoffelschaum mit Kürbis-Curry-Eis. „Die wird es immer wieder geben. Fanta 4 können ja auch nicht auftreten, ohne ‚Troy‘ zu spielen“, sagt er. Bühner hat noch eine kindliche Freude, etwas Neues zu machen. „Leben ist aktiv.“ Natürlich wird er nicht mehr den ganzen Tag am Herd stehen. Küchenchef wird Xavier Yeung, der bereits bei Joël Robuchon und Richard Ekkebus Erfahrungen sammelte. Bühner freut sich auf die neue Aufgabe, auf das Unterwegssein. Er nimmt den Zug zurück nach Osnabrück. Ein Selfie will hier niemand von ihm.