Spätestens im 13. Jahrhundert war das Schachspiel in Europa fest etabliert. Es war Teil der höfisch-mittelalterlichen Kultur und musste von jedem Ritter beherrscht werden. In einer bisher unbekannten Burg im Landkreis Reutlingen sind jetzt Teile einer einzigartigen Spielesammlung gefunden worden.
Vor über 1000 Jahren fand das Schachspiel seinen Weg aus dem fernen Orient nach Europa. Schachfiguren aus der Frühzeit des Spiels sind äußerst selten. Bei archäologischen Grabungen auf einer bisher unbekannten Burg in Baden-Württemberg wurde jetzt eine hervorragend erhaltene Springerfigur entdeckt.
Einzigartige mittelalterliche Spielesammlung
Der Fund ist Teil einer einzigartigen Spielesammlung, zu der auch Spielsteine und ein Würfel, alle gefertigt aus Rothirschgeweih, gehören. Ein internationales Team von Experten der Universität Tübingen, des Landesamtes für Denkmalpflege (LAD) im Regierungspräsidium Stuttgart und des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) untersucht nun diese Zeugnisse früher Spielkultur.
Schachspiel zählte zu den sieben Fähigkeiten eines Ritters
Laboranalysen von Farbresten zeigen, dass eine der Parteien mit Rot gespielt hat. Typische Nutzungsspuren weisen darauf hin, dass der Springer schon damals beim Zug angehoben wurde. Dies verweist auf eine erstaunliche Kontinuität der Spielregeln.
Gut erhaltene archäologische Funde von Schachfiguren und Spielsteinen für andere Brettspiele aus der Zeit vor dem 13. Jahrhundert sind in Mitteleuropa sehr selten. „Das Schachspiel zählte im Mittelalter zu den sieben Fähigkeitens – den „Septem probitates“ –, die ein guter Ritter beherrschen sollte. Insofern verwundert es nicht, dass bekannte Funde meist von Burganlagen stammen“, erklärt Jonathan Scheschkewitz vom LAD.
„Die Entdeckung einer ganzen Spielesammlung des 11./12. Jahrhunderts kam für uns völlig überraschend, und die Pferdefigur ist ein echtes Highlight“, ergänzt Lukas Werther vom DAI.
Entdeckt bei Grabungen am Burgstein bei Holzelfingen
Entdeckt wurden die Funde bei Grabungen am Burgstein, einer bislang unbekannten Burganlage bei Holzelfingen in der Gemeinde Lichtenstein (Landkreis Reutlingen). „Sie lagen unter dem Schutt einer Mauer, wo sie im Mittelalter verloren oder versteckt wurden“, berichtet Michael Kienzle von der Universität Tübingen.
Zur Info: Der Burgstein ist ein weit hervorspringender, markant frei stehender Felsen am Rande der Hochfläche bei Holzelfingen, der der Überlieferung nach einst eine Burg der Herren von Greifenstein getragen haben soll. Im Rahmen archäologischer Ausgrabungen gab es deutliche Indizien für die Existenz einer Burganlage. Fundkeramik lässt darauf, dass der Felsvorsprung während der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts, also der Frühphase der Herrschaft Greifenstein , für eine befestigte Anlage genutzt wurde.
Schachfigur, vier blütenförmige Spielsteine und Würfel mit sechs Augen
Die Überdeckung trug dazu bei, dass die Oberflächen der Funde außergewöhnlich gut erhalten sind. „Unter dem Mikroskop zeigt sich ein typischer Glanz vom Halten und Bewegen der Stücke“, betont Flavia Venditti von der Uni Tübingen.
Neben der Schachfigur wurden vier blütenförmige Spielsteine gefunden, außerdem ein Würfel mit sechs Augen. Sie wurden aus Geweih geschnitzt.
Augen und Mähne der vier Zentimeter hohen Pferdefigur sind plastisch ausgeformt. Diese aufwendige Gestaltung ist typisch für besonders hochwertige Schachfiguren aus dieser Zeit. Die an den Spielsteinen nachgewiesenen roten Farbreste werden noch chemisch analysiert.
Von der detaillierten Auswertung der Funde erhoffen sich die Forscher vielfältige Einblicke in die Spielewelt des mittelalterlichen Adels und die Wurzeln des europäischen Schachspiels.
„THE hidden LÄND“
Die Funde werden 2024 erstmals allen Interessierten in der Großen Landeausstellung „THE hidden LÄND“ in Stuttgart – ab 13. September – sowie in der Sonderausstellung „Ausgegraben! Ritter und Burgen im Echaztal“ in Pfullingen – ab 15. Juni – präsentiert. Ein 3D-Modell der Schachfigur, des Würfels und eines Spielsteins ist schon jetzt online zugänglich.