Recep Tayyip Erdogan wirkte in den letzten Wochen geschwächt. Foto: dpa/Pool Presidential Press Service

Nach fast 19 Regierungsjahren scheint der türkische Präsident Erdogan nicht nur physisch abzubauen, auch in den Meinungsumfragen schwächelt der 67-Jährige. Was ist los mit Erdogan – das fragen sich immer mehr Beobachter.

Athen - Dass ein Zuhörer während eines Vortrags einschläft, kommt vor. Dass der Redner einnickt, ist eher ungewöhnlich. Passiert ist das kürzlich dem türkischen Staatschef Erdogan in einer Ansprache zum islamischen Opferfest. Das Fernsehen übertrug die 13-minütige Grußbotschaft am 21. Juli live aus Erdogans Sommersitz in Marmaris an der türkischen Ägäisküste. Im quer gestreiften Polohemd sitzt Erdogan an einem Tisch, eingerahmt von zwei türkischen Fahnen. Er liest von einem Teleprompter ab. Der Präsident wirkt müde, seine Sprache ist schleppend. Nach achteinhalb Minuten fallen Erdogan die Augen zu, er nickt kurz ein, fängt sich dann aber wieder. „Das war kein gutes Bild“, schrieb der Journalist Fatih Altayli im Nachrichten-Netzwerk „HaberTürk“. Altayli spekulierte, jemand habe Erdogan vor die Kamera gesetzt, „um ihn schwach aussehen zu lassen“.

Drei Wochen später: Erdogan stellt sich in einer Liveübertragung den Fragen ausgewählter Journalisten. Zufällig kommt der Teleprompter ins Kamerabild. Von ihm liest Erdogan die vorformulierten Antworten ab. „Was ist los mit Recep Tayyip Erdogan?“, fragte die linksgerichtete, regierungskritische Zeitung „Birgün“. Kann der Staatschef, der früher die Massen mit seinen feurigen Reden elektrisierte, nicht mehr frei sprechen?

Im Jahr 2017 brach der Präsident schon einmal zusammen

Die Ära Erdogan gehe zu Ende, meint der in Deutschland lebende türkische Exil-Journalist Can Dündar. Der 67-jährige Erdogan, dessen islamisch-konservative Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP) das Land seit Ende 2002 ununterbrochen regiert, wurde allerdings schon oft politisch totgesagt. 2007 wies das türkische Verfassungsgericht einen Verbotsantrag gegen die AKP mit ganz knapper Mehrheit ab. 2013 überstand Erdogan massive Korruptionsvorwürfe. Den Putschversuch vom Juli 2016 nutzte er sogar, seine Macht weiter zu zementieren.

Auch Spekulationen über seinen Gesundheitszustand sind nicht neu. 2011 musste er sich einer Krebsoperation unterziehen. 2017 brach Erdogan während des Gebets in einer Istanbuler Moschee zusammen. Immer häufiger kursieren im Netz Videos, die Erdogans schleppenden Gang zeigen. Oppositionsmedien schreiben von Diabetes und Blutdruckproblemen, auch von Epilepsie ist die Rede. Erdogan selbst und seine Entourage schweigen zu Fragen nach dem Zustand des Präsidenten.

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Erdogan wirkt nicht nur gesundheitlich angeschlagen. Zwei Jahre vor den regulär 2023 fälligen Wahlen schwächelt er auch in den Meinungsumfragen. Im Durchschnitt von sieben Erhebungen, die im August durchgeführt wurden, kommen Erdogans AKP und die mit ihr verbündete rechts-nationalistische MHP nur noch auf 40,5 Prozent Stimmenanteil. Die in einer Allianz antretenden Oppositionsparteien CHP und IYI liegen mit 40,6 Prozent hauchdünn vorn. Nach einer Umfrage des angesehenen Instituts Metropoll sind nur noch 38 Prozent mit Erdogans Amtsführung einverstanden. 51,5 Prozent äußern sich unzufrieden.