Den Logistikunternehmen fehlen bundesweit bis zu 100 000 Fachkräfte. Foto: /Olaf Döring

Die Speditionen in Baden-Württemberg sind mit den Automobilherstellern und anderen Industrieunternehmen im Land eng verzahnt. Derzeit stehen sie stark unter Druck, sagt Andrea Marongiu, Geschäftsführer im Verband Spedition und Logistik Baden-Württemberg (VSL). Drohen jetzt Insolvenzen? Nutzt die Konkurrenz aus China ihre Chance?

Die Speditionen in Baden-Württemberg sind mit den Automobilherstellern und anderen Industrieunternehmen im Land eng verzahnt. Derzeit stehen sie stark unter Druck, sagt Andrea Marongiu, Geschäftsführer im Verband Spedition und Logistik Baden-Württemberg (VSL). Drohen jetzt Insolvenzen? Nutzt die Konkurrenz aus China ihre Chance?

 

Herr Marongiu, früher sorgten die Speditionen im Land vor allem für den Transport. Was machen sie heute?

Das Geschäftsmodell entwickelt sich seit Jahrzehnten und so organisieren Speditionen weltweite Logistikketten, weil die Industrie Arbeitsschritte ausgelagert hat, etwa die Lagerung von Teilen. Sie liefern Teile nicht nur bis ans Band, sondern übernehmen bereits Vorarbeiten, etwa den Bau von Kabelbäumen für Autobauer, Kabinen für Kreuzfahrtschiffe oder die Verpackung von Arzneimitteln. Spediteure bestücken die Medikamentenkammern oder bauen medizinische Großgeräte auf. Deshalb beschäftigen manche Speditionen Ingenieure oder Apotheker.

Wie ist die Lage der Speditionen im Land?

Die Lage hat sich in den vergangenen Wochen nochmals verschlechtert, die Krise in der Automobilindustrie ist auch bei den Dienstleistern wie uns angekommen. Die Speditionen verlieren keine Kunden, aber die Auftragsmengen sind im Schnitt um 20 Prozent zurückgegangen. Einige wenige Mitgliedsunternehmen haben sich von uns schon zu betriebsbedingten Kündigungen beraten lassen – zum ersten Mal seit 15 Jahren.

Besteht die Gefahr von Insolvenzen?

Eher nein, ich bin zuversichtlich. Die Speditionen haben aus den Jahren der Finanzkrise von 2008 und 2009 gelernt und reagieren viel schneller als damals. Zurzeit schieben sie nicht dringende Investitionen auf, legen Lastwagen still und bündeln Lagerkapazitäten, falls das möglich ist.

Können die Speditionen die Investitionen in die E-Mobilität überhaupt noch stemmen?

Die Bereitschaft, mit Investitionen ins Risiko zu gehen, hat sich abgeschwächt. Aber ich bin mir sicher, dass wieder investiert wird, wenn wir mehr Planungssicherheit haben. Die Kunden der Logistiker sitzen bei der E-Mobilität oft mit im Boot, weil sie den klimaneutralen Transport auf die eigene Klimabilanz anrechnen lassen können.

Wie steht es um Wasserstoff als alternativen Antrieb?

Das Thema hat fast schon religiöse Züge angenommen. Je nachdem, wen Sie fragen, bekommen sie unterschiedliche Antworten. Die einen wollen Wasserstoff, weil man damit nach einer kurzen Tankzeit 1000 Kilometer weit fahren kann. Andere schwören auf leistungsfähigere Batterien für den E-Antrieb. Wir als Verband wollen so weit wie möglich technologieoffen sein. Man hätte aber bereits vor Jahren HVO-Diesel, der aus alten Fetten oder Algen produziert wird, einsetzen und damit den CO2-Ausstoß um drei Viertel senken können. Doch das war politisch nicht gewünscht, weil das Bundesumweltministerium die Wende zur E-Mobilität gefährdet sah.

Wann werden mehr Lkw mit Wasserstoff und Batterien als mit Verbrennern über die Straßen fahren?

Bei der E-Technik wird es alle zwei, drei Jahre Innovationssprünge geben. Im Nahverkehr wird bis 2030 jeder zweite Lastwagen einen E-Antrieb haben, die Sprinter werden sowieso elektrisch fahren. Für den europaweiten Fernverkehr brauchen wir aber auch Wasserstoff als Antrieb. Bei Wasserstoff sind wir aber noch immer in der Erprobungsphase. Bei beiden Technologien ist noch die Ladeinfrastruktur der Engpass. Uns fehlen leider die konkreten Pläne, wo die Ladestationen entstehen.

Wie schlagen sich die deutschen Lkw-Bauer derzeit im Vergleich mit der chinesischen Konkurrenz?

Unsere Hersteller liegen klar an der Spitze, doch holen andere auf. Vor Jahren waren die chinesischen Hersteller technisch noch meilenweit abgeschlagen. Inzwischen haben sie viele günstige wie gute Modelle im Angebot.

Kaufen die Speditionen deshalb Lastwagen aus China?

Nein, denn neben dem Anschaffungspreis geht es vor allem um ein geeignetes Netz von Werkstätten. Ist ein Fahrzeug defekt, muss es so schnell wie möglich wieder laufen: Es geht um viel Geld und die Sicherheit von Lieferketten. Was den Vertrieb und die Werkstätten angeht, sind chinesischen Hersteller noch weit zurück.

Wann kommt eigentlich das autonome Fahren?

2015 sind wir mit dem damaligen Mercedes-Chef auf der A8 mit einem Lkw autonom gefahren. Neun Jahre später hat sich in Deutschland nicht viel getan. In den USA fährt die Firma Kodiak in der Nähe von Houston auf dem Highway voll autonom. Das würde in einem geschlossenen System auch auf den deutschen Autobahnen funktionieren. Man sollte beim Ausbau der Infrastruktur mutiger sein. Das würde auch die Arbeitsbedingungen der Fahrer verbessern, weil sie auf mancher Autobahnstrecke entspannter unterwegs sein könnten.

Haben sich die Arbeitsbedingungen der Fahrer verbessert?

In der Pandemie hat sich das Image der Lkw-Fahrer verbessert, es macht uns aber noch immer zu schaffen. Lkw-Fahrer sind auf den deutschen Straßen noch immer nicht gut gelitten. Die Fahrer wiederum stressen die vielen Staus, die mangelnden Parkplätze und Toiletten und Duschen. Auch deshalb liegt der Frauenanteil gerade einmal bei zwei Prozent. Die Gehälter sind merklich gestiegen, oft verdient man zwischen 3500 und 4000 Euro brutto, allerdings inklusive Spesen.

Wie viele Fachkräfte fehlen?

Derzeit benötigen wir 80 000 bis 100 000 Fahrer, vor allem erfahrenere Fahrer fehlen. In vielen Unternehmen stehen deshalb Lkws auf dem Hof. Durch die schlechte Konjunktur hat der Fachkräftemangel sich etwas entspannt. Zieht die Wirtschaft aber wieder an, schlägt das Problem wieder voll durch. Neben Fahrern fehlen auch Arbeitskräfte im Lager und in der Disposition.

Was wird dagegen gemacht?

Die individuellen Wünsche der Fahrer werden stärker als früher berücksichtigt - etwa wenn Fahrer nur im Nahverkehr unterwegs sein wollen. Auch freie Wochenenden und eine bessere Work-Life-Balance spielen eine größere Rolle, die jüngeren sind sesshafter. Wir versuchen auch, Fahrer aus dem Ausland zu gewinnen – zum Beispiel aus Indien.

Aus Indien?

Es geht um den indischen Bundesstaat Maharashtra, dem Partnerland von Baden-Württemberg. Vor Ort werden Beschäftigte gewonnen und Deutschkurse und Schulungen für den Lkw-Führerschein angeboten. Nach acht Monaten sollen die indischen Fachkräfte fit für den deutschen Markt sein. Die Südwest-Unternehmen sollen die Wohnung stellen und möglichst mehrere Arbeitskräfte anwerben, damit diese sich auch gegenseitig unterstützen können. Anfang 2026 könnten die ersten Arbeitskräfte aus Indien kommen.

Viele Spediteure sind Mittelständler

Person
Andrea Marongiu ist seit 2009 Geschäftsführer im Verband Spedition und Logistik Baden-Württemberg (VSL). Er hat in Heilbronn Verkehrsbetriebswirtschaft studiert.

Verband
Der VSL zählt rund 450 Speditions-, Transport- und Logistikunternehmen mit rund 60 000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von insgesamt 40 Milliarden Euro. Die Mehrzahl sind kleine und mittelständische Unternehmen.