Etliche Spaziergänger waren mit Kerzen und Lampen unterwegs. Foto: Fritsch

Bisher war der Protest der Corona-"Spaziergänger" in Nagold meist ein ruhiger. Bisher zogen die Menschen eher still oder leise debattierend durch die Stadt. An diesem Montag wurde aus dem leisen Protest erstmals ein lauter. Derweil machte eine zeitgleiche Mahnwache am Unteren Marktbrunnen deutlich, dass sich in Nagold gegen den Protest Widerstand formiert.

Nagold - Es sind Bilder, wie man sie in Nagold inzwischen kennt: Binnen weniger Minuten zwischen 17.45 Uhr und 18 Uhr strömen hunderte Menschen am Nagolder Rathaus zusammen – die Polizei wird nach eigenen Angaben später rund 800 Teilnehmer zählen –, etliche mit Kerzen, manche mit Laternen. Viele jüngere Leute, Eltern mit Säuglingen, Kinder, Jugendliche sind auch dabei, ebenso wie ältere Menschen. Plakate, die zeigen, wofür oder wogegen sie sich an diesem Ort versammeln, sieht man auch an diesem Abend nicht. Es ist wieder Zeit für den Corona-"Spaziergang".

Und auch die Polizei ist wieder da, und das Nagolder Ordnungsamt. Beide halten sich auch an diesem Abend mit ihren überschaubaren Kräften im Hintergrund, bleiben in der Position des Beobachters, werden nur in wenigen Fällen wirklich aktiv.

Busse müssen sich den Weg bahnen

Und wieder ziehen die Protestanten in einem langen Lindwurm durch die Innenstadt, durch die Marktstraße über den Vorstadtplatz zum Busbahnhof, wo der Zug kurzzeitig zum Stehen kommt. Denn Busse wollen zu diesem Zeitpunkt den Busbahnhof anfahren, müssen sich mühsam ihren Weg durch die Menschenmenge bahnen. Der Weg der Protestierenden geht indes weiter: Kleb, Klebbrücke, wieder Innenstadt, wieder Klebbrücke. Alles eigentlich wie gehabt.

Doch irgendetwas ist anders an diesem Abend – und das in zweierlei Hinsicht. Zunächst einmal zerstreut sich die Kundgebung nicht am Longwy-Platz. Über die schmale Klebbrücke ziehen die Protestierenden Richtung Stadtpark Kleb. Dort bejubelt und beklatscht man sich zunächst eifrig, bevor dann aus einer Musikanlage eine der Hymnen der Befreiung von der DDR-Diktatur und der deutschen Wiedervereinigung erklingt: Marius Müller-Westernhagens "Freiheit", das inbrünstig von den Protestierenden mitgesungen wird – und das gleich zweimal. Und jeweils von den Sängern selbst bejubelt.

"Tausende marschieren – Millionen lassen sich impfen"

Die zweite Veränderung gegenüber früheren "Spaziergängen" ist der Widerstand gegen die "Spaziergänger", der sich in Gestalt einer angemeldeten Mahnwache erstmals öffentlich zeigt – am Unteren Marktbrunnen. Was dessen Stoßrichtung ist, ist schnell zu erkennen. Plakate schaffen Klarheit, auf denen steht: "Das Volk weiß was gut ist: Über 80 Prozent der Erwachsenen sind geimpft", oder "Tausende marschieren – Millionen lassen sich impfen"

Für die Gegendemonstranten – gut 30 oder 40 an der Zahl an diesem Abend – soll es nicht bei dem einen Auftritt bleiben, der soll erst der Anfang sein. "Es ist wichtig, dass wir aufstehen gegen diejenigen, die sich nicht an Regeln halten", sagt etwa Traude Schmelzer, die die Veranstaltung angemeldet hat. "Für mich ist es ein Akt der Zivilcourage, hier zu stehen", sagt sie. Denn die Vorgänge rund um die "Spaziergänge" ängstigten sie, auch weil dabei immer aggressivere Töne angestimmt würden. Dabei gehe es den Gegendemonstranten aber ausdrücklich nicht um die Konfrontation mit den "Spaziergängern".

"Wir müssen denen zeigen: Ihr seid nicht die Mehrheit."

Klare Worte findet Rainer Schmid, ehemaliger SPD-Stadtrat und ebenfalls Teilnehmer der Mahnwache. "Die Geimpften müssen jetzt aufstehen. Dieser Protest heute soll ein Aufruf sein, dass die Bevölkerung jetzt aufsteht. Wir müssen denen zeigen: Ihr seid nicht die Mehrheit." Das müsse gerade und besonders in Nagold geschehen, das sich offensichtlich als ein Kerngebiet der "Spaziergänger"-Proteste herauskristallisiert habe. Dass das mit dem Widerstand gegen die "Spaziergänger" nicht einfach wird, ist auch Schmid klar. Das hindert ihn aber nicht anzukündigen: "Das war erst der Anfang unseres Gegenprotestes", sagt Schmid, "auch weil ich fürchte, dass es in der Bewegung der ›Spaziergänger‹ zu einer Eskalation kommen könnte". Zugleich fordert er auch den Nagolder Gemeinderat auf, zu der Entwicklung Stellung zu beziehen. "Das Thema Spaziergänger muss im Gemeinderat diskutiert werden", fordert er im Gespräch mit unserer Redaktion.

Übrigens: Obwohl beide Veranstaltungen an diesem Abend nur gut 100 Meter voneinander stattfinden oder beginnen, begegnen sich die beiden Parteien an diesem Abend nicht. Der Zug der "Spaziergänger", der zweimal durch die Innenstadt zieht, führt nicht am Unteren Marktbrunnen vorbei – zufällig oder nicht.