Der Beginn der Stadtgeschichte Albstadts: Hans Hoss, Bürgermeister in Ebingen, und Horst Kiesecker, Bürgermeister in Tailfingen, unterzeichnen die Gründungsurkunde. Axel Pflanz hält das Löschpapier. Foto: Paul-August Schweitzer

Warum ein Tag im Stadtarchiv so wertvoll ist – oder mal wieder ein Besuch bei Oma und Opa, verrät die Kolumnistin nach einem spannenden Besuch im History-Herzen der Stadt Albstadt. Dort hat sie festgestellt, dass die Probleme heute wie früher dieselben sind – und dass es Lösungen dafür gibt.

Waren Sie schon mal im Stadtarchiv? Ganz ernsthaft: Es dürfte wenig Spannenderes geben in Albstadt als die alten Zeitungsbände des Schwarzwälder Boten, die dort stehen.

 

Seit 1981 wird die große Zeitung im Südwesten dort gesammelt – obwohl der Schwarzwälder Bote nachweislich schon vor dem Zweiten Weltkrieg im damaligen Kreis Balingen ansässig war, über Ebingen, Tailfingen und die anderen Orte, die heute Stadtteile von Albstadt sind, berichtet hat. Schwabo-Artikel über die Gründung der Stadt Albstadt vor 50 Jahren finden sich im Stadtarchiv Albstadt also nicht. Dafür aber jede Menge anderer Perlen der Stadtgeschichte.

Das Spannendste daran sind die Parallelen zur heutigen Zeit, die darin festgehalten sind. Über eine Reaktivierung der Talgangbahn etwa ist Anfang des Jahrtausends, nur wenige Jahre nach der Stilllegung, schon einmal diskutiert worden. Schon damals saßen die stärksten Befürworter auf der Fraktionsbank der Grünen und des kommunalpolitischen Wahlbündnisses Z.U.G.. Schon damals gab es Gegner in den vorderen Reihen der CDU, zu deren Fraktion übrigens ein politisches Nachwuchstalent gehörte, das Roland Tralmer heißt – und es mittlerweile zum Oberbürgermeister gebracht hat.

In Lautlingen waren sie Ende des vergangenen Jahrtausends schon frustriert, weil es so lange dauert, bis endlich die Planung für die Ortsumfahrung vorankommt. Hätten sie geahnt, dass der Baubeginn im Jahr 2025 noch immer nicht in Sicht ist: Was hätten sie wohl damals gedacht, gesagt, überhaupt noch geglaubt?

Während der Heimattage Baden-Württemberg – sie waren das Großereignis des Jahres 1987 in Albstadt – wurde im Schwarzwälder Boten die Geschichte eines jungen Türken erzählt, der darauf wartete, in Deutschland als Asylant anerkannt zu werden. Anders als die Generation seiner Vorfahren war er nicht als Gastarbeiter ins Land gekommen, sondern vor der Politik am Bosporus geflüchtet. Es verursacht Gänsehaut, zu lesen, was einem wie ihm beim Gedanken an „Heimat“ in den Sinn kommt.

„Jahre“ würde es nach Einschätzung von Stadtarchivar Nils Schulz dauern, die Zeitungsbände von der Stadtgründung bis heute zu sichten, das ist wohl wahr, und dazu nimmt sich heute niemand mehr die Zeit. Lieber scrollen wir uns auf dem Smartphone durchs weltweite Netz, lesen in sogenannten Sozialen Medien, was es beim Nachbarn zum Abendessen gab, bei welchem Freund gerade die Einbrecher besonders gute Chancen haben, weil der unbedingt Dutzende Fotos aus dem Urlaub heraus posten muss, und wo in China ein Fahrrad umgefallen ist – oder in Afrika ein Sack Reis. „Unnützes Wissen“ nennt man das.

Für den Erwerb des wirklich nützlichen Wissens freilich bleibt dann natürlich keine Zeit mehr. Dabei täte es uns in unserem Jammertal gelegentlich gut, uns klar zu machen, dass die Menschen früher auch Probleme hatten, und vor allem: zu erfahren, wie sie da raus gekommen sind.

Geschichte wird schließlich nicht dazu gelehrt, damit jemand in einer Quiz-Show im Fernsehen korrekte Jahreszahlen nennen kann. Das Studium der Geschichte – nicht nur das an einer Universität – soll uns lehren, die Fehler unserer Vorfahren nicht zu wiederholen und das Gute weiterzuentwickeln, was sie auf den Weg gebracht haben.

Es lohnt sich also ganz praktisch, sich mal einen Tag lang im Stadtarchiv durch alte Zeitungsbände zu schmökern. Wem das zu staubig ist, der hat übrigens noch eine Alternative: mal wieder Oma und Opa, die betagte Nachbarin oder den Onkel im Seniorenheim zu besuchen und ihren Erfahrungen zu lauschen. In Zeiten wie diesen ist dies das beste Mittel gegen Pessimismus.