Stumme Tränen. Manche Kinder und Jugendliche erleben in ihrem Leben mehr, als sie ertragen können. Foto: © SB Arts Media – stock.adobe.com

Psychische Erkrankungen, Jugendliche, mit denen niemand mehr klar kommt, Gewalt in den Familien, soziale Not. Die Herausforderungen der Kinder- und Jugendarbeit im Schwarzwald-Baar-Kreis.

Was geschieht, wenn junge Menschen noch nicht mal mehr in der Bad Dürrheimer Luisenklinik, einem Zentrum für Verhaltensmedizin, als tragbar gelten? Dann muss sich – quasi von jetzt auf sofort – das Jugendamt des Schwarzwald-Baar-Kreises um sie kümmern.

 

Dieser ganz aktuelle Fall verdeutlichte im Bericht von Jugendamtsleiterin Silke Zube im Jugendhilfeausschuss des Landkreises die Herausforderungen, die in der Jugendhilfe immer größer werden. „Die Herausforderungen haben sich verschärft, bundesweit.“

Gesellschaft am Limit

Als Gründe nannte sie Belastungen der Gesellschaft, zum Beispiel durch die Nachwirkungen der Coronavirus-Pandemie, durch die Auswirkungen von Migration und Flucht, durch psychische Erkrankungen, durch den Anstieg von Suchtmittelmissbrauch oder durch mehr Gewalt innerhalb der Familien. Ein weiterer Grund für die wachsenden Herausforderungen in der Jugendhilfe: die Überlastung der Kinderbetreuung. Laut Zube ist – unter anderem als Nachwirkung der Coronavirus-Pandemie – der Erziehungsbedarf pro Kind gestiegen. Dem stehen der Fachkräftemangel und ein Mangel an Betreuungsplätzen gegenüber.

Es fehlen vor Ort Integrationsfachkräfte, die psychische Belastung schon im Kleinkindalter steigt, was wiederum zu mehr Verhaltensauffälligkeiten führt. Überlastet ist laut Zube auch das Schulsystem – auch hier unter anderem als Nachwirkung der Coronavirus-Pandemie, aber auch durch eine steigende Schülerzahl mit Migrationshintergrund. Auch in Schulen fehlen Fachkräfte; hier zum Beispiel Lehrkräfte und Sozialarbeiter. Die sonderpädagogischen Angebote fehlen entweder oder sind schon ausgelastet, und die Schulsozialarbeit hat mehr Arbeit, als sie bewältigen kann. Das alles führe wiederum zur Überlastung der freien Träger der Jugendhilfe. Zube sprach in ihrem Bericht von enormen Fallzahlsteigerungen im Bereich des Kinderschutzes. Zudem werden diese Fälle immer komplexer. Weil auch hier Fachkräfte fehlen können Anfragen zeitnah nicht mehr bedient werden.

Beratung auch online

Um der Arbeit besser Herr werden zu können, arbeitet man im Jugendamt unter anderem an digitalen und hybriden Beratungsmodellen, damit die Berater nicht immer vor Ort sein müssen und trotzdem direkte Gespräche von Angesicht zu Angesicht führen können.

Probleme durch Trennung

Weil laut Zube auch die Kindeswohlgefährdung durch Trennung oder Scheidung zugenommen hat, ist man gerade dabei, die Trennungs- und Scheidungsberatung weiterzuentwickeln; und zwar in Zusammenarbeit mit den Gerichten, Rechtsanwälten und Beratungsstellen. Noch in Klärung sei die Einrichtung eines Spezialdienstes Trennungs- und Scheidungsberatung im Allgemeinen Sozialen Dienst in Kooperation mit der Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche (BEKJ).

Angebote vor Ort

Auch vor Ort – genannt wurden im Bericht Bad Dürrheim, Bräunlingen, Hüfingen, Schwenningen am Schulstandort Deutenberg und Blumberg – wurden und werden neue Angebote geschaffen. In St. Georgen ist das die Jugendhilfestation „Jista“. In Bad Dürrheim ist das eine Tagesgruppe (die Flex-Tagesgruppe. Das Wort steht für „flexible, individuelle Hilfe im Sozialraum“).

In Bräunlingen sind das laut Silke Zube ambulante Angebotsstrukturen und in Hüfingen ein großes Hilfekonzept an der Lucian-Reich-Schule. Etwas Vergleichbares möchte man nun auch an der Deutenberg-Schule in Schwenningen aufbauen. „Hier brauchen wir aber einen relativ großen Träger“, so Silke Zube. Zube sprach in ihrem Bericht auch von einer Tagesgruppe für Kinder im Vorschulbereich, mit denen es bereits im Kindergarten Probleme gibt. In Blumberg möchte man eine „flexible ambulante Fachkraft“ verorten.

Der Austausch mit dem Staatlichen Schulamt ist laut Zube bereits intensiviert. Dies eröffne „kurzfristige Handlungsoptionen auch in Einzelfällen“. Verbessern möchte man auch die Kooperation mit der Kinder- und Jugendpsychiatrie.

Komplizierte Einzelfälle

Hilfen verschiedener Organisationen werden über ein Case-Management (Fall-Management) aufeinander abgestimmt. Aufgabe ist es laut Kreisverwaltung, „ein zielgerichtetes System von Zusammenarbeit zu organisieren, zu kontrollieren und auszuwerten, das am konkreten Unterstützungsbedarf der einzelnen Person ausgerichtet ist (...)“.

Silke Zube stellte auch den „Service-Point Kita“ vor. Hauptschwerpunkt seiner Arbeit ist die Unterstützung des Sozialen Dienstes und der Teams in den Kindertagesstätten „in Fällen, in denen das herausfordernde Verhalten von Kindern im pädagogischen Alltag alle Beteiligten an ihre Grenzen bringt“. Damit soll zum Beispiel verhindert werden, dass ein Kind seinen Platz in der Kita verliert.

Obhut für ganze Familien

Laut Zube gibt es auch Kriseninterventionszentren. Dies sind flexible Angebotsformen als Alternative zur stationären Jugendhilfe. In Schönwald habe das Jugendamt zum Beispiel ein Gebäude angemietet, um dort junge Menschen oder Familien unterzubringen und durch ambulante Hilfe zu unterstützen. In Donaueschingen gibt es eine Angebotsstruktur der Jugendhilfe „Prio-Kids“. Hier können laut Jugendamt ganze Familien oder Teile von Familien untergebracht und unterstützt werden.

Für die Zukunft wünscht sich Silke Zube unter anderem die Möglichkeit, in der Jugendhilfe auch kreisübergreifend agieren und zusammenarbeiten zu können. „Ich habe große Hochachtung vor Ihrer Arbeit“, kommentierte Landrat Sven Hinterseh den Bericht. „Kinder sind das Wichtigste, das wir haben, aber für eine Behörde wird es schwer, wenn das Umfeld der Kinder wegfällt.“ Andrea Müller-Janson (Grüne) hob als positiv hervor, dass die Probleme am Deutenberg in Schwenningen jetzt stärker in den Fokus gerückt sind. Dies sei längst überfällig.

Immer problematischer

Karl-Henning Lichte (Freie Wähler) lobte das Jugendamt, das auch in der Pandemie funktionierende Strukturen geschaffen habe und dessen Fusion mit dem Städtischen Jugendamt Villingen-Schwenningen „ungewöhnlich geräuschlos“ abgelaufen sei. „Ich wünsche Ihnen eine gute Hand. Die Arbeit mit Jugendlichen wird immer problematischer, weil die Jugendlichen immer problematischer werden.“ Nicola Schurr (SPD) sagte, dass sich komplette Umfelder verändert hätten. Alfred Zahn von der Liga der Freien Wohlfahrtspflege mahnte an, dass bei auffälligen Kindern oder Jugendlichen oft gar nicht mehr reagiert werde, weil zu viel passiert. Er sprach auch von Erfahrungen in einer „Auffangklasse“ mit Schülern, die sonst überall schon herausgeflogen sind.

Sonderschulen belastet

Abschließend sprach Zube ein weiteres Problem an, das seit Jahren größer wird. Steigende Schülerzahlen in den Sonderschulen (auf Behördendeutsch Sonderpädagogische Bildungs- und Beratungszentren). Dies liege laut Landrat Sven Hinterseh einmal am medizinischen Fortschritt und auch – „das sage ich politisch ganz neutral“ – an der Zuwanderung.