Mit rutschendem Monitor-Kopfhörer und Lesebrille in voller Aktion im MPS-Studio Villingen: der 79jährige Weltklasse-Perkussionist Günter Baby Sommer. Foto: Trenkle

"Diese Mauern kenne ich noch, nur die Wandfarbe ist neu." Jazz-Legende Günter Baby Sommer hat das MPS-Studio aus früheren Tagen offensichtlich noch gut in Erinnerung. Auch bei seinem erneuten Besuch in Villingen ging es um Tonaufnahmen – aber nicht nur.

VS-Villingen - Diesmal gab er gemeinsam mit Pianist Uli Johannes Kieckbusch im, mit 55 Besuchern ausverkauften Saal ein Konzert.

Die Kabel vieler Mikrofone zielten zum gewaltigen Mischpult hinter der großen Glasscheibe und zwischen den beiden musikalischen Protagonisten stand eine riesige akustische Trennwand, um perfekte Aufnahmen zu ermöglichen. Das Publikum erlebte ein Konzert und gleichzeitig die Aufzeichnung für eine neue Platte mit dem passenden Titel "Baby Blue Ballads".

Um Ruhe gebeten

Um sich nicht auf dem Tonträger zu verewigen, waren die Zuhörer gebeten, möglichst ruhig zu sein, sich auch mit Zwischenapplaus zurückzuhalten. Das war gar nicht so einfach: Handys lassen sich in den Flugmodus schalten, aber nicht jeder Hustenreiz lässt sich unterdrücken.

Doch es gelang – die Aufnahmen spiegeln nun die gefühlvoll umgesetzten neue Kompositionen für Klavier und Schlagzeug von Uli Johannes Kieckbusch wider. Perfekt und eindrücklich konnten die Gäste den Komponisten am bekannten Bösendorfer-Flügel erleben.

Er tritt bescheiden auf

Im Zentrum des Interesses stand dennoch der Dresdner Günter Baby Sommer. Der inzwischen 79-jährige Perkussionist trat bescheiden auf und klemmte sich schnell hinter einen Wall aus Schlagzeug und allerlei weiteren Klangerzeugern. Schnell wurde klar, weshalb er weit über die deutschen Grenzen hinaus als eine Legende seines Metiers gilt.

Vorgenommen hatten sich die beiden, welche schon seit mehr als 15 Jahren gemeinsam auf immer neue Reisen in den Jazz mit Klavier und Perkussion gehen, mit der neuen Platte – wie der Titel bereits verrät – Balladen. "Ein richtiges Allegro erreichen wir heute nicht", witzelte Sommer.

Kein Improvisieren

Anders als von Sommer gewohnt, galt es diesmal nicht zu improvisieren, sondern streng nach Notenvorgabe zu spielen. Sein Blick wechselte ständig vom Notenblatt zu den Klangkörpern: "Das habe ich seit der Musikakademie nicht mehr gemacht."

Rund um das traditionelle Schlagzeug hatte er seinen abendlichen Arbeitsplatz mit zusätzlichen Pauken, Trommeln, Klangschalen, Becken, Gongs und Klangrohren ausstaffiert. Zum Klingen brachte er sie mit einer bunten Mischung verschiedenster Schlegel, Stäbe, Stöcken, Besen und Büsten und auch die werkzeuglose Hand mit viel Fingerspitzengefühl kam zum Einsatz.

Mit Schlagen, Schleifen, Scheppern, Ticken, Vibrieren, Rascheln, Streichen, Antippen könnte das mal laute, mal leise, immer mit dem rund 20 Meter entfernten Flügel hinter der Trennwand in Resonanz stehende Spiel bezeichnet werden.

Auch nach der ersten Hälfte zur Aufnahme der neuen Stücke blieb das Tempo moderat. Einer der Höhepunkte des Konzerts galt der in Wuppertal geborenen Dichterin Else Lasker-Schüler. Der heute ebenfalls in Wuppertal lebende und einst an der Musikhochschule Trossingen ausgebildete Musiker Kieckbusch hatte es zu Ehren der expressionistischen Schriftstellerin mit den Noten aus deren Namen komponiert.

Workshop-Charakter

Der Workshop-Charakter des Konzerts zeigte sich in der unverkrampften und selbstkritischen Weise der Interpretationen. So kamen die beiden Musiker trotz des engagierten Applauses des Publikums nach der Aufführung des Stücks "Still ruht der See" überein, das Ganze doch in höherem Tempo zu spielen und wiederholten die Aufnahme.

Schon vorher war ein ironischer Satz von Sommer gefallen: "Das Tempo ist altersgerecht." Ob er zutraf, ist allerdings zu bezweifeln: Spätestens beim letzten Stück drängte Beschleunigung in die Bewegungen. Die beinahe 80 Jahre des Perkussionisten waren hierin höchstens in erworbener musikalischer Souveränität, keinesfalls in motorischen Einschränkungen herauszuhören.